Christopher Booker behauptet: Es gibt nur sieben Grundstories auf der Welt. Das mag stimmen. Doch muss man deshalb ständig ehemals gute Ideen immer wieder durch den Wolf drehen und neu verwursten? Und wozu führt das?
Was wünschen sich der Otto-Normal-Konsument oder der erfolgshungrige Studioboss? Neue Ideen? Gibt´s laut Mr. Booker nicht. Dann wenigstens ein kreativ zusammengewürfeltes Potpourri bekannter Ideen? Kommt gelegentlich vor. Historienfilme? Gerne mal. Romanverfilmungen? Bringen oft gutes Geld ein. Fortsetzungen bekannter Reihen? Jederzeit. Doch gibt es seit einigen Jahren noch einen weiteren Trend, der zur Sorge Anlass gibt: Das weite Feld des Reboot, Remake oder Revamp. Also in etwas weniger knackigen Worten, das neuerliche Aufwärmen eines bereits verfilmten Stoffes – genau wie früher, diesmal in Farbe, mit neuen Schauspielern, mit kreativen Kniffen oder gleich ganz und absolut neu. Der Markt nimmt oft dankend an, lehnt aber beizeiten auch mal etwas rigoros ab. Ich habe vier Beispiele rausgesucht und wage einen kleinen Ausblick.
Der spinnt doch, der Spiderman
Gehen wir das Ganze mal chronologisch an. Peter Parker alias Spiderman wurde 1962 von Stan Lee und Steve Ditko erschaffen und feierte als Comic-Figur in
Amazing Fantasy Nr. 15 sein Debüt. In den folgenden Jahrzehnten gab es verschiedene Versuche der Umsetzung als Cartoonserie, japanische Realserie oder Animationsserie.
Der große Durchbruch am Massenmarkt gelang jedoch erst 2002 mit der Verfilmung von Sam Raimi («Tanz der Teufel», «Armee der Finsternis») sowie Tobey Maguire und Kirsten Dunst in den Hauptrollen. Mit Willem Dafoe, Alfred Molina und James Franco hatte man starke Antagonisten zu bieten, die Origin-Story war stimmig und die Schauwerte imposant. Drei Teile lang erlebten die Helden ihre Abenteuer und sorgten für Box-Office-Bestwerte. Wegen Streitigkeiten über das Drehbuch wurden die Arbeiten am geplanten vierten Teil zuerst verzögert, später begrub Sony das Projekt komplett und verzichtete in Zukunft auf die Mitarbeit von Maguire, Dunst und Sam Raimi.
Stattdessen hob man fünf Jahre nach dem dritten Teil ein Reboot aus der Taufe und versetzte den Helden zurück in seine Highschool-Zeit. Mark Webb führte Regie, Andrew Garfield übernahm die Titelrolle. Leider schmeckte dem Publikum dieser Versuch, die bereits erzählte Geschichte neu aufzuwärmen, nur noch schal. Konnte der erste Teil noch halbwegs zufriedenstellen, fiel der zweite komplett und zurecht durch und blieb auch in Sachen Einspielergebnis hinter den Erwartungen zurück.
Mal wieder ging man in Klausur – und kündigte schließlich ein weiteres Reboot an. So sollte der Spinnenmann in Zukunft im Rahmen des
Marvel Cinematic Universe auftauchen. In «The First Avenger: Civil War» übernahm Tom Holland die Rolle von Peter Parker und wird nun auch bald im geplanten Solo-Film zu sehen sein.
Ob derart viele Anläufe für und ein und dieselbe Geschichte – die Sam Raimi zudem bereits meisterhaft auserzählt hatte – jedoch wirklich nötig sind, fragt leider niemand. Zuallerletzt die Zuschauer.
J. J. belebt einen Dino neu
Es war einmal ein Franchise, das von vielen geliebt wurde und bereits 36 lange und erfolgreiche Jahre auf dem Buckel hatte – und doch just mit seinem zehnten Kinofilm sein persönliches Wolf 359 erlebt hatte. Die Rede ist natürlich von «Star Trek» und hier genauer vom vierten Film um Captain Picard namens «Star Trek: Nemesis». Nicht nur, dass die Kritiken sich nur im moderaten bis unterdurchschnittlichen Bereich bewegten, vor allem das Einspielergebnis an den Kinokassen war ein Desaster und beendete die Reise der zweiten Kinocrew so abrupt und auf ähnlich unschöne Weise, wie NBC 1969 die TV-Reise der Ur-Serie um Captain Kirk ohne richtigen Abschluss ins Sto´Vo´Kor geschickt hatte.
