Marcel Reif? Arrogant. Frank Buschmann? Unlustig. Fritz von Thurn und Taxis? Zu alt. Claudia Neumann? Frau. Béla Rethy? Schlecht vorbereitet. Fußballkommentatoren haben in Deutschland einen schweren Stand. Doch ist das ein nationales Problem? Und woher kommt das überhaupt? Eine Analyse mit O-Tönen von Marcel Reif.
Der Kommentator, das unbekannte Wesen
Was genau soll uns so ein Fußballkommentator eigentlich bringen? Im Stadion kommt man schließlich auch gänzlich ohne aus - und nur, weil im TV ohnehin immer und überall viel zu viel geredet wird, müsste man das nicht zwingend auch bei Sportübertragungen so praktizieren. Es würde schließlich auch niemand auf die Idee kommen, während der Übertragung eines Musikkonzertes die ganze Zeit dazwischenzureden. Außer beim «ESC» natürlich – denn was wäre dieser ohne Peter Urban? Immerhin redet der aber nur zwischen den Songs.
Nein, der Kommentator hat natürlich seine Daseinsberechtigung: Er soll uns unterhalten, uns Hintergrundinformationen bieten und die komplexen und ständig im Wandel begriffenen Regularien erklären. Passives Abseits, Hintertorkamera, Coachingzone, Mehrfachbestrafung. So weit so machbar. Doch soll er uns auch auf einer etwas globaleren Ebene durch das Spiel leiten, uns die Dramaturgie näherbringen und Spielsituationen erklären. Moment – an dieser Stelle wird es bereits schwierig. Setzt man zwei Fußballfans nebeneinander vor den Fernseher, sehen sie vielleicht im Zweifel das Gleiche – aber sicher nicht dasselbe. Foul oder Schwalbe? Ganz klar Ersteres! Oder doch nur Schauspielerei? Abseits oder gleiche Höhe? Keine Frage! Oder doch? Hier trennt sich schnell die Spreu vom Weizen, hier hilft oft nicht mal die fünfzehnte Superzeitlupe. Wenn man etwas sehen möchte, sieht man es auch – und wenn der Kommentator anderer Meinung ist, hat er genau so wenig Ahnung wie der Couchnachbar. Wenigstens da gibt es dann keine zwei Meinungen.
Helfen darf uns der Mann (oder neuerdings die Frau) am Mikro also oft nicht – was also kann er oder sie dann überhaupt leisten - abseits der reinen Informationsbeschaffung? Uns erzählen, dass die Mannschaft, für die unser heißes Sportherz schlägt, einen ganz miesen Tag erwischt hat? Dass nichts funktioniert? Dass so der Abstieg oder die sichere Niederlage droht? Das macht Laune, das möchte man hören. Schnell kommt man hier auf die Idee der Parteilichkeit – oder gar Senilität. Man sieht – ein Selbstläufer ist dieser Job wirklich nicht.
Sisyphos rollt und rollt und rollt den Stein
Und so strampelt sich die Elite des Landes wöchentlich bei verschiedenen Events ab, die Zuschauer zu erhellen, zu erfreuen und am besten nicht zu verärgern. Dabei bieten uns die übertragenden Sender ein breites Spektrum an Charakteren, die für uns durch die Spiele führen. Einige kommen mit halbwegs heiler Haut aus ihren Jobs heraus, andere brauchen nur den ersten Satz zu sagen – und die sozialen Netzwerke glühen.
Ganz nach der Devise
ist der Ruf erst ruiniert dürfte man meinen, sei die Arbeit genau dann am erträglichsten, wenn keiner mehr etwas Positives von einem erwartet. Doch mag das stimmen? Ob es einem Béla Réthy wirklich gefällt, dass bei seiner schlichten Ansetzung für ein Spiel bereits ein tiefer Seufzer durch die Online-Community hallt? Angeblich – so der Tenor – würde dieser nämlich regelmäßig ein völlig anderes Spiel sehen, nicht in der Lage sein, eigene Fehleinschätzungen zu korrigieren und auch sonst eher nicht von einer guten Vorbereitung zehren können. Ob es jemandem auffallen würde, wenn diese Vorbehalte auf einmal gar nicht mehr greifen würden? Aus einer stigmatisierten Sichtweise auszubrechen ist nicht ganz leicht.
