Der noch taufrische Bezahlsender Sky Arts wagt während der Festspiele von Bayreuth ein Experiment: Eine Kulturübertragung im Stile einer Fußball-Berichterstattung. Quotenmeter.de sprach mit Moderator und Redakteur Axel Brüggemann.
Der lineare Bezahlsender Sky Arts wartet in Deutschland wenige Tage nach Sendestart mit einem doppelten Novum auf. Nicht nur, dass vom 26. Juli an erstmals und exklusiv der komplette «Ring der Nibelungen» aus dem Bayreuther Festspielhaus im Fernsehen gezeigt wird. Obendrein versucht sich der Pay-TV-Kanal an einer in dieser Form bislang vollkommen unerprobten Live-Berichterstattung über die Festspiele. Mit ausführlichen Vor- und Zwischenberichten sowie einer moderierten Pausendiskussion inklusive Bewertung und Analyse des bislang gesehenen nimmt sich Sky Arts einige Seiten aus dem Spielbuch für Sport-Berichterstattung – und wendet diese konsequent auf das Thema Kultur an.
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Als während der EM Deutschland gegen Polen 0:0 gespielt hat, waren sich praktisch alle einig, dass das ein mieser Abend war. Das hieß aber nicht, dass ein paar Tage später plötzlich niemand mehr das Spiel Deutschland – Nordirland geguckt hat. Sky ist daher dem gegenüber aufgeschlossen, auch bei Kultur nun eine ehrliche Berichterstattung zu fahren. Sky Arts und ich, wir sind uns da einig: Wir werden die Leute nicht verscheuchen, wenn wir sagen, dass es dieses Mal mies war.
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Axel Brüggemann
Als Moderator fungiert Musikjournalist und Richard-Wagner-Biograf Axel Brüggemann, der Quotenmeter.de gegenüber erklärt, dass solch eine Herangehensweise nicht nur neu, sondern auch erfrischend sei: „Im deutschen Fernsehen wird Kultur, wenn sie überhaupt einmal einen Sendeplatz erlangt, auf ein Podest gestellt. Da feiert der Sender alles ab, was er zeigt, um auch ja zu rechtfertigen, dass er vor Ort ist.“ Die Folgen dessen lägen auf der Hand: „Durch diesen bemühten Versuch, die Kulturberichterstattung zu legitimieren, wird jedoch alles beliebig und zugleich unnahbar. Wir wollen so ehrlich sein, wie es bei der Sportberichterstattung der Fall ist. Matthias Opdenhövel und Mehmet Scholl sagen ja auch, wenn ein Spiel misslungen ist. Genau das wollen wir einfangen: Man kann über solch einen Abend streiten – man soll sogar über ihn streiten. Wir reden über die Regie und streiten auch über die Frage, was sich Frank Castorf da wohl gedacht haben mag. Es darf ehrlich gesagt werden, dass die Sopranistin sonst super ist, an diesem Abend jedoch schief gesungen hat.“
Brüggemann, der die Sky-Arts-Berichterstattung der Bayreuther Festspiele nicht nur als Moderator begleitet, sondern obendrein als Redakteur leitet, wird diese Gespräche mit wechselnden Gästen in einem Übertragungszelt führen, das an Sky-Fußballstudios erinnert. Beim «Rheingold», das am 26. Juli ab 17.30 Uhr den Auftakt darstellt, wird etwa Wigald Boning beurteilen, ob die künstlerischen Entscheidungen der Kostümschneiderin Adriana Braga Peretzki oder des für die Bühne verantwortlichen Aleksandar Denić Hand und Fuß haben. Darüber hinaus wird es an sämtlichen Tagen Blicke hinter die Kulissen geben, Interviews mit den Darstellern sowie den Handwerkskünstlern hinter den Opern und weiterführende Berichte, mit denen Brüggemann eine Brücke zwischen Richard Wagners Zeit und der Gegenwart schlagen möchte.
