Und die Pein der Stille.
Es ist die hohe Kunst des Kinos: Gefühle und Gedanken einer Figur auf den Zuschauer übertragen, ohne dabei ein Wort zu verlieren.
Regisseur Brian de Palma hat daher weniger Respekt vor Fernsehserien, die in seinen Augen viel zu schwafelig daherkommen, und sehnt sich dem entsprechend nach einem Mehr. Einem Mehr an Weniger: Weniger Wortwechsel, mehr Blicke und somit mehr Raum für Zuschauer, ihre eigenen Gedanken über das Befinden einer Figur zu machen.
Der vielsagende Blick ohne dazugehörigen Dialog ist einer der beliebtesten Kunstgriffe des kultivierten Kinos. Filme, die ihre Wirkung nicht zerreden, sondern frei dastehen lassen, werden von vielen Cineasten daher gefeiert. Immerhin sind dies Produktionen, die es dem Publikum zutrauen, mit ihrem Weltwissen und ihrer Fähigkeit, die menschliche Mimik und Gestik zu deuten, schon noch den Kern dieser Aufnahme herauszulösen.
Every Face Tells A Story | The Language of Cinema from The Royal Ocean Film Society on Vimeo.
Doch in der Kunst kann so ziemlich jedes Schwert ein zweischneidiges sein. Selbst so etwas wie eine kraftvolle, zur Deutung freigegebene, vielsagende Aufnahme eines menschlichen Gesichtes. Es emanzipiert die Betrachter vom Joch des Dialoges, mag man denken. Es reduziert Kino auf seine Urmacht, das Visuelle, mag man feiern. Aber es schließt einen Teil des Publikums aus.
Und ich meine damit nicht etwa Kinder, die noch nicht genug Weltwissen und Erfahrung haben, um ein krummes Lächeln, begleitet von traurigen Augen zu verstehen. Oder von Leuten, die einfach keine Geduld haben, einen Film zu sehen, um dann mit einer Schlussszene wie in «Lost in Translation» noch eine emotionale Hausaufgabe zu bekommen. Ich meine Leute, die einfach ratlos dastehen müssen, wenn der Text verschwindet. Menschen mit Autismus etwa.
Ich feiere «Star Wars – Das Erwachen der Macht» für seinen relativen Mangel an Dialogzeilen, dafür, dass er zwar ein Blockbuster ist, aber die emotionalen Kernmomente der Figuren nicht zerredet, sondern mit Blicken und Gesten ausformuliert. Auch ganz zum Schluss. Neulich sprach ich mit einem «Star Wars»-Fan über diesen Gänsehautmoment – und er meinte, er fand die letzten Minuten des Films zu lang und definitiv langweilig, weil nichts passiert. Denn er, als „Aspie“ hätte nur dagesessen und sich gefragt: „Ja. Und … was nun?“
Des einen Freud, ist tatsächlich des anderen Leid. In diesem Fall konnte ich meinem Gegenüber sagen, was ich in der Szene gefühlt habe, und ich habe den Eindruck, dass er durch unser Gespräch die Sequenz neu zu wertschätzen gelernt hat. Aber ich werde ihm wohl kaum jeden großartigen stillen Filmmoment erklären können.
Mimik deuten – nicht nur für Blinde. Eine weitere Inklusionsfrage, bei der noch viel Nachholbedarf besteht.
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