Der kann nichts hält sich im Zweifel eben hartnäckiger, als durch gute Leistungen wirklich eine Chance auf Besserung zu erhalten.
Herr Reif erklärt das Spiel
Einer, der wie Réthy schon immer polarisiert hat, der sich aber auch nie hat verbiegen lassen, ist Marcel Reif, der just seinen Rücktritt bei Sky erklärte und bei der aktuellen EM zumindest als Experte für Sat.1 am Start sein wird – jedoch nicht am Mikrofon . Dieses Thema wäre weder von seiner Seite, noch von Seiten des Senders in den Verhandlungen jemals aufgekommen, wie er im Gespräch verriet.
Dieser Reif, den man nur zu gerne mit dem Torfall von Madrid assoziiert, als er mit Günther Jauch aus der Not eine preisgekrönte Zwei-Mann-Comedy-Show gebar, ist keiner, der Zeit seiner Karriere mit Sturzhelm und schusssicherer Weste unter dem Radar flog. An Reif konnte man sich in all seinen Jahren immer reiben – aber eben auch messen lassen. Denn keiner kann Fußball derart philosophisch, analytisch und emotional kommentieren und besitzt sprachlich so viel Witz und Weisheit.
Doch darf man das natürlich auch gänzlich anders sehen: Reif sei überheblich, unnahbar, selbstverliebt, schlecht vorbereitet, fahrig und selbstverständlich Bayern-Fan. Oder BVB-Fan – je nach Gemengelage. Dass derartige Kritikpunkte in den seltensten Fällen mit Argumenten unterfüttert werden, stört die oft anonyme Masse der Kritiker nicht. Legendenbildung geht in Zeiten von Twitter, Instagram und Facebook rasant und einfach. Reif hat sich davon nie irritieren lassen. Wie er uns erklärte:
"Ich habe unsachliche Kritik nie übermäßig ernst genommen. Dazu habe ich einen zu hohen Anspruch an sachliche Kritik. Warum sollte es mich tangieren, ob ich in einer schnellen Spielsituation aus ein paar hundert Metern Entfernung zwei Spieler verwechselt habe? Oder ob jemand denkt, ich sei Fan der einen oder der anderen Mannschaft? Kritik dieser Art war mir über die ganzen Jahre nicht mal lästig, ich habe sie nicht mal als störend empfunden.“ Selbstbewusst ist das ganz bestimmt, sicherlich aber eben auch Teil seines Erfolgsrezepts. Gerade weil man Reif immer mit sachlicher Kritik begegnen konnte. In seinen Worten:
„Kritik sollte persönlich geäußert werden, nicht versteckt hinter einem Spitznamen in irgendeinem anonymen Forum. Wenn mir jemand sagt, „ich bin der und der und finde Sie aus den und den Gründen nicht gut“, ist das völlig in Ordnung für mich. Damit kann ich etwas anfangen.“
Frau Neumann und der Zusammenbruch der Weltordnung
Wäre Reif noch kurzfristig von ARD und ZDF für die EM eingekauft worden – es hätte vermutlich tumultartige Szenen in den Fußballforen der Republik gegeben. Doch wollte man offenbar so gänzlich dann doch nicht auf ein wenig Drama verzichten und kam mit einer ganz anderen Frage um die Ecke, die seit jeher mit einem klaren Nein beantwortet wurde:
Brauchen wir Frauen im Männerfußball? Geht das? Immer dieser neumodische Kram! Dürfen die das überhaupt? So oder so ähnlich mag es dann auch in den deutschen Wohnzimmern geklungen haben, als auf einmal Claudia Neumann wirklich und wahrhaftig ein komplettes Spiel kommentierte. Ganz alleine. Im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen! Ein Wunder eigentlich, dass Twitter und Konsorten diesen Abend überhaupt ohne großflächigen Kollaps überstehen konnten. Seien es nun ihre sich überschlagende oder wahlweise zu dünne Stimme, das Fehleinschätzen von Spielsituationen oder teils krumme Gedankengänge gewesen – irgendwas war ja immer! Dabei ist das schlimmste, was man Claudia Neumann nach ihren ersten beiden Einsätzen attestieren kann: Sie kommentiert in jeder Hinsicht wie ein Mann – zwar leider nicht wie ein außergewöhnlich guter, aber vollkommen im Rahmen dessen, was die Kollegen in den anderen Spielen abliefern.
