In wenigen Wochen startet ProSieben seine Wissensoffensive, und zeigt somit, wie weit sich der Privatsender entwickelt hat. Denn vor einigen Jahren machte sich das Magazin «Galileo» noch mit einem nebulösen Ableger lächerlich.
Deutschland, 2008. Irgendwo auf dem Pausenhof. Oder neben einem Wasserspender im Büro. Jemand wundert sich über irgendeine Kleinigkeit. Vielleicht hat er seinen Kugelschreiber verloren. Oder fragt sich, wieso sein Webbrowser immer dann zusammenbricht, wenn er dringend etwas googeln muss. Welches Rätsel auch immer im Raum steht – irgendwer erwidert: „Das ist ein Fall für «Galileo Mystery».“ Ja, Aiman Abdallahs wöchentliches Magazin war eine Zeit lang in aller Munde. Doch wieso ist sie letztlich dennoch vom Bildschirm verschwunden? Und was haben die Illuminaten damit zu tun?
«Galileo Mystery»: Der Groschenroman unter den «Galileo»-Sendungen
Um «Galileo Mystery» zu verstehen, muss man wissen, in welcher Zeit das freitägliche Magazin entstanden ist: Es ist das Jahr 2006. Die westliche Welt befindet sich im Dan-Brown-Fieber, zahllose Trittbrettfahrer werfen ihre historischen Mysteryromane oder pseudowissenschaftlichen Verschwörungstheorie-Möchtegernsachbücher auf den Markt. Und Tom Hanks tappst über die Leinwand, um in «The Da Vinci Code – Sakrileg» den Heiligen Gral zu finden. In einem zunächst als einmalig angekündigten Special tut es ihm am 18. Mai 2006 ein ProSieben-Gesicht gleich: Aiman Abdallah, dessen vorabendliche Wissenssendung derzeit ein inhaltliches Tief durchmacht und primär aus Berichten besteht, wie Industrieprodukte hergestellt werden.
In «Da Vinci Code – Auf der Suche nach dem Heiligen Gral» wandelt Aiman Abdallah auf den Pfaden solcher Formate wie «X-Factor: Das Unfassbare». Schwach ausgeleuchtete Schauplätze und Studiokulissen. Ein mit Wiederholungen gespicktes Dialogbuch (denn in diesem „Wissensmagazin“ wird geschauspielert, statt moderiert). Kunstnebel. Und die im Raum stehende, selten konkret beantwortete Frage, ob es da draußen mehr gibt, als wir denken. Aiman glaubt, Dan Browns Bestseller sei mehr als nur ein Roman, sondern obendrein ein codiertes Textstück, in dem die Wahrheit über den Aufenthalt des Heiligen Grals verborgen liegt. Aiman ist kurz davor, einem exzentrischen Historiker eine Millionen Dollar für weitere Hinweise zu zahlen, aber in letzter Sekunde bemerkt Aimans Rechercheteam, dass er einem Betrüger auf den Leim ging (
der 'Spiegel' fasste die Farce einst sehr gut zusammen).
Der inhaltsarme, pathetische Testlauf war erfolgreich genug, dass ProSieben ein reguläres «Galileo Mystery» in Auftrag gegeben hat. Die Rezeptur änderte sich ab dem 19. Januar 2007 aber nicht. Ob Aiman und sein stets gleiches Expertenteam in ihrem Billig-«CSI»-Abklatsch von einer Kulisse nun über König Artus rätselten, über die Existenz von Werwölfen, Zombies, die wissenschaftlichen Wahrheiten hinter dem Film «The Core» oder den Bibelcode: Mit bleischwerer Musikuntermalung und einer hölzernen Mimik kämpfte sich Aiman Abdallah durch Mythen und Sagen, in der Hoffnung, sie als wahr zu erkennen, bloß um die Sendung genauso schlau zu beenden, wie er sie begonnen hat. Die Kritiken fielen durchweg negativ aus, Wissenschaftler rümpften in den Medien die Nase – und auch eine Kurskorrektur im Jahr 2009 half nicht. Sendungen mit realen Themen, etwa dem Leben der Gladiatoren oder der Samurai sowie spektakulären Hollywood-Stunts, wurden von Experten ob eklatanter Recherchefehler und der reißerischen Präsentation verrissen.