So sprach Apoll in seinem Tempel: Was tun? Zuerst wartete Paramount. Und wartete. Doch 2007 unterschrieb ein gewisser J. J. Abrams den Vertrag, den neuen Trek-Film nicht nur zu produzieren, sondern auch gleich Regie zu führen. Sein Ansatz: So wenig Trek wie nötig, so viel Mainstream wie möglich. Okay – das ist natürlich übertrieben zynisch. Doch war Abrams eben schlicht kein Trekkie. Das stellte sich jedoch nicht als Nachteil heraus. Er kannte immerhin Spock und Kirk und wollte daher auf jeden Fall zurück zur ersten Crew. Der Story-Ballast von zehn Filmen und über 700 Episoden war ihm ein Dorn im Auge, daher favorisierte er einen kompletten Neustart. Und er überließ das Drehbuch erfreulicherweise und trotz seiner Vorbehalte zwei Autoren, die zwar letztlich kein Meisterstück in Sachen Story ablieferten, aber immerhin derart viele Anspielungen auf das alte Franchise unterbrachten und den Humor so perfekt trafen, dass der Film zu einem Riesenvergnügen wurde. Zumindest für die Meisten, denn die Gruppe der Trekkies, die mit nichts zufrieden sind, meldete sich selbstverständlich und wie üblich lautstark ebenfalls zu Wort. Besonders als drei Jahre später der zweite Film «Star Trek Into Darkness» (erneut von Abrams) auf den Markt kam und nicht nur einen alten Fanliebling erneut und für viele unpassend verbriet, sondern auch noch auf dem dünnen Eis des Plagiats wanderte. Unterhaltsam war es aber dennoch.
Insgesamt muss man schlicht konstatieren: Es gab nach dem Absturz 2002 keinen besseren Weg für die Reihe. «Star Trek» war endlich wieder frisch, modern, zeitgemäß und traf den Nerv der Zeit. Wem das zu wenig ist, schaut doch einfach weiter die alten Filme und Serien. Wer sich jedoch darauf einlassen kann, ist auch in Zukunft sicher herzlich willkommen zu neuen Abenteuern. Bis zum nächsten Wolf 359. Und so überwiegt vor dem Kinostart des dritten Abenteuers (diesmal unter der Regie von Justin Lin) dann auch die Vorfreude. «Star Trek Beyond» kann kommen.
Aus Psüücho wird Psaaaaiko
Es war vermutlich einer der größten WTF- und Fremdschäm-Momente, die ich je im Kino erleben durfte. Da läuft doch allen Ernstes 1998 ein Trailer für die Neuverfilmung des Hitchcock-Klassikers «Psycho», der sich am Ende mit pathetisch-eindringlicher Stimme rühmt, nun statt (des deutsch ausgesprochenen) «Psycho» (das übertrieben englisch ausgesprochene) «Psycho» im Angebot zu haben. So weit, so albern. Dass Regisseur Gus van Sant dann aber noch meinte, das Original fast originalgetreu neu verfilmen zu müssen, nur mit Farbe und anderen Schauspielern, schlug dem Fass den noch vorhandenen Restboden aus.
Zugestanden: Mit Anne Heche, Robert Forster, Vince Vaughn, Julianne Moore, Viggo Mortensen, William H. Macy und James Remar versammelte man einen starken Cast, die Optik war edel und die Handlung weiterhin spannend.
Doch wem nützt so etwas? Wer hat einen Mehrwert davon? Menschen, die keine Schwarz-Weiß-Filme schauen möchten? Dafür ist es aber eben in letzter Konsequenz ein Klassiker – der darf das! Gus van Sant fügte dem Thema nichts Relevantes hinzu, hatte keine Vision oder Kreatividee. Er wollte offenbar nur selber gerne einmal Hitchcock spielen und Psycho drehen. Sogar samt Cameo. Sorry, aber so etwas ist pure Geldverbrennung.