Buschi und Fritz haben den Kumpel-Faktor
Neben den vermeintlich selbstherrlichen Denkern wie Reif oder den genauso vermeintlich Ahnungslosen wie Réthy gibt es aber auch noch die Gattung der netten Typen von Nebenan. Die, mit denen man ein Spiel auch gerne in der Kneipe schauen würde. Weil sie mitleiden, Humor und Herz besitzen und auch mal über sich selber lachen können. Ein Vorzeigemodell ist hier natürlich Frank Buschmann, der inzwischen zwar eher nur noch in der beliebten Fifa-Videospiel-Reihe das Treiben rund um das Runde und das Eckige kommentiert, der aber nicht nur beim DSF, für Arena oder Liga total! in der Vergangenheit auch oft genug live im Einsatz war.
Nun gut - der Buschi konnte jahrelang bei «Schlag den Raab» (und auch heute noch bei «Schlag den Star») sogar Handstandeierlaufen in Pumps oder Stecknadelweitpusten kommentieren, als würde gerade das Sportevent des Jahrtausends ablaufen – dass er hierfür jedoch eher einen Comedypreis verdient hätte, steht auf einem anderen Blatt.
Diesen knautschigen Kumpelfaktor hat im Fußball aber definitiv auch ein Fritz von Thurn und Taxis, der bei Sky mit seinen inzwischen 65 Jahren derart elastisch und pulsierend kommentiert, dass man zeitweise geneigt ist nachzusehen, ob er vielleicht ein ganz anderes, viel aufregenderes Parallelspiel kommentiert, als das, was über den heimischen Fernseher flimmert. Dennoch ist von Thurn und Taxis ein Kommentator der alten Schule, einer wie Töpperwien, der die Emotionen des Sports transportieren kann und dabei schon mal wie der Fan auf der Tribüne die Orientierung verliert. Das wirkt meist völlig uneitel, liefert aber eben auch genug Ansatz für Spott. Ob es die ständige Aufbietung von Standard-Phrasen ist (
„der ist quick, der ist schnell!“) oder das gebetsmühlenartige Umdeuten von eindeutigen Spielszenen – der alte Fritz wagt sich immer furchtlos weit hinaus und lebt nonchalant mit der Angriffsfläche. Muss man mögen.
Der Rockstar unter den Mikrofonakrobaten
Doch gibt es auch einen, auf den sich scheinbar alle einigen können - Wolff Fuss, der bereits von 1999 bis 2009 bei Premiere und seit 2012 wieder bei Sky aktiv ist und der dort nicht erst seit dem sich anbahnenden Abgang von Reif zum Tafelsilber des Senders wurde, vereint die, die sich Humor und Lockerheit wünschen und kann aber auch bei denen punkten, die es lieber nett, solide und gediegen haben. Fuss ist ein Allroundtalent - jemand der analysiert und selbst schwächere Momente mit Charme und Natürlichkeit überspielt.
Dass er dazu noch jegliche Eitelkeit vermissen lässt, das Spiel immer wichtiger nimmt als sich und dazu noch erfolgreich wortakrobatisch tätig ist hilft sicherlich auch - somit ist Fuss beim Live-Fußball wie auch seit 2016 an der Seite von Frank Buschmann bei der Fifa-Reihe Sympathieträger und -garant.
Die Konsensfähigen
Den geringsten Widerstand erfährt aber dieser Tage als Kommentator, wer möglichst wenig Späßchen einbaut, Metaphern vermeidet, Spielsituationen lieber aus einer gute Deckung vage beschreibt als interpretiert und sich selbst dabei jederzeit dezent und schamvoll im Hintergrund hält. Bloß nicht unangenehm auffallen! Gerd Gottlob ist einer, der diesen Spagat lebt – Floskeln sucht man vergeblich, markige Worte sind Mangelware.