Unter anderem wird es um Wagner und die Liebe, Wagner und das Geld sowie Wagner und die Politik gehen. Darin werden nicht nur große Fragen behandelt, wie die Rolle der Festspiele in den düstersten und glanzvollsten Momenten der deutschen Historie, sondern auch amüsantere Anekdoten wie die Frage: Welches Sexspielzeug verkauft sich in Bayreuth und Umgebung während der Festspiele besser als sonst? Brüggemann, der bereits seit vielen Jahren eine derart ausführliche Bayreuth-Berichterstattung umsetzen wollte, aber bislang wegen der begrenzten Anzahl an Kultur-Sendeplätzen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zurückstecken musste, hofft, durch diese Kontextualisierung dem TV-Publikum Wagner besser erschließen zu können:
„Man wird die Oper nie so übertragen können, dass man vor dem Fernseher dasselbe Gefühl hat, als wäre man live vor Ort da. Aber beim Fußball ist das ja nicht anders: Eine Liveübertragung ist nicht dasselbe, wie im Stadion dabei zu sein. Wir können aber nach Bayreuth kommen und den Fernsehzuschauern etwas geben, das die Besucher dort nicht haben.“ Er führt fort: „Meine Hoffnung ist, dass die Leute Oper erst im Fernsehen sehen und dann durch die zusätzlichen Berichte neugierig werden und erst die Kino-Liveübertragungen schauen und letztlich in die Opernhäuser gehen. Fernsehen kann für den Opernbesuch begeistern.“
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Sky Arts hat nun dieselbe Erfahrung, die Sie haben, wenn Sie sich eine Karte fürs Theater kaufen. Der Sender hat sich die Rechte für die „Ring der Nibelungen“-Übertragung gekauft, ohne zu wissen, wie es wird. Und Sky Arts hat nun den Mut zur Ehrlichkeit, eine Diskussion darüber zuzulassen, ob sich das gelohnt hat.
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Axel Brüggemann
Nicht nur die Zusatzinformationen sollen dabei behilflich sein, sondern auch die der Fußballberichterstattung entliehene Ehrlichkeit: „Meine Hoffnung ist, dass Kultur in den Medien wieder mehr Platz finden wird. Bisher liegt das Problem darin, dass viele Redakteure alles abfeiern. ‚Das ist ja Kultur, also muss das toll sein‘. Der Zuschauer merkt es aber, wenn etwas misslungen ist – und kommt sich daher bevormundet vor. Ich wünsche mir, dass wir mit unserem Konzept den Dialog wieder etwas öffnen und so das Interesse steigern können.“ Zumal ein solcher Umgang mit Kultur nicht einmal ungewöhnlich sei. Denn während im Fernsehen Kritik an der geheiligten Hochkultur verpönt wurde, so wäre das Theater- und Opernpublikum in Wirklichkeit bekanntlich sehr wohl kritisch: „Wenn Sie mit ihrer Partnerin oder ihrem Partner ins Theater gehen, dann unterhalten Sie sich in der Pause und nach Fallen des letzten Vorhangs ja auch darüber, ob Sie zufrieden sind oder nicht“, hält der Publizist fest.
Dennoch wird die Sky-Arts-Übertragung erstmal einen Testballon darstellen. Ob sich die kulturinteressierten Pay-TV-Kunden auch für Randberichte über die sogenannten „Blauen Mädchen“ von Bayreuth, also über die Türsteherinnen der Festspiele, erwärmen können und an Mini-Reportagen über Wagner-Poetry-Slams Freude haben, muss sich ebenso zeigen, wie die Wirtschaftlichkeit dieser Eventberichterstattung. „Wir können davon ausgehen, dass Sky kein Geld in den Sand setzen will“, statuiert Brüggemann. Dass sich das Unternehmen auf diesen Versuch einlässt, kann er sich trotzdem problemlos erklären: „Die haben bemerkt, dass in der Kulturberichterstattung eine Nische besteht, die von den Öffentlich-Rechtlichen nicht beachtet wird und daher noch besetzt werden kann.“ Und ganz gleich, wie es ausgehen wird – Brüggemann sieht der auf ihn wartenden Herausforderung voller Vorfreude entgegen: „Wir werden sicher noch viel lernen müssen, das ist logisch. Wir werden sicher auch in manchen Belangen scheitern. Das mache ich aber gern, denn ich bin neugierig, und nur wer stolpert, kann dazulernen.“