Enttäuschung und Unsicherheit macht sich nach dem historischem EU-Referendum auch in der Film- und Fernsehbranche breit. Angst um Investitionen, Fördermittel und die wirtschaftliche Zukunft bestimmen auch hier den Alltag.
Zunächst einmal: Keine Sorge, liebe «Game of Thrones»-Fans! Euer heiß geliebtes Fantasy-Spektakel, momentan weltweit eine der populärsten Serien, ist sicher. Der Bezahlsender HBO veröffentlichte wahrscheinlich in Erwartung möglicher Spekulationen und Ängste, die nach dem Brexit-Votum entstehen könnten, schon sehr zeitnah ein Statement: „Wir rechnen nicht damit, dass das EU-Referendum irgendeinen negativen Effekt auf die HBO-Produktion von «Game of Thrones» haben wird.“ Zwar wird die Serie teilweise in Nordirland gedreht und kann dort einige Steuervorzüge genießen, dennoch hat sie nie irgendeine Form Finanzierung durch die EU genossen.
Angst und Unsicherheit in einem riskanten Markt
Die Sorge mag in der momentanen Situation albern und banal erscheinen. Film- und Fernsehproduzenten und generell Menschen, die in der Unterhaltungsbranche tätig sind, müssen einen möglichen Fallout, der durch die umstrittene Entscheidung entstehen kann, jedoch durchaus in Betracht ziehen und sich darauf einstellen. Auch für Zuschauer gilt, ganz egal, wie man zu der Brexit-Frage politisch stehen mag, dass zumindest eines sicher ist: Wir wollen alle unsere Filme und TV-Serien in Zeiten der unmittelbaren Unterhaltungsbefriedigung möglichst schnell auf dem heimischen Fernseher oder der nächsten Kinoleinwand sehen. Was passiert allerdings, wenn den beliebten Inhalten neue Grenzen in den Weg gestellt werden? Im Moment greifen zunächst noch Spekulationen, Unsicherheiten und Ängste in der internationalen Film- und Fernsehbranche um sich, die allerdings zu einer relativ niederschmetternden Realität werden könnten, je nachdem, wie sich der EU-Austritt in den nächsten zwei Jahren gestalten wird.
Quote für europäische Inhalte
Erst kürzlich forderte die Europäische Union Streaming-Dienste wie Netflix und Amazon dazu auf, eine 20 Prozent Quote für europäische Inhalte einzuführen. In etwa der Hälfte der EU-Mitgliedsländer existiert eine solche Quote bereits: in Frankreich z.B. 60 Prozent, in Spanien 30 Prozent und in Tschechien 20 Prozent. Einige Nachteile liegen jedenfalls jetzt schon auf der Hand: Nicht selten kommt es vor, dass Film- und Fernsehproduktionen, wegen passenden Locations, günstigeren Arbeitsbedingungen oder aus welchen Gründen auch immer, ins Ausland verlegt werden. Britische Schauspieler, Regisseure, Produktionsfirmen und deren gut ausgebildeten Crewmitglieder konnten sich dank der offenen Grenzen frei in EU-Ländern bewegen und arbeiten. Nun könnten ihnen jedoch neue, bürokratische Hürden in den Weg gestellt werden, die Produktionen unnötig aufhalten würden.
Michael Ryan, der Vorsitzende der Independent Film and Television Alliance (IFTA), sieht in der Entscheidung ein unnötig großes Risiko. Film- und Fernsehproduktionen seien von vornherein ein riskantes Unterfangen, „Sicherheit bei den Regeln, welche dieses Geschäft beeinflussen, sind ein absolutes Muss.“ Geschäftsbeziehungen zu Ko-Produzenten und Verleihern sind gefährdet. Es könnten neue Steuern auf bereits in den EU-Ländern stattfindende Produktionen erhoben werden. Insbesondere für Independent-Produktionen könnte es sich schwieriger gestalten, ohne die Unterstützung europäischer Finanzierungs-Institutionen, Gelder zu beschaffen. Förderungen und Finanzierungen von Fernsehprojekten könnten ebenfalls in Gefahr sein. So erhielt z.B. die Sky-Atlantic-Serie «The Last Panthers» einen EU-Finanzierungszuschuss von 1 Millionen Euro. Ein Beitrag, der zukünftig vielleicht nicht mehr gewährleistet werden kann.
Ingesamt 2,2 Millionen britische Arbeitnehmer im kreativen und digitalem Sektor könnten von diesem Einschnitt und dessen bisher nicht abzusehenden Folgen betroffen sein. Großbritannien exportiert seinen Service in dieser Branche auch ins Ausland und erwirtschaftet auf diese Weise Beträge in der Höhe von mehreren Milliarden. Ein Sektor, der also essentiell für das Wirtschaftswachstum ist, so dass auch Chair of Labour Alan Johnson glaubt, dass der britische Kreativzweig in der EU besser aufgehoben ist.
Autoren, Künstler und Schauspieler auf beiden Seiten des politischem Spektrums
Es ist also nicht verwunderlich, dass sich schon vor dem Referendum auch britische Künstler, Schauspieler, Autoren und Musiker zusammenfanden und einen offenen Brief unterschrieben, der für ein Bleiben in der EU plädierte. Darunter befanden sich unter anderem Keira Knightley, Jude Law, Benedict Cumberbatch und Sir Patrick Stewart, um nur ein paar der prominentesten zu nennen. In der Europäischen Union sehe man sich in Kreativität und Imagination gestärkt. Weiterhin hätte ein Austritt kreative Grenzen zur Folge. Es sei ein Schritt ins Ungewisse, der ungeahnte Auswirkungen auf die kreative Wirtschaft im Großbritannien hätte.
Britische (Ko-)Produktionen, die finanzielle Unterstützung durch das MEDIA-Programm der EU erhalten haben (Auswahl)
- «The King's Speech»
- «Die Queen»
- «Philomena»
- «Slumdog Millionär»
- «Hunger»
- «Die Frau in Schwarz»
- «Dame König As Spion»
- «An Education»
- «Under the Skin»
- «Mr. Turner»
- «Sightseers»
- «Berberian Sound Studio»
- «Shaun das Schaf – Der Film»
In den vergangenen zehn Jahren flossen seitens der EU ca. 130 Millionen britische Pfund in die Förderung des UK-Filmmarktes
Künstler, die am anderem Ende des politischen Spektrums stehen, sehen das natürlich anders. Der konservative Autor Michael Dobbs, der die Romanvorlage zur britischen Mini-Serie «House of Cards» schrieb, die wiederum als Vorlage für die amerikanische Version diente, vertritt einen anderen Standpunkt. Er sieht die Gründe für den Erfolg britischer Produktionen nicht in einer Mitgliedschaft in der EU, sondern in harter Arbeit, Talent und kreativen Fähigkeiten, die in der britischen DNA vergraben sind. Für seine Argumentation zieht er Griechenland als Negativbeispiel heran. Einst Mittelpunkt der Zivilisation, sei das Land jetzt nicht mehr von großen Philosophen und Denkern, sondern dank EU-Restriktionen von Bettlern bewohnt und mit Bergen verrottendem Mülls überfüllt.
Kontroverse Meinungen, welche die Emotionen nicht nur im Kreativsektor weiter hochkochen lassen. Vieles hängt davon ab, wie die Verhandlungen zum eventuellem Ausstieg über die nächsten zwei Jahre geführt werden und natürlich was dabei heraus kommt. Potentiell ist viel möglich, und vieles davon erscheint nicht gerade positiv. Der Aktienmarkt war am Freitag nach dem Votum nicht unbedingt versöhnlich. Die Werte der Anteile des TV-Giganten Sky sanken um 8 Prozent, die von itv fast 19 Prozent, der Preis der eOne Aktie sank um 10 Prozent, Die britischen Pinewood Studios hatten dagegen mit einem Absinken um 3 Prozent noch relatives Glück. Einig scheint man sich in der Branche jedoch zu sein, dass die Kurzzeit-Folgen für die Medienindustrie eher negative Tendenzen annehmen werden.
Enttäuschung und Machtlosigkeit auf Produzentenseite
Industrieveteran und Produzentenmogul Harvey Weinstein machte seinem Unmut auf dem Cannes Lion Creativity Festival Luft. Er sei nach eigener Aussage, „schockiert“ über das Abstimmungsergebnis und sieht eine Art „Diskriminierung“ von britischen Produktionen in EU-Ländern voraus. Diese müssen nämlich eine bestimmte Quote für europäische Inhalte erfüllen. Eine Forderung der EU, wonach 20 Prozent der Inhalt bei Streaming-Dienste wie Netflix und Amazon europäisch sein sollten, sorgte erst kürzlich für Furore. Auf eine Show, wie die von Weinstein mit-produzierte Mini-Serie «Krieg und Frieden», könnte sich das nachteilig auswirken. Das Votum sieht Weinstein dementsprechend kritisch: „Die Menschen, die gewählt haben, haben aus Angst gewählt. Es ist ein großer Fehler.“
US-Studios, die sowieso schon Verluste wegen Währungsfluktuationen in Europa und Russland in den letzten zwei Jahren hinnehmen mussten, verdienen künftig weniger Geld. Auf der anderen Seite könnten viele Hollywood-Produktionen, die in Großbritannien verortet sind, von dem niedrigem Stand des Pfunds profitieren und günstiger werden. Disney, dementsprechend Marvel und Lucasfilm, Universal und Fox bringen ihre Produktionen regelmäßig in die britischen Studios. «Star Wars» wird zum Teil in den britischen Pinewood-Studios gedreht, Warner Bros. hat sogar ein eigenes Studiogelände in London. Trotzdem bleiben Medienunternehmen besorgt, denn Fox, Time Warner, Disney, Discovery, Netflix und Viacom sind mittlerweile extrem von ausländischen Kino- und Fernsehmärkten abhängig. Grenzen, im buchstäblichen und übertragenem Sinne, sind immer hinderlich, wenn es darum geht, Inhalte zu verbreiten.
Große Medienunternehmer im europäischen Raum zeigten sich zwar ebenfalls enttäuscht vom Referendum, wollen aber verständlicherweise nicht die Flinte ins Korn werfen. Bertelsmann, in Großbritannien durch Fremantle Media vertreten, beschäftigt etwa 5500 Mitarbeiter und generiert dort große Einnahmen (ein Umsatzvolumen von etwa 1.7 Milliarden Euro) und möchte trotz der großen Unsicherheiten selbstverständlich am britischen Markt festhalten. ProSiebenSat.1 investiert ebenfalls in britische Produktionsfirmen, Inhalte und Talente und auch wenn man das nicht ändern möchte sowie keine direkten Probleme bei diesen Investitionen sieht, gesteht man jedoch ein, dass sich generelle Investitionskonditionen durch das Brexit-Votum erschwert haben.