Gottlob leitet unaufgeregt und sprachlich mehr als geschmeidig durch das Spielgeschehen. Für die einen ist das segensreich, die anderen dösen gepflegt ein. Zumindest aber bleibt ihm so in der Regel der kollektive Aufschrei erspart, der bei anderen durch die Netzwerke geistert. Auch Steffen Simon oder Oliver Schmidt gehören eher in die Gattung der netten Schwiegersöhne von Nebenan. Und sofern man ohne größere Ecken und Kanten leben kann und den Kommentar eher wie eine fahrstuhlmusikartige Hintergrundbeschallung wahrnimmt, sind diese Köpfe vermutlich die beste Wahl.
Schweigen im Walde
Immer wieder gerne gefordert wird auch die Tonoption
Stadionton – auf diese Weise, so die Denke, müsste man die überflüssigen Ergüsse der kollektiven Unfähigkeit schlicht nicht mehr ertragen. Doch wenn irgendwann dank modernster Technik überhaupt keine Fehlentscheidungen mehr getroffen werden und zudem niemand mehr da ist, über dessen Kommentare wir uns aufregen können und alles nur noch zahnlos dahinkickt – dann verliert der Sport – jeder Sport – seinen Reiz. Hoffen wir also, dass uns eine Spur Unberechenbarkeit und Fehlbarkeit erhalten bleibt. Im Zweifel eben zumindest am Mikrofon.
Sind wir nur in Deutschland so schwierig?
Man möchte vielleicht annehmen, dass Deutschland in dieser Kategorie eine Sonderstellung einnimmt, doch gilt hier wie überall: Was gilt schon der Prophet im eigenen Land? Ob in England, Skandinavien oder gar den USA – überall ist der eine zu laut, der andere zu leise, der eine nicht im Bilde und der andere überheblich in seiner Schlauheit. Marcel Reif sieht das ähnlich:
„Die Kritik an den Leistungen der Kommentatoren ist kein deutsches Phänomen – das war zu allen Zeiten so, ob in Deutschland, der Schweiz oder anderswo. Sie erregt heutzutage durch die sozialen Netzwerke nur viel mehr öffentliches Interesse.“ Es kommt uns letztlich also nur so vor, dass die Kritik immer mehr zunimmt – dank der vielfältigen Kommunikationswege erreichen uns minütlich Informationen, die im Normalfall an uns vorbeigegangen wären. Und immer bleibt mal hier und mal da ein Fetzen hängen und ergänzt ein schräges und eigentlich weitestgehend unvollständiges Bild eines Sachverhaltes, für dessen Bewertung uns realistisch betrachtet schlicht die Informationen fehlen.
Nur so funktioniert es heute – über die Masse, die wir durch das, was uns der technologische Fortschritt bringt, selber erzeugen und zunehmend anonymisieren. Reif macht sich in diesem Zusammenhang gar Sorgen:
„Die sozialen Netzwerke erzeugen eine Pseudomasse, deren Auswirkungen mich am ehesten deswegen tangieren, weil ich mit den jüngeren Kollegen fühle, die damit schon zu Beginn ihrer Laufbahn umgehen müssen.“ Und sicher ist es kein Segen, heutzutage in eine Karriere als Live-Kommentator zu starten. Die Kritik bewegt sich häufiger weit unter als über der Gürtellinie, jeder Fauxpas wird genüsslich ausgewalzt und in Sekundenschnelle verteilt - die Angst vor Fehler wächst und drückt auf die Leistungsfähigkeit. Dass es dennoch so viele versuchen, sollte man mit ein wenig Dankbarkeit zur Kenntnis nehmen. Denn genau wie sich die Meisten von uns nicht als Bundestrainer eignen würden, wäre bereits beim Versuch, ein Fußballspiel halbwegs brauchbar zu kommentieren, schnell Schichtende. So fair und ehrlich sollte jeder zu sich und anderen sein.