Sigmund Gottliebs Interview mit Präsident Erdogan geriet rasch und erwartbar in die Kritik. In vielen Punkten zu Unrecht, meint unser Kolumnist.
Als der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks Sigmund Gottlieb
im Ersten Sondersendungen über die Flutkatastrophe in Süddeutschland moderierte, war er dabei
der kollektiven Häme seiner Kollegen und Zuschauer ausgesetzt. Seine Berichterstattung über die griechische Schuldenkrise wurde zurecht
als unappetitlich hetzerisch kritisiert. An seinem
manchmal etwas bayerisch-hinterwäldlerisch wirkenden heimattümelnden Moderationsduktus arbeitete sich nicht nur Friedrich Küpppersbuch ab.
Schon vor
seinem Interview mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan galt Gottliebs Name also nicht gerade als ein Synonym für harte Fragen, höchste journalistische Seriosität oder den größten inhaltlichen Sachverstand. Vielmehr eilte ihm die Reputation einer Tendenz zur unangenehmen Boulevardisierung, zum Populismus und zur Hofberichterstattung vor den Granden der Unionsparteien voraus.
Zumindest bei Twitter war ihm auch diesmal die Häme sicher.
Bei aller gerechtfertigten Kritik an Gottliebs früheren journalistischen und moderatorischen Entgleisungen waren all die hämischen Reaktionen diesmal unangebracht. Denn nicht nur sind Interviews mit Despoten eine große journalistische Herausforderung, sondern auch allerhand unrealistischen diffusen Erwartungshaltungen verschiedener Zuschauergruppen unterworfen, die journalistische Distanz, brachiale Fragen, schneidige Schlagfertigkeit und meist auch eine Haltungsfärbung in ihrem Sinne wünschen, die miteinander schwer bis gar nicht in Einklang gebracht werden können. Die beste Strategie ist meist die eines besonnenen, zurückhaltenden Auftretens, um den Despoten sich selbst entlarven zu lassen.
Gottlieb hat das Gespräch souverän und mit Augenmaß geführt, die wichtigen Fragen gestellt und an den richtigen Stellen nachgehakt, Haltung bewahrt, aber weder eine verurteilende noch eine hetzerische noch eine unterwürfige.
Schon vor drei Jahren geriet
ein Interview des damaligen WDR-Chefredakteurs Jörg Schönenborn mit Vladimir Putin in die Kritik, mit denselben Vorwürfen, die nun Gottlieb nach seinem Erdogan-Interview gemacht werden: zu
softball, ein zu biederes Auftreten, zu wenig Willen zur Konfrontation, zu wenig energisches Nachfragen, zu wenig Widerspruch.
Auch wenn nicht nur bei Twitter vieles an diesen beiden Gesprächen übertrieben kritisch aufgenommen wurde, sind manche Kritikpunkte durchaus gerechtfertigt. Doch die liegen weniger in vermeintlichen journalistischen Unzulänglichkeiten Schönenborns oder Gottliebs, sondern sind vielmehr Ausflüsse der äußeren Rahmenbedingungen eines solchen Interviews. Ein Gespräch, in dem die beiden Diskutanten nicht dieselbe Sprache miteinander sprechen, büßt automatisch an Dynamik ein; schnelle, korrigierende oder herausfordernde Einwürfe des Gegenübers sind kaum möglich, wenn man erst auf die Übersetzung warten muss.
In Deutschland gibt es zudem viele hervorragende türkischsprachige Journalisten, und in den journalistischen Abteilungen der ARD-Anstalten sicherlich auch weit sachkundigere Russland- und Türkeiexperten als Schönenborn und Gottlieb, was die beiden Herren auch nicht bestreiten dürften. Doch nicht nur diffuse Befindlichkeiten, sondern auch die antizipierte Außen- und Breitenwirkung eines solchen Fernsehinterviews lassen in den Außenministerien und Präsidialämtern der jeweiligen Staatschefs schon aus Gründen der Augenhöhe Chefredakteure als Gesprächspartner fordern.
Gottliebs Interview mit Erdogan war damit das Beste, das unter solchen Umständen möglich ist. Und das ist – ganz ohne Häme – kein geringer Verdienst.