Wie passend: Am Donnerstag startet Bollywood Sender Zee.One - am Wochenende fand in Stuttgart das "Indische Filmfestival" statt. Wir haben uns vor Ort umgesehen und vier Filme gefunden, die garantiert ohne Shah Rukh Khan auskommen.
Shah Rukh Khan darf nicht fehlen
Bollywood-Sender Zee.One hat Shah Rukh Khan als Brand Ambassador, quasi als Werbegesicht, gewinnen können. Anlässlich des Starts ist der Bollywood-Megastar deshalb am Donnerstag auch bei der großen Launch-Party am Start. Friederike Behrends, CEO Asia TV GmbH (Zee TV): „Zee TV ist stolz darauf, zum Sendestart von Zee.One in Deutschland den Megastar des indischen Kinos als Brand Ambassador präsentieren zu können. Wie kein anderer steht Shah Rukh Khan für die einzigartige, mitreißende Bollywood-Welt und kann hervorragend die Markenbotschaften unseres Senders vermitteln.“ Zee.One wird sein Programm am 28.07. um 20.15 Uhr mit dem Film «Chennai Express» persönlich mit Shah Rukh Khan starten. Der Juli 2016 steht ganz unter dem Zeichen Indiens: Zum einen öffnete das Indische Filmfestival Stuttgart seine Pforten, zum anderen startet Ende des Monats ein neuer Fernsehsender, der sich ganz dem Thema „Bollywood“ widmet.
Bollywood-Fans jubeln: Am Donnerstag geht der frei empfangbare Fernsehsender Zee.One in Deutschland, Österreich und der Schweiz an den Start und liefert (fast) ohne Ende Nachschub: Man hat laut Eigenangabe Zugriff auf mehr als 3.500 Filme (die größte Hindi-Filmbibliothek der Welt!) und über 210.000 Stunden Programm! Jeden Tag sollen drei Produktionen in Erstausstrahlung gezeigt werden, es kommen aber nicht nur Filmfreunde auf ihre Kosten, denn man setzt außerdem auf Fernsehshows, Serien, Musikvideos, Kulturmagazine und Dokumentarfilme.
Idealerweise fand kurz zuvor, zum 13. Mal, das „Indische Filmfestival Stuttgart“ statt, eines der größten indischen Filmfestivals Europas, weshalb sich Zee.One dieses Jahr natürlich in Form eines Sponsorings mit einbrachte.
Auch deshalb eine ideales Timing, weil so kurz vor Senderstart die Möglichkeit angeboten wurde, indisches Kino mal in seiner ganzen Vielfalt zu erleben und sich ausgiebig Appetit zu holen, denn „Bollywood“ wird hierzulande immer noch viel zu oft sowohl von Liebhabern, als auch von stark Abgeneigten, ausschließlich mit bunt gekleideten Menschen verbunden, die zu seifigen Trällersongs durch die Gegend tänzeln. Das wird sicherlich auch im Programm des neuen Anbieters der Fall sein, aber eben nicht
nur - und hier kam das Festival ins Spiel, dass, obwohl man im Foyer des Kinos vor allem die erwartbaren Titel auf DVD und Blu-ray kaufen konnte, sich im eigentlichen Programm komplett von den Klischees abgrenzte - getanzt und gesungen wurde zumindest im Filmprogramm kaum und deswegen folgen nun vier Beispiele, in denen Shah Rukh Khan bestimmt nicht mitspielt:
Im steinharten Thriller
«Visaaraanai» («Interrogation») konnte man erleben, wie vier Obdachlose einem durch und durch korrupten und extrem brutalen Polizeiapparat zum Opfer fallen. Der auf wahre Ereignisse basierende Film, fesselt dank exzellenter Schauspieler, einem cleveren, gut getakteten Drehbuch und stimmungsvollen Bilden sofort, ist aber dank wirklich sehr schmerzhaft anzuschauenden (allerdings niemals selbstzweckhaften) Gewaltszenen nicht unbedingt was für empfindsame Gemüter - man spürte während der Vorstellung regelrecht, wie die Besucher (mit-)litten.
Klaustrophobikern wie dem Autor dieser Zeilen wurde es bei
«Fireflies in the Abyss» Angst und Bange. Die behutsam beobachtende und sehr einfühlsame Dokumentation erzählt vom extremen Alltag von Arbeitern in so genannten „Rat-Hole-Minen“, hierbei handelt es sich um eine primitive Form von Bergbau, bei der extrem enge, oft nur von Bambusstangen gestützte Tunnel in die Oberfläche gebohrt werden, in die dann die Arbeiter kriechen um Kohle aus dem Fels zu kratzen. Dieses Variante ist durch das Fehlen jeglicher Infrastruktur sehr günstig, aber natürlich brandgefährlich. Problematisch ist auch, dass für diese Tätigkeit aufgrund der Größe natürlich gerne Kinder, wie der hier unter anderem vorgestellte, elfjährige Suraj zum Einsatz kommen. «Fireflies in the Abyss» vermeidet aber trotz der brisanten Thematik jeden Anflug von Rührseligkeit, sondern konzentriert sich eher drauf dem Publikum ein Gefühl für das Leben dieser Menschen zu vermitteln und was es
tatsächlich heißt, diese Art von Arbeit zu verrichten - die Macher scheuen sich nicht davor Suraj bis tief in die nicht mal für Kinder aufrecht begehbare Minen zu begleiten; wer diese Bilder gesehen hat, vergisst sie so schnell nicht wieder.
«Aligarh» packt ein heutzutage leider immer noch heißes Eisen an, dass selbst im amerikanischen Kino eher Ausnahme als die Regel ist: Reporter eines Fernsehsenders dringen in die Wohnung eines renommierten Professors ein und erwischen diesen beim Sex mit einem Mann. Anstatt aber den mehr als zweifelhaften Reportern auf den Busch zu klopfen, muss der freundliche ältere Mann, der niemanden etwas Böses will, Repressalien ohne Ende über sich ergehen lassen. Doch der Journalist einer Tageszeitung stellt sich auf seine Seite….«Aligarh» ist ein aufrichtiger Film, der nicht nur für Homosexuelle, sondern generell für den Menschen Position bezieht – jeder sollte leben, wie er es für richtig hält. Seine Message transportiert der Film aber in ruhigen Tönen mit Hilfe präziser gezeichneter Charaktere und zum Teil wirklich phantastischer Dialoge, so wird etwa an einer Stelle überzeugend vermittelt, dass Attribute wie „schwul“ letztendlich nur völlig bedeutungslose Label sind, da die persönliche Sexualität viel zu tief geht um auf so profane Art und Weise greifbar zu sein.
Zwischen all der schweren Kost durfte natürlich etwas Leichtes nicht fehlen:
«Nil Battey Sannata» («The New Classmate») ist ein wunderbares
feelgood-movie über die Schülerin Appu, die keine Lust auf Schule hat, denn es ist ja eh alles sinnlos. Ihre Mutter Chandra ist ein Dienstmädchen, also wird sie auch eins, das ist nun mal der Lauf der Dinge und deswegen sollte man die Jugend lieber noch genießen, solange es noch geht. Chandra sieht das natürlich anders: Sie hat große Träume für ihren Nachwuchs, will natürlich, dass Appu es mal nicht so schwer hat. Doch wie die Tochter zum Lernen motivieren? Ganz einfach, man geht auch wieder zur Schule und sitzt der renitenten Brut mal so richtig schön im Nacken. «Nil Battey Sannata» läuft in etwa so ab, wie man es erwartet, tragischer Konflikt zum Ende hin inklusive, aber man kann das dem Film absolut nicht übel nehmen, da das Debüt von Ashwiny Iyer Tiwari eine perfekt abgestimmte, hervorragend gespielte, geerdete und deswegen absolut glaubwürdige Mischung aus sanfter Komik, milder Tragik und klugen Lebensweisheiten findet - es ist die Art von leichte und vor allem ungezwungene Unterhaltung, die das amerikanische Kino schon seit Jahren kaum noch hinkriegt. Und nein, gesungen und getanzt wird auch hier nicht.
Natürlich gab es noch viel, viel mehr Filme auf dem Festival zu beschnuppern und wer keine Lust auf Filmegucken hatte, konnte sich auf das umfangreiche Rahmenprogramm stürzen, da wurde dann in Form von Tanzvorführungen oder Tanzworkshops endlich auch ausgiebig getanzt. Es wurden aber ebenso Vorträge, Hennamalerei, eine Ausstellung (plus Vernissage) und vieles mehr angeboten - die fünf Tage vergingen innerhalb eines Augenblinzelns.
Es lohnt sich jedenfalls sehr seinen Horizont zu erweitern oder Vorurteile zu überwinden und das Stuttgarter Festival, dass 2017 zwischen dem 19. und dem 23.Juli wieder stattfinden wird, zu besuchen.
Das kulturelle Programm Indiens ist so bunt, schillernd und liebenswert wie seine Bevölkerung und es ist eine wunderbare Sache, dass immer mehr davon zugänglich gemacht wird - die Tür ist weit offen, man muss nur eintreten.