Der "Krautreporter" wollte einmal den Journalismus im Netz retten. Heute ist fraglich, ob er ihn überhaupt signifikant bereichern konnte. Einem amerikanischen Angebot ist das eher geglückt.
Krautreporter ist kaputt
Auch wenn beim Stöbern auf der Seite wenig daraufhin deutet, ist "Krautreporter" vor knapp zwei Jahren angetreten, den Journalismus im Netz wieder in Ordnung zu bringen. Das war ein großes Ziel, gepaart mit geringschätzigen Äußerungen gegenüber den etablierten Angeboten (Es hieß, der Journalismus im Netz sei kaputt) und einer gleichzeitig sehr diffusen Vorstellung davon, wie man das nun als kleines crowdgefundetes Projekt im implizierten Alleingang hinkriegen sollte.
Obwohl Krautreporter sicherlich ein redliches, ordentliches Angebot geworden ist, ist man mit diesen großspurigen Ambitionen freilich krachend gescheitert. Was die Verantwortlichen, wenn auch nicht ganz so schonungslos, schon länger zugeben.
Woran diese Diskrepanz aus anfänglicher, ambitionierter Selbstüberhöhung und dem fertigen Produkt, ein bestenfalls durchschnittlich relevantes, wenn auch zumindest in Teilen interessantes journalistisches Angebot, im Detail liegt,
habe ich schon vor einer Weile analysiert.
Andere Anbieter kriegen das wieder hin
Diese Woche soll es um etwas Anderes gehen. Um ein Angebot, das zwar vor seinem Start nicht behauptete, den vermeintlich kaputten Online-Journalismus wieder hinzubiegen, aber das den ähnlichen Anspruch hat, eine relevante Alternative zu den bestehenden Playern zu sein und (nicht nur, aber doch in großem Umfang) Geschichten abseits des Tagesgeschehens zu recherchieren, die anderswo nicht stattfinden.
Vox.com startete im April 2014 und wollte
“explanatory journalism“ betreiben – eine Zielsetzung, die bei amerikanischen Medienbeobachtern auf einige Kritik stieß. Eine Amalgamierung von Fakten und Analysen sei am Schluss eben keine reine Wiedergabe von Tatsachen mehr, sondern allein aufgrund der Auswahl der präsentierten Daten, Fakten und Interpretationen beziehungsweise Analysen ein Ausfluss der Weltsicht des Journalisten – und damit eben kein neutraler Bericht mehr, sondern eher ein Meinungsbeitrag, allein aufgrund des journalistischen Pendants zur Heisenberg’schen Unschärferelation.
Das erinnert an die Geburtsstunden des Krautreporters, dessen Journalisten gerne vollmundig betonten, anderswo würde viel herumgemeint, beim „Krautreporter“ würde man lieber handfeste Fakten und neutrale Hintergründe erklären. Das Ergebnis sah freilich anders aus – und „Krautreporter“ dürfte man, ohne dem Medium Unrecht zu tun, bis heute eher im linken Spektrum denn im rechten verorten. Was natürlich nichts Schlechtes ist, aber eben: Meinung. Das, was man bekanntermaßen nicht wollte.
Zurück zu Vox.com: Denn obwohl auch dieses Angebot um den Begriff Meinung ziemlich herumgetänzelt ist, um ihn möglichst zu vermeiden (Stichwort:
“explanatory journalism“), und auch heute klar im linksliberalen Spektrum des politischen Diskurses verankert ist, stört das hier deutlich weniger.
Denn beim „Krautreporter“ wirkt vieles eher wie der Ausfluss einer bestimmten Ideologie (amerikaskeptisch, kapitalismuskritisch, konsumkritisch sowieso); bei Vox.com dürfte die erkennbare politische Tendenz eher das veritable Ergebnis der vollzogenen Analysen sein. Aber das ist nur ein Randaspekt.
Show, Don’t tell!
Denn während der „Krautreporter“ in langen, abstrakten Artikeln die Auswirkungen des Nahostkonflikts auf Erdbeerbauern in Gaza verhandelt oder abwegige Plädoyers über die ethische Notwendigkeit höherer Fleischpreise präsentiert, gelingt es Vox.com gerade auf seinem YouTube-Channel, in kurzen und dabei außerordentlich gut aufbereiteten (um nicht zu sagen: erzählten) Beiträgen auf den Punkt zu kommen. Und zwar – nicht unähnlich der „Krautreporter“-Mischung – zu aktuellen allgegenwärtigen Brandthemen wie im
Special-Interest-Segment.
Eine konzise Analyse von Donald Trumps politischer Ideologie findet dort ebenso statt wie
ein leichtfüßiger Beitrag über Bernie Sanders‘ distinkten New Yorker Dialekt. Eine
emotional einnehmende wie intellektuell schlüssige Kurzreportage über desaströse Krankenhauskeime genauso wie
ein First-Person-Bericht über die Odyssee, die Kosten für eine Entbindung in amerikanischen Kliniken festzustellen. Wie
Highways amerikanische Innenstädte verändert (um nicht zu sagen: vernichtet) haben, findet ebenso statt wie
eine detaillierte Analyse der letzten Minuten der letzten «Sopranos»-Folge. Der Spagat zwischen breiten Themen, die ohnehin in aller Munde sind, und
Special-Interest-Beiträgen, die Themen setzen könnten: Hier ist er bestens verwirklicht.
Allein: Sie werden es gemerkt haben: Im letzten Absatz tauchte das Adjektiv „amerikanisch“ verdammt häufig auf. Was man Vox.com sicher nicht zum Vorwurf machen kann. Aber auch in Deutschland gäbe es genug spannende
White Spots in der täglichen Berichterstattung und neue Blickwinkel für bereits breit diskutierte Themen, die sich (intellektuell wie dramaturgisch wie journalistisch) ähnlich aufbereitet hervorragend erzählen ließen – und damit den vermeintlich kaputten Journalismus im Netz vielleicht nicht im Alleingang retten, ihn aber mit Sicherheit sehr bereichern könnten.