Der kleine James B. wird erwachsen
Eines hatte man im Jahr 2002 ganz klar erreicht: Eine erfolgreiche und florierende Kinoreihe trotz guter Box-Office-Ergebnisse und eines starken Hauptdarstellers inhaltlich fast vollständig zu ruinieren. Hatte Pierce Brosnan mit «GoldenEye» zum Einstand noch ein starkes Script verfilmen dürfen, setzte bereits danach ein Comic-Einschlag ein, der die Reihe von nun an begleiten sollte.
Der größenwahnsinnige Medienmogul in «Der MORGEN stirbt nie» war zwar durchaus eine clevere Idee, konnte aber nie die Gewässer des Unglaubwürdigen verlassen. «Die Welt ist nicht genug» brachte dann wieder ein wenig mehr Seriosität in die Reihe, doch zerstörte man dieses zarte Pflänzchen der Hoffnung in «Stirb an einem anderen Tag» endgültig – spätestens als man den bemitleidenswerten Brosnan in schlimmstem CGI Wasserski auf Island fahren ließ. Oder war es doch Madonna als Fechtlehrerin? Fakt ist: An Brosnan lag es zu keiner Zeit, doch wurde er letztlich zum Bauernopfer einer großangelegten Neuausrichtung der Reihe.
Vier Jahre später betrat ein gewisser Daniel Craig die Bühne und sorgte für Stirnrunzeln bei eingefleischten Fans der Kinoreihe. Dieser Mann war optisch so gar kein Sean Connery, Roger Moore oder Pierce Brosnan. Dieser Mann wirkte gestählt, unnahbar, ein wenig brutal und gefährlich. Leser der Original-Bücher von Sir Ian Fleming jedoch dürften schon damals aufgemerkt haben: Exakt so beschrieb der Autor seinen Helden in seinen Büchern oft – herb, zynisch, verbittert und nicht frei von Makeln. Und wirklich: Nach inzwischen vier Filmen muss es einfach gesagt werden, dass niemals zuvor ein Bond so nah an dem Büchern dran war.
Da half es sicherlich auch, dass man bezüglich der Story zurück an den Anfang ging und Bond sein allererstes Abenteuer erleben ließ. Stilecht und konsequent wählte man Flemings ersten Bond-Roman «Casino Royale» als Vorlage. Ansonsten ging es radikal zu: Einzig Judi Dench als M durfte bleiben, Q kam im Film (wie im Buch) nicht vor, für Moneypenny (hatte im Buch zumindest eine Szene) galt das gleiche und man verzichtete zunächst sogar auf das obligatorische Intro mit dem Schuss. Und auch der ikonische Spruch
geschüttelt, nicht gerührt kam Bond nicht über die Lippen. Er bestellte seinen Martini lieber wie von Fleming im Roman beschrieben
mit drei Teilen Gordon’s, einem Teil Wodka, einem Schuss Kina-Lillet; schütteln Sie es mit Eis und geben Sie einen Streifen Zitronenschale dazu. Als er dann später von einem Kellner gefragt wurde, ob er seinen nächsten Drink geschüttelt oder gerührt bevorzuge, setzte es den brutalen Konter:
Sehe ich aus, als ob mich das interessiert?. Hier dürfte Puristen der Filmreihe ihrerseits der geschüttelte Martini aus der Hand gekippt sein. Spätestens.
Und doch: Man gönnte der Filmreihe einen zwingend nötigen Reset, erdete sie in Sachen Drehbuch, fuhr eine härtere Schiene und überließ die Humorsparte kleinen, ironischen Momenten.
Ob (der schwächere) «Quantum of Solace», «Skyfall» oder «Spectre» – die Reihe hat sich ein neues Leben geschenkt und zuletzt regelmäßig ihre eigenen Box-Office-Rekorde gebrochen. Da mutet es fast enttäuschend an, dass Craig in Zukunft nicht mehr Teil dieser Erfolgsgeschichte sein möchte. Man kann nur hoffen, dass der eingeschlagen Wege dennoch beibehalten wird und wir als nächstes einen ebenso werkgetreuen Bond bekommen, wie zuletzt viermal mit Craig.
Grüner ALF, Mrs. Jones & Honey in the Head
Die nahe Zukunft hält bereits wieder einige neue Reboot- oder Remake-Überraschungen für uns bereit. «Baywatch» darf sich (mit The Rock und David "The Hoff" Hasselhoff) im Kino versuchen, der findige «MacGyver» erhät ein neues Serienleben mit veränderter Prämisse (und ohne Richard Dean Anderson), die «Ghostbusters» sind zum Schaudern vieler Fans nun weiblich und schwimmen mit ihren Riesenwummen klar auf der Klamauk- und Actionwelle (zumindest wenn man den Trailern glauben darf) und Til Schweiger dreht seinen wundervollen Film «Honig im Kopf» in den USA unnötigerweise einfach noch einmal – immerhin aber mit Michael Douglas.
Fehlt eigentlich nur noch ein grüner «ALF» mit Tentakeln (oder vielleicht gleich einer mit Sixpack und besten Manieren?), der in einer schicken Villa mitten in den Hamptons abstürzt, das lange befürchtete «Indiana Jones»-Reboot mit neuem und coolen Hauptdarsteller oder vielleicht Die Waltons: The Next Generation? Man könnte auch «Mr. Ed» zurückbringen und ihn in bestem CGI nicht nur Sprechen sondern auch die Welt retten lassen. Oder wäre das dann schon wieder zu viel Kreativleistung?
Conclusio
Die Industrie tickt wie sie tickt. Man muss einfach akzeptieren, dass Verantwortliche und auch Kreative den Drang verspüren, etwas, das schon einmal erfolgreich war, nochmal ganz anders (oder im Zweifel eben auch fast genauso) zu machen. Sei es, um einen vermeintlich cleveren eigenen Dreh auszuleben oder aus rein monetären Überlegungen.
Steckbrief
Björn Sülter ist bei Quotenmeter seit 2015 zuständig für
Rezensionen,
Interviews &
Schwerpunkte. Zudem lieferte er die Kolumne
Sülters Sendepause und schrieb für
Die Experten und
Der Sportcheck.
Der Autor, Journalist, Podcaster, Moderator und Hörbuchsprecher ist Fachmann in Sachen
Star Trek und schreibt seit 25 Jahren über das langlebige Franchise. Für sein Buch
Es lebe Star Trek gewann er 2019 den
Deutschen Phantastik Preis.
Er ist Headwriter & Experte bei
SYFY sowie freier Mitarbeiter bei
Serienjunkies, der GEEK! und dem FedCon Insider und Chefredakteur des Printmagazins
TV-Klassiker und des
Corona Magazine.
Seine Homepage erreicht ihr
hier, seine Veröffentlichungen als Autor auf seiner
Autorenseite.
Das Gute ist: Egal ob Reboot, Remake oder Revamp – das Urprodukt bleibt zum Glück erhalten. Niemand wird genötigt, das liebgewonnene Kleinod durch etwas Neues zu ersetzen. Das mag dann in letzter Konsequenz dazu führen, das man als ewig gestriger Kauz durchgeht, erspart aber im Zweifel auch viel unnötigen Ärger. Jeder Generation sei das gegönnt, was sie hervorbringt – und wenn es eben der grüne «ALF», eine weibliche «Indiana Jones» oder ein weißer Darth Vader ist, der den bösen Luke zur Strecke bringt. Wir werden damit leben müssen.
Der Sülter hat für heute Sendepause, ihr aber bitte nicht – Wie sind eure Erfahrungen? Gibt es Reboots oder Remakes die für euch einen Segen darstellen? Oder solche, die wirklich überhaupt nicht gehen? Was macht ein Remake gut? Was macht es kaputt? Wie steht ihr zu meinen Beispielen? Habt ihr eigene? Denkt darüber nach und sprecht mit anderen drüber. Gerne auch in den Kommentaren zu dieser Kolumne. Ich freue mich drauf.
In 14 Tagen sehen wir uns zur nächsten Ausgabe von «Sülters Sendepause».
Die Kolumne «Sülters Sendepause» erscheint in der Regel alle 14 Tage Samstags bei Quotenmeter.de und behandelt einen bunten Themenmix aus TV, Film & Medienlandschaft.
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