Spätestens durch die «Switch Reloaded»-Parodie wurde die Sendung für eine Generation an Privatfernsehenjunkies allerdings gerade aufgrund ihres Stils legendär.
Viel parodiert, aber nur mit durchwachsenen Quoten gesegnet
Zunächst war es aus Quotensicht nicht schlecht um «Galileo Mystery» bestellt. Die König-Artus-Ausgabe, und somit die erste reguläre Folge, landete mit 11,5 Prozent zwar nur so gerade auf Senderschnitt bei den Umworbenen. Insgesamt waren aber 1,82 Millionen Neugierige und sehr gute 8,1 Prozent drin. Sieben Tage später ging es aufwärts: 1,89 und 9,0 Prozent Marktanteil wurden bei allen eingefahren, bei den Werberelevanten kamen sehr gute 14,2 Prozent zusammen. Von einem Ausrutscher mit soliden 6,5 und akzeptablen 10,9 Prozent abgesehen, holte das Magazin auch vorerst Werte in diesem Bereich – bis am 23. März 2007 eine Folge zum Thema Postraub bloß maue 5,4 und 9,4 Prozent einholte.
Fortan schwankte «Galileo Mystery» sehr. Die acht nächsten Folgen holten miese 4,7 bis großartige 11,7 Prozent bei allen TV-Nutzern sowie magere 8,3 bis famose 19,9 Prozent in der Zielgruppe. Das Thema der Hitfolge: „Waren wir wirklich auf dem Mond?“
Juni bis Oktober 2007 ging diese Achterbahnfahrt weiter: Akzeptable 6,0 bis tolle 10,0 Prozent insgesamt und enttäuschende 9,6 bis tolle 17,6 Prozent Marktanteil bei den Werberelevanten waren drin, wobei die Folgen über Senderschnitt in dieser Phase in der Mehrzahl waren. Ab November 2007 häuften sich dann die Ausrutscher unter Senderschnitt, 2008 reichten die Werte dann von 2,7 bis 10,6 Prozent bei allen und bei den Umworbenen von 4,6 bis 16,6 Prozent. Trotz diverser Schlappen genügten die Ausrutscher nach oben aber, um den Staffeln eins bis drei in der Zielgruppe letztlich einen Schnitt von guten 12,0 Prozent einzubringen. 2009 war dann aber das Jahr des Schwanengesangs für «Galileo Mystery», vor allem in der zweiten Jahreshälfte schaffte es die Sendung kaum noch über den Senderschnitt. 2010 folgte daher die unvermeidbare Konsequenz: ProSieben stellte die Sendung ein, weil man sich „thematisch verändern“ wollte.
«Galileo» und das zurück erkämpfte Image
Für die Marke «Galileo» war dieser Schritt ein erfolgreicher. Das vorabendliche Magazin durchlief im neuen Jahrzehnt zwar qualitative Konjunkturwellen – man erinnere sich an die Phase der dauernden Wasserrutschentests und XL-Gastro-Reportagen – letzten Endes fand es aber den Weg zurück zu einer ausgewogenen Mischung aus Information und Unterhaltung, seichtem Wissen und ambitionierteren Beiträgen. Das spiegelt sich etwa durch das derzeitige Flaggschiff der «Galileo»-Ableger wider: «Galileo Big Pictures» hat keinerlei Parallelen zu «Galileo Mystery», sondern nutzt das so populäre, leicht verdauliche Rankingshow-Konzept, um unterhaltsame, aber informative kleine Beiträge zu präsentieren. Wie sehr sich «Galileo» (wieder) wandelte, lobte Abdallah daher zurecht, als er in Hamburg kürzlich
die anstehende ProSieben-Wissensoffensive vorstellte. Und eines ist nahezu vorprogrammiert: Es kann nur besser werden als «Galileo Mystery».