In einem wohlmeinenden Drama, das jedoch etwas schwerfällig ist und dem Puls der Zeit leicht hinterherhinkt, muss eine Frau entscheiden, wie sie zur Präimplantationsdiagnostik steht.
Cast und Crew
- Regie: Brigitte Maria Bertele
- Darsteller: Petra Schmidt-Schaller, Anna Schudt, Christian Erdmann, Thomas Huber, Joshua van Dalsum, Livia Walcher, Tina Engel, Gerhard Garbers, Anton Algrang, Henriette Müller
- Drehbuch: Kristin Derfler
- Kamera: Hans Fromm
- Schnitt: David J. Rauschning
- Musik: Christian Biegai
- Produktionsfirma: Real Film
Ein wichtiges, komplexes ethisches Thema, unglücklicherweise dezent anachronistisch erzählt: Regisseurin Brigitte Maria Bertele und Drehbuchautorin Kristin Derfler unterbreiten in diesem ZDF-Montagsfilm dem Fernsehpublikum die Geschichte eines Schwesternpaares. Ella (Petra Schmidt-Schaller) und Johanna (Anna Schudt) sind beide Gen-Träger der unheilbaren Erbkrankheit Duchenne. Von diesem Gendefekt haben die Schwestern erst erfahren, als Bäuerin Johanna ihr nunmehr zwölfjähriges, zweites Kind Lennart (Joshua van Dalsum) bekommen hat. Während Johanna mit der Behinderung ihres Sohnes umzugehen gelernt hat, will Ella sichergehen, dass sie und ihr Mann Marcus Herlinger (Christian Erdmann) ein gesundes Kind auf die Welt bringen.
Daher möchte Ella mithilfe der Präimplantationsdiagnostik schwanger zu werden, was sie jedoch vorsorglich vor ihrer Schwester geheim zu halten versucht, da sie erahnt, dass sie diese Entscheidung in den falschen Hals bekommen könnte. Aufgrund der hohen Kosten für den Vorgang braucht Ella allerdings Johannas Einverständnis, um eine Hypothek auf den ihnen beiden vererbten elterlichen Hof aufnehmen zu können. Als Johanna nach einigem Widerstand doch noch zustimmt, kann sich Ella endlich der komplizierten medizinischen Behandlung unterziehen – woraufhin aber die Ehe zwischen ihr und Marcus zur Zerreißprobe wird. Bald darauf kommt zudem durch tratschende Dorfbewohner die Wahrheit ans Licht, die Johanna erwartungsgemäß schlecht aufnimmt …
Darstellerisch ist «Ellas Entscheidung» ganz große Klasse: Petra Schmidt-Schaller gibt die Hauptrolle trotz der schweren Thematik ohne übertriebenen Pathos, verleiht ihrer Rolle mit erschöpften, verletzlichen Blicken eine große Glaubwürdigkeit. Dabei verzichtet die Mimin selbst in niederschmetternden Dialogpassagen darauf, durch ein wehleidiges Timbre auf die Tränendrüse zu drücken: So niedergeschlagen Ella auch sein mag, bemüht sie sich darum, Stärke und Entschlossenheit auszustrahlen. Das Zusammenspiel mit Christian Erdmann als vom anstrengenden Prozedere entnervter Ehemann wirkt ebenso authentisch wie die durch strafende Blicke geprägte Interaktion mit ihrer Filmschwester Anna Schudt. Diese legt Autorin Derfler als verzerrtes Spiegelbild Ellas an: Von der Entscheidung ihrer Schwester gekränkt, ist sie trotzdem die besonnenere der Beiden.
Die Dualität der Schwestern gibt der Story eine zusätzliche Dimension, da sie nicht so schlicht entworfen ist, wie es von einem ZDF-Montagsfilm zu befürchten steht: Eine Schwester denkt mit dem Kopf, die andere mit dem Herz, gleichwohl ist die fürsorglichere Ella diejenige, die im Laufe des Neunzigminüters immer aufgekratzter erscheint. Auf dieser Ebene verharrt «Ellas Entscheidung» jedoch, statt den Figuren weitere Widerhaken zu verleihen. Die Dorfbewohner, die einen Großteil des restlichen Figurenrepertoires darstellen, sind sogar reine, klischeehafte Pappkameraden: Schockierte Dörfler, die nicht glauben wollen, dass eine Frau ein „künstlich“ erzeugtes Kind haben will, und ein Bäckervater, der Macadamianüsse als unnötigen, neumodischen Kram bezeichnet, sind der Glaubwürdigkeit und dem Facettenreichtum dieser Erzählung nicht gerade dienlich.
Durch die Menge an mitunter sehr ausschweifenden erklärenden Monologen zum Thema PID bremst «Ellas Entscheidung» zudem mehrmals aus, wobei sie von intensiver und sauberer Recherche zeugen. Trotzdem sind es die wortkargeren, emotionaleren Passagen, die überzeugen. Etwa wenn Ella ihrem geliebten Neffen ihr Vorhaben erklärt und von ihm durch die Frage, ob sie kein Kind haben will, wie er es ist, in eine argumentative Sackgasse gedrängt wird. Oder wenn Erdmann in den Raum brüllt, was er sich im Bett wünscht und so seinem Ehefrust Luft macht. Oder wenn Johanna doch mal der Geduldsfaden reißt und sie mit Wut, Trauer und Sorge keift: „Lenny ist kein Fehler!“
Allerdings hätte die von der Grimme-Preisträgerin Bertele schnörkellos, auf die Figuren fokussierend inszenierte Geschichte mehr Nachhall, würde sie stärker auf die heutigen Inklusionsbemühungen aufgehen: Derflers Skript suggeriert, dass die Gesellschaft von Eltern verlangt, gesunde Kinder zu erhalten, und dass Behinderte sehr stark ausgegrenzt werden. Zwar ist es tatsächlich und bedauerlicherweise noch ein weiter Weg, bis die Gesellschaft Menschen mit Behinderungen angemessen behandelt, jedoch haben sich in den vergangenen Jahren die Parameter zweifelsohne verschoben. Dass Ella, abgesehen von ihrer Schwester, durchweg in die eine Richtung gedrängt wird, ist mittlerweile unwahrscheinlich – nunmehr würden voraussichtlich viel mehr Menschen im Umfeld einer Frau, die sich in Ellas Position befindet, den Standpunkt Johannas einnehmen. Auch daraus ließe sich ein fesselnder Fernsehstoff spinnen. Das, was «Ellas Entscheidung» stattdessen erzählt, ist zwar durchdacht, hinkt dem Puls der Zeit allerdings drei, vier Herzschläge hinterher.
«Ellas Entscheidung» ist am Montag, dem 30. Mai 2016, ab 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.