Die Kino-Kritiker: «Julieta»

Da Fernsehen, Film und Theater auf unterschiedliche Art und Weise funktionieren, muss man sich bei der kreativen Umsetzung von Geschichten auf das entsprechende Medium einstellen. Was passiert, wenn man einen Film so inszeniert, als befände man sich auf der Bühne?

Filmfacts: «Julieta»

  • Veröffentlichungsjahr: 2016
  • Genre: Drama
  • FSK: 6
  • Laufzeit: 99 Min.
  • Kamera: Jean-Claude Larrieu
  • Musik: Alberto Iglesias
  • Buch und Regie: Pedro Almodóvar
  • Darsteller: Adriana Ugarte, Daniel Grao, Drama, Emma Suárez, Michelle Jenner, Inma Cuesta, Daniel Grao, Darío Grandinetti
  • OT: Julieta (ESP 2016)
Der spanische Autorenfilmer Pedro Almodóvar hat sich schon immer gern mit der Psyche starker Frauenfiguren auseinandergesetzt. Zuletzt weniger konstruktiv denn vielmehr albern; seine freizügige Flugzeugkomödie «Fliegende Liebende» fiel bei den Kritikern gnadenlos durch, obwohl der 66-jährige Filmemacher normalerweise ein Stein im Brett diverser europäischer Filmpreis-Jurys hat. Ein Ausrutscher, möchte man meinen. Erst recht, wenn man sich die Vita Almodóvars anschaut, in der sich ein zeitloses Meisterwerk («Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs», «Volver», «Zerrissene Umarmungen») an das nächste reiht. Doch trotz einer Nominierung des Regisseurs beim diesjährigen Filmfestival von Cannes, lässt auch sein neuestes Drama «Julieta» die Stärken seiner früheren Filme vermissen. Thematisch ist alles beim Alten; es geht um die Liebe, um Schuld, Sühne und die Macht der Verdrängung. Das Problem: Auf der Theaterbühne wäre Almodóvars Film weitaus besser aufgehoben. Für ein Leinwandwerk hingegen sind Gesten zu groß, Dialoge zu gestellt und die Inszenierung viel zu hölzern, um die an sich interessante Thematik authentisch an den Zuschauer heranzutragen. Die Folge: «Julieta» wird der Hochdramatik innerhalb der Prämisse nicht gerecht und erscheint stellenweise gar so überstilisiert und daher unfreiwillig komisch, wie man es sonst eigentlich nur aus Vorabend-Seifenopern gewöhnt ist.

Wo ist meine Tochter?


Die junge Witwe Julieta (Adriana Ugarte) lebt mit ihrer Tochter Antía in Madrid. Beide leiden im Stillen über den Verlust von Julietas Mann Xoan (Daniel Grao), Antías Vater. Doch manchmal bringt Trauer Menschen nicht näher zusammen, sondern treibt sie auseinander. Als Antía sie kurz nach ihrem 18. Geburtstag ohne ein Wort der Erklärung verlässt, bricht für Julieta eine Welt zusammen. Die verzweifelte Mutter lässt nichts unversucht, Antía aufzuspüren, aber was sie herausfindet ist nur, wie wenig sie über ihre Tochter weiß. Viele Jahre später trifft Julieta (Emma Suárez) auf der Straße zufällig eine Jugendfreundin ihrer Tochter, die Antía erst kürzlich getroffen hat. Julieta schöpft wieder neue Hoffnung und beginnt ihre Erinnerungen aufzuschreiben, die schönen wie die schmerzhaften…

Da jedes Medium auf seine ganz individuelle Art und Weise funktioniert, muss man einen Spielfilm anders inszenieren, als eine Serienepisode oder ein Theaterstück. Pedro Almodóvar scheint bei der Umsetzung von «Julieta» das Bühnenparkett als Austragungsort seines neuesten Werks im Kopf gehabt zu haben. Für die große Leinwand taugt die Geschichte um eine einsame Frau, die in Rückblenden rekapituliert, weshalb sich sie und ihre Tochter Antía nach dem Tod des Vaters sukzessive auseinander lebten, in der hier dargebrachten Form nämlich nicht. Am Inhalt liegt das keinesfalls; «Julieta» präsentiert dem Zuschauer eine vielschichtige Charakterstudie, die immerhin inhaltlich über weite Strecken gut funktioniert. Die Art und Weise, wie Pedro Almodóvar seine Schauspieler agieren lässt, nimmt sämtlichen positiven Ansätzen allerdings jedwede Möglichkeit der Entfaltung. Hochstilisierte, indes immer wieder merkwürdig ausformulierte Dialoge legen den Grundstein für die Kernproblematik: die Interaktion. Almodóvar lässt seine Charaktere selbst in hitzigen Debatten konsequent ausreden, lässt sie ihre Anregungen ausführlich vortragen und erstickt damit sämtliche emotionalen Entwicklungen im Keