Netflix und Co.: Das sind die erfolgreichsten Serien

Die Streaming-Anbieter selbst machen um die Einschaltquoten ein großes Geheimnis, andere Quellen wie Variety und Nielsen veröffentlichen trotzdem belastbare Zahlen. Die Ergebnisse über Erfolg und Misserfolg vieler Serien sind überraschend.

Die erfolgreichsten Streaming-Formate im Überblick

  1. «Fuller House» (21,51 Mio.)
  2. «Making a Murderer» (19,35 Mio.)
  3. «Daredevil» (11,65 Mio.)
  4. «The Ranch» (9,54 Mio.)
  5. «Jessica Jones» (9,30 Mio.)
Quelle: Variety, Symphony
Eines zeigen die Zahlen in jedem Fall: Wenn es um Reichweiten und Einschaltquoten von Streaming-Anbietern geht, reden wir nicht über hunderttausende Zuschauer. Wir reden nicht über eine Nische. Wir reden nicht über spezielle Shows für ein spezielles Publikum, das überschaubar ist.

Nein, wir reden über viele Millionen, über ein Mainstream-Phänomen. Ob die Quoten, die Variety und Nielsen nun über Netflix, Amazon und Co. veröffentlichen, nun genau stimmen oder nicht: Zumindest zeigen sie ganz grob, in welche Richtung es bei den Angeboten geht. Nämlich ganz nach oben. Im extremen Fall sogar in Quotenregionen, wo die US-Networks wie NBC und CBS nur noch mit Live-Sport und die Kabelsender mit ihren Hitserien äußerst selten aufsteigen.

Der US-Branchendienst Variety hat im vergangenen Monat exklusiv Zahlen von den großen Streamern veröffentlicht, von Netflix, Amazon und Hulu. Erhoben wurden die Daten vom Anbieter Symphony Advanced Media, der seit 2015 Quoten von digitalen Angeboten misst. Dies geschieht über Audioerkennung der gerade angesehenen Sendungen – ein solches System nutzt beispielsweise auch Media Control in Deutschland für Mediathek-Abrufe. Das Panel von Symphony umfasst rund 15.000 Menschen. Gemessen wurde eine Serie immer innerhalb eines Zeitraums von 35 Tagen nach Veröffentlichung, die Werte gelten außerdem nur für das US-Publikum und nicht weltweit.

Überraschend und spannend sind die Zahlen in vielerlei Hinsicht. Als erfolgreichste Serie im Streaming-Business darf «Fuller House» (Foto) gelten, die Neuauflage des Sitcom-Klassikers bei Netflix. 21,51 Millionen Menschen sahen zu, davon 14,4 Millionen aus der Gruppe der 18- bis 49-Jährigen. Fast jeder zweite amerikanische Netflix-Abonnent schaute die Sitcom damit in relativ kurzer Zeit. Legt man nur die ersten sieben Tage nach Veröffentlichung zugrunde, erreichte «Fuller House» immer noch 10 Millionen Menschen aus der sogenannten „Zielgruppe“.

Im Fernsehen werden solche Werte nur noch von «The Walking Dead» übertroffen, das nach sieben Tagen durchschnittlich 12,1 Millionen jüngere Zuschauer erreicht. Legt man die langfristigen Zahlen zugrunde, kann «Fuller House» sogar als aktuell meistgesehene Serie in den USA gelten. Weit vor solchen klassischen TV-Hits wie «The Big Bang Theory» und «Empire», aber sogar auch vor «Sunday Night Football». Am Tag, als «Fuller House» veröffentlicht wurde, ist laut Symphony die traditionelle TV-Nutzung um drei Prozent gegenüber der Vorwoche gefallen. Besonders ABC-Family-Sitcoms sollen unter dem Neustart gelitten haben.

Eine der erfolgreichsten Dokus aller Zeiten?


Ähnlich erfolgreich wie «Fuller House» ist ein Überraschungskandidat: die Doku-Serie «Making a Murderer», die über einen Zeitraum von zehn Jahren gefilmt wurde. 19,35 Millionen Menschen verfolgten sie, ihr Erfolg kam nicht prompt, sondern über Mund-zu-Mund-Propaganda. Nach sieben Tagen hatte das Format nicht allzu viele Zuschauer, nach 35 Tagen lagen die Werte um 511 Prozent höher. Zum Vergleich: «Fuller House» gewann nur um 59 Prozent. Zu den Gewinnern im Drama-Genre gehören ebenfalls «Daredevil» (11,65 Mio.), «Jessica Jones» (9,30 Mio.), «House of Cards» (9,05 Mio., alle Netflix) und die Stephen-King-Serie «11.22.63» (5,31 Mio.) beim US-Anbieter Hulu. Dort lief auch «The Path» (2,05 Mio.) erfolgreich, legt man die Hulu-Abonnentenzahl von 12 Millionen zugrunde.

Am anderen Ende des Quotenspektrums befindet sich Amazons «Transparent» (Foto). Die Serie gilt schon immer als qualitativ hervorragendes Format, das aber niemand schaut – und die Zahlen belegen das. Nur 1,49 Millionen Zuschauer insgesamt sollen eingeschaltet haben. Zu den schwächsten Serien, für die Symphony Zahlen veröffentlicht hat, gelten sonst noch die beiden Netflix-Comedys «Flaked» und «With Bob & David». Sie erreichten 2,07 und 1,98 Millionen Zuschauer. Ansonsten ist auch das Comedy-Genre auf Knopfdruck beliebt: Nach «Fuller House» ist «The Ranch» (9,54 Mio.) sehr erfolgreich, danach platzieren sich die Animationsserie «F is for Family» (7,07 Mio.), dann «Master of None» (5,85 Mio.) und «Love» (4,09 Mio., alle Netflix).

Insgesamt gelten die Zahlen als belastbar. Im Januar, als Symphony schon einmal selektiv Netflix-Quoten veröffentlichte, kommentierte der Konzern sie zwar als „bemerkenswert ungenau“. Aber die Werte decken sich erschreckend genau mit den – ebenfalls repräsentativen – Zahlen des renommierten Marktforschungsunternehmen Nielsen, das auch die klassischen TV-Quoten misst und selektiv Streaming-Quoten veröffentlicht. Was sind nun also die zentralen Erkenntnisse, die die Branche aus den Daten ziehen kann?

Die sieben wichtigsten Schlussfolgerungen lesen Sie auf der nächsten Seite

Die sieben wichtigsten Schlussfolgerungen aus den Streaming-Quoten:

• Streaming ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen: Die Serien erreichen oft mehr Zuschauer als klassische TV-Formate, manche gehören zu den erfolgreichsten des Fernsehjahres. Als Nischenphänomen gilt das Angebot längst nicht mehr, zumindest nicht in den USA.

• Die klassische Multi-Camera-Sitcom lebt wieder: Sie war in den letzten Jahren quasi tot, fast alle Neustarts der vor Publikum aufgezeichneten Comedys floppten, viele Klassiker wurden eingestellt. Nur Leuchttürme wie «The Big Bang Theory» halten die Fahne hoch. Doch das Genre lebt wieder, «Fuller House» kann sogar als erfolgreichste Serie derzeit gelten. Und auch das andere Multi-Cam-Experiment «The Ranch» (Foto) mit Ashton Kutcher kam sehr erfolgreich an. Prognose: Der Trend wird anhalten.

• Die Nostalgie-Strategie von Netflix funktioniert: Mit «Fuller House» hat man Menschen angesprochen, die früher nicht zur klassischen Zielgruppe des Streaming-Anbieters gehörten. Genau diese Menschen erreichte man, und es ist zu hören, dass «Fuller House» Netflix sehr viele Neu-Abonnenten beschert haben soll. Die Strategie wird fortgeführt, wohl auch bei anderen Anbietern. Noch in diesem Jahr zeigt Netflix die Neuauflage von «Gilmore Girls», über ein Comeback von «Die wilden 70er» wird spekuliert. 2018 kommt der Reboot des Serienklassikers «Lost in Space» (dt. «Verschollen zwischen fremden Welten») aus den 60ern, der wieder ein anderes Publikum zu Netflix lockt.

• Es gibt kaum Verlierer: Natürlich, «Transparent» hat wenige Zuschauer. Ob Amazon das überhaupt interessiert, ist fraglich. Schließlich interessiert in erster Linie die Abonnentenzahl und nicht die genaue Quote einer Serie. Dennoch schneidet das Format vor allem im Vergleich schlecht ab. Bis auf wenige Ausnahmen wie diese erreichten die Serien, für die Symphony Zahlen veröffentlichte, aber mindestens 4 Millionen Menschen, oft mehr. Das zeigt auch, warum derzeit nur ganz wenige Streaming-Shows abgesetzt werden.

• Serien funktionieren langfristig: Ähnlich wie im TV-Kabelgeschäft scheinen viele Staffeln nicht zu Zuschauerverlusten zu führen. «House of Cards» erreichte mit seiner vierten Runde erstaunlich viele Menschen, kürzlich veröffentlichte Nielsen auch Zahlen für die neue Staffel von «Orange is the New Black» (Foto): Satte 6,7 Millionen sahen die erste Episode innerhalb der ersten drei Tage.

• Hulu mischt mit: Der US-Anbieter spielt eine größere Rolle, als man vielleicht glaubte. Seine erfolgreichste Serie «11.22.63» erreichte fast die Hälfte aller Abonnenten und mehr Zuschauer als alle Amazon-Prime-Serien. Der Dienst hat angekündigt, sein Angebot an Original Content stark auszubauen.

• Auch andere Genres funktionieren: «Making a Murderer» ist die wohl größte Quotenüberraschung. Eine Doku als eine der meistgesehenen Sendungen in den USA? Das Format beweist, dass nicht nur Serien funktionieren, und es bestätigt die Entwicklung der letzten Jahre: Erst kamen die hochklassigen Drama-Formate, dann immer mehr Comedys, auch Revivals und Fortsetzungen. Mit Doku-Reihen wie «Cooked», «The New Yorker Presents» und «Chef’s Table» wird experimentiert, kürzlich wurde mit «Chelsea» die erste Late-Night-Show gestartet. Demnächst kommt die Gameshow «Beastmaster». Kurz: Streaming wird in Zukunft noch vielfältiger.
06.07.2016 15:34 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/86662