Stell dir vor es ist EM-Halbfinale, das Spiel steht auf Messers Schneide und plötzlich ist das Bild weg. Und das nicht nur fünf Sekunden lang…
Man stelle sich vor: Deutschland spielt nun im EM-Halbfinale gegen Frankreich. Es ist – zur Abwechslung bei diesem Turnier mal – ein verdammt spannendes Spiel. Wir gehen in die zweite Halbzeit, Jogis Jungs verteidigen ihre 1:0-Führung mit Mann und Maus und plötzlich ist das Bild weg. Eine Sekunde, zwei Sekunden, zehn, 20… Nun soll man wahrlich nichts verschreien – aber genau das passierte vor acht Jahren.
Über sechs Minuten lang konnten an die 30 Millionen Fußballfans nicht exakt verfolgen, was ihre Jungs damals auf dem Platz anstellten. Es war das Worst-Case-Szenario für das damals übertragende ZDF und natürlich auch für den Verband UEFA, der für die Herstellung des Weltbildes verantwortlich war und auch heute noch ist. Die Mannschaft von Jogi Löw, immer noch beflügelt vom Sommermärchen zwei Jahre zuvor, spielte zunächst nervös, rettete sich aber mit einem 1:1 in die Pause. Bei diesem Spielstand blieb es dann auch bis das Bild ausfiel. Das Spiel stand quasi auf Messers Schneide, als im über 800 Kilometer entfernten Wien ein kräftiges Unwetter aufzog. Die deutsche Nationalmannschaft bekam davon, in Basel spielend, nichts mit.
Dafür aber die TV-Teams, die in Wien ihr Quartier bezogen hatten und dort im internationalen Sendezentrum arbeiteten. Drei Mikroausfälle von weniger als einer Millisekunde im Stromversorgungssystem seien durch das krasse Gewitter ausgelöst worden, musste die UEFA am Tag danach bekannt geben. Entsprechend musste das komplette Sendesystem neu gestartet werden. Es gab aber auch noch zusätzliche Pannen. Ein Notstromaggregat habe nicht funktioniert wie geplant, beklagte das ZDF später und sah sich um seine Rekordquote gebracht.
In der Tat: Mit 29,43 Millionen Zuschauern lag der letztliche 3:2-Sieg der Deutschen zum damaligen Zeitpunkt nicht auf einem neuen Rekordlevel. „Durch den Bildausfall haben wir die höchste Zuschauerzahl aller Zeiten verpasst. Viele Zuschauer waren enttäuscht. Darüber werden wir mit der UEFA zu reden haben", schimpfte ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, während sich die UEFA nur für die Unannehmlichkeiten entschuldigen konnte.
Tore haben die Zuschauer in Deutschland des Unwetters wegen übrigens nicht verpasst. Zwar fiel das Bild bis zum Ende immer wieder aus, doch immerhin war Kommentator Bela Rethy durchgehend zu hören. Er agierte als eine Art Radioreporter – eine Art Herausforderung für ihn, wie der Sportjournalist später zu Protokoll gab. Via Kopfhörer habe er die Anweisung bekommen, genau zu schildern, was auf dem Platz passiere. Nur da geschah nichts, errinerte sich Rethy. Und so kam es dann auch, dass der via Handy zugeschaltete Kommentator nicht mehr synchron mit dem Bild war. Das ZDF hatte sich längst entgegen der Abmachungen mit der UEFA mit dem Signal des Schweizer Fernsehens versorgt: Die hatten ihr Heimatstadion extra mit Glasfaser verkabelt und waren somit nicht auf die Signale aus Wien angewiesen. Als Miro Klose rund zehn Minuten vor Schluss zum 2:1 einnetzte, jubelte Rethy also rund drei Sekunden zu früh. Und auch als die Türken rund fünf Minuten später ausglichen, war seine Enttäuschung vor den Bildern zu hören. Am Ende aber ging alles gut: Dank eines Treffers in der Nachspielzeit von Philipp Lahm.
Übrigens: Aktuell steht das internationale Broadcasting Center in Paris – dort laufen alle Fäden zusammen. Um derartige TV-Pannen zu vermeiden, hat man noch mehr Sicherungen eingebaut. Die wird man aber aller Voraussicht nach nicht brauchen. Für Donnerstagabend ist in der Stadt der Liebe bestes Wetter vorgesagt: Regenwahrscheinlichkeit: Null Prozent.