Der Fernsehfriedhof: Nutella-Brot und Spiele

Christian Richter erinnert an all die Fernsehmomente, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 319: «Nutella – Die Geburtstagsshow» - Die wahrscheinlich längste Schleichwerbung der Welt.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir eines großen, dicken, peinlichen, verbotenen Werbespots.

«Nutella - Die Geburtstagsshow» wurde am 11. Juni 2005 bei RTL II gefeiert und entstand zu einer Zeit, als viele TV-Kanäle auf der Suche nach immer neuen Finanzierungsmöglichkeiten waren, da sich durch die wachsende Verbreitung von Festplattenrecordern und das Aufkommen von Online-Plattformen eine zeitversetzte Nutzung des Fernsehens und damit das Überspringen von Werbepausen zunehmend durchsetzte. Eine beliebte Möglichkeit bei Werbetreibenden und Fernsehverantwortlichen stellte daher das Product-Placement dar, bei dem durch die gezielte und prominente Positionierung von Produkten in der Handlung von Shows, Serien und Filmen, Werbung betrieben werden konnte, ohne dass dafür das Programm unterbrochen und die Zuschauer vertrieben werden mussten. Hierfür bestanden und bestehen allerdings enge gesetzliche Grenzen, die sich aus dem Rundfunkstaatsvertrag und den Vorschriften gegen den unlauteren Wettbewerb ergeben. Insbesondere ist der Einsatz von Schleichwerbung untersagt, also das Verstecken von Werbebotschaften ohne, dass diese ausdrücklich als solche gekennzeichnet sind.

In diesem Fahrwasser setzte sich bald ein neuer Trend durch, der sich stets scharf auf der dünnen Linie zwischen zulässiger Dauerwerbung und verbotener Schleichwerbung bewegte: Das Branded Entertainment. Hiermit ist ein derartiges Sponsoring gemeint, bei dem der Name einer Firma im Titel eines Formats erscheint - wie man es beispielsweise von Fußballstadien kennt. Im Fernsehen ist der Fußball-Talk «Doppelpass» bei Sport 1 (früher DSF) dafür ein gutes Beispiel. Dieser trug anfangs den Beinamen „Warsteiner Fußballstammtisch“, bevor er aufgrund wechselnder Partner erst zum „Krombacher Fußballstammtisch“, dann zum „Kia Doppelpass“ und schließlich zum „Volkswagen Doppelpass“ umgetauft wurde. Parallel dazu trat das Fast-Food-Unternehmen McDonald’s regelmäßig als sogenannter „Titelpatron“ beim «McSchmidt-Studio» oder bei «Die Chart Show... powered by McDonald's» (inoffiziell schlicht als «McChart Show» bezeichnet) auf. Dennoch galt (und gilt weiterhin), dass auch in den einzelnen Folgen keine Werbebotschaften enthalten sein dürfen, die nicht als solche eindeutig gekennzeichnet sind. Die finanzielle Gegenleistung darf sich demnach lediglich auf die Nennung im Titel beziehen und nicht zum Anpreisen der Produkte ohne „dramaturgischen Nutzen“ führen. Oder anders gesagt, die Gastgeber dürfen nicht grundlos in einen Big Mac beißen und davon schwärmen, wie lecker dieser ist.

Als nun das 40-jährige Jubiläum des Frühstücksaufstrichs Nutella anstand und der Konzern dies im großen Rahmen begehen wollte, ging er mit dem Kanal RTL II eine Kooperation ein, deren Zentrum die Übertragung eines aufwendigen Events bildete. Der Nutzen für beide Seiten war klar: Nutella erhoffte sich durch die Zusammenarbeit eine prominente Plattform für seine Erzeugnisse und RTL II erhielt ein (vermeintlich) spektakuläres Ereignis, mit dem man das bisherige Portfolio um den Bereich Unterhaltung erweitern konnte. Nicht ohne Grund wurde die Ausstrahlung extra auf einen Samstagabend, den klassischen Termin für Unterhaltungsshows in Deutschland, gelegt.

Wie pompös der Süßwarenhersteller Ferrero den Geburtstag seiner beliebten Nuss-Nougat-Creme begehen wollte, zeigte allein die Tatsache, dass man für den Austragungsort die Arena Auf Schalke buchte, die rund 60.000 Menschen fasste. Inmitten dieses großen Fußballstadions traten dann Prominente wie Laith al-Deen, Yvonne Catterfeld, Lucy Diakovska, Kai Böcking, Harry Wijnvoord sowie Heino auf, die an diversen Spielchen teilnehmen mussten. Darüber hinaus teilten sie mit dem Publikum ihre Kindheitserinnerungen rund um den Brotaufstrich, gestatteten einen Blick in ihre Kühlschränke und hatten Nutella unter anderen Konkurrenten am Geschmack zu erkennen, was natürlich problemlos gelang. Die Fußballer Kevin Kuranyi, Benjamin Lauth, Arne Friedrichs und Andreas Hinkel erläuterten außerdem, ob Nutella als Doping zählen würde, derweil Atze Schröder ein passendes Stand-Up zur Marke lieferte. Zusätzlich versuchte sich das Unternehmen, den Titel “Größtes Frühstück der Welt“ und den zugehörigen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde zu sichern. Dafür mussten über 25.000 Menschen mit Brötchen und Nutella versorgt werden. Es lässt sich erahnen, wie spannend, aufregend und innovativ der zweistündige Ablauf daherkam.

Die bizarre Mischung aus Dauerreklame, Nostalgie und «Wetten, dass..?» für Arme versuchte die Moderatorin Jessica Witte-Winter zusammenzuhalten, die zuvor vor allem diverse Boulevardmagazine in Sat.1 sowie das «Sat.1 Frühstücksfernsehen» präsentiert hatte. Kurz vor der Übernahme der Nutella-Party gelang ihr schon der Sprung in die Prime Time, indem sie die ebenfalls grenzwertige Reality-Serie «Mein großer, dicker, peinlicher Verlobter» anleitete.

Als das Schoko-Event, das bereits im Mai aufgezeichnet wurde, am 11. Juni 2005 schließlich über die Bildschirme flimmerte, folgten umgehend mehrere Proteste gegen die Dreistigkeit und Aufdringlichkeit der darin enthaltenen Werbung. Etwa empfahl die „Gemeinsame Stelle Programm, Werbung und Medienkompetenz“ (GSPWM) wenige Tage später der zuständigen Landesmedienanstalt „rechtsaufsichtlich tätig zu werden“ und wegen der unzureichenden Deklarierung ein „Ordnungswidrigkeitenverfahren einzuleiten“. Tatsächlich zeigte RTL II lediglich zu Beginn der Ausstrahlung einen kurzen Hinweis, dass es sich bei dem nachfolgenden Programm um eine Dauerwerbesendung handelte, wiederholte diesen Zusatz jedoch währenddessen nicht mehr. Wie die Sendeleitung mitteilen ließ, hätte man selbst diesen Hinweis einzig deswegen vorgenommen, weil man per einstweiliger Verfügung gerichtlich dazu gezwungen geworden wäre. Man selbst hätte die Show nämlich als ein normales redaktionelles Format eingestuft, das eigentlich keiner Kennzeichnung bedurft hätte.

Eine Argumentation, die angesichts der aufdringlichen Lobhudelei für Nutella eher lächerlich wirkte. In einem damaligen Bericht in der Zeitung DIE WELT zählte der Journalist André Mielke eine Reihe von skurrilen Momenten des Abends auf. Wie er schreibt, pries der Fernsehkoch Ralf Zacher vollmundig seinen Frischkäse-Nutella-Dip an, verglich Moderatorin Andrea Kiewel Nutella als ihr „Schlaraffenland“ und offenbarte der Fußballer Arne Friedrich, dass er auf eine einsame Insel einzig seine Freundin, die Bibel und natürlich ein Glas Nutella mitnehmen würde. Subtilität konnte der Veranstaltung wahrlich nicht unterstellt werden.

So profitabel und unterhaltsam die Idee auf dem Papier gewirkt haben mag, in seiner Umsetzung funktionierte sie überhaupt nicht, wie die dürftigen Einschaltzahlen des überlangen Werbespots bewiesen. Mit gerade 0,36 Mio. Zuschauern lag der Marktanteil bei winzigen 1,3 Prozent. In der werberelevanten Zielgruppe ließen sich bloß 0,27 Millionen junge Menschen zum Einschalten bewegen, die für einen mittleren Marktanteil von 2,5 Prozent sorgten, was etwa einem Drittel des sonstigen Quotenschnitts entsprach.

Diese Werte waren insofern fatal, als dass RTL II am darauffolgenden Samstag ein weiteres Projekt dieser Art in den Startlöchern hatte. In «Die kultige Handyshow - O2 can do» stand nun nicht mehr das Frühstück im Mittelpunkt, sondern die 20jährige Geschichte des Mobiltelefons in Deutschland. Dafür begrüßte Moderatorin Anastasia prominente Handybesitzer wie Reiner Calmund, Eva Padberg, Giulia Siegel sowie Erkan & Stefan in einem kleinen Studio und sprach mit ihnen über die ersten Geräte, Skandale, Pannen, verrückte Klingeltöne und bot Einspieler von Außenreporter Jochen Bendel dar. Vorsorglich wies man in einer vorher veröffentlichten Pressemitteilung diesmal ausdrücklich darauf hin, dass O2 hier lediglich als Titelpatron auftreten würde und man keine Werbung für die Angebote des Anbieters machen werde. Doch dies überzeugte das Publikum kaum, das noch weniger Interesse als am Nutella-Spektakel zeigte.

Insofern scheiterte RTL II daran, mit den Kooperationen eine neue Programmfarbe und eine neue Möglichkeit der Geldakquirierung zu etablieren. Vielmehr handelte sich der Kanal zusätzlich ein juristisches Nachspiel ein, denn am Ende des Jahres entschied die zuständige Landesanstalt für privaten Rundfunk in Hessen, dass der Nutella-Geburtstag tatsächlich verbotene Schleichwerbung beinhaltet habe und verhängte ein Bußgeld in Höhe von 45.000 €. Als Begründung nannte die Anstalt die fehlende eindeutige Trennung von redaktionellen Inhalten und Werbung. Stattdessen hätte man den Artikel „akustisch und visuell in den Vordergrund gerückt, ohne dass dies programmlich-dramaturgisch notwendig gewesen wäre.“ Zwar könne das Jubiläum eines Produktes eine solche Sendung grundsätzlich rechtfertigen, doch müssten dann die Elemente mit reiner Werbung umso deutlicher hervorgehoben werden.

So berechtigt das Urteil für diesen Extrem-Fall schien, so unverständlich zeigten sich im Anschluss einige Medienbeobachter darüber, dass ähnlich gelagerte Konzepte wie die «Lego-Show» oder «Pampers TV» nicht abgemahnt wurden. Mittlerweile sind die Richtlinien für Product-Placement im Fernsehen zwar gelockert worden, eine Produktion wie die Nutella-Farce müsste jedoch weiterhin durchgehend als Dauerwerbesendung gekennzeichnet werden.

«Nutella - Die Geburtstagsshow» wurde wegen der juristischen Folgen und des geringen Zuspruchs genau ein einziges Mal zelebriert, weswegen auch das jüngst begangene 50-jährige Jubiläum der Marke den Sprung nicht mehr ins Fernsehen schaffte. Indessen entpuppte sich für Jessica Witte-Winter der Ausflug zu RTL II nicht als Sprungbrett für eine große Fernsehkarriere, denn sie wechselte anschließend zu einer Berliner Radiostation, bei der sie bis heute tätig ist. Immerhin gelang es Nutella, im Rahmen seiner TV-Feier mit 27.854 Menschen das weltgrößte Frühstück auszurichten und den angestrebten Eintrag ins „Guinness Buch der Rekorde“ zu erreichen. Das ist offenbar ein begehrter Titel, den bis dahin die Firmen Tchibo und Rama innehatten, die Ende der 90er Jahre mit der Unterstützung von Sat.1 regelmäßig ähnliche Veranstaltungen einzig zu diesem Zweck abhielten. Zuletzt versuchte die Supermarkt-Kette Real den Titel zu übernehmen.

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am Donnerstag, den 30. Juni 2016. Die Idee, an die Nutella-Geburtstagsshow zu erinnern, regte übrigens ein Leser oder eine Leserin an - leider anonym, sodass wir uns auf diesem Weg für den Hinweis bedanken möchten.
26.05.2016 11:05 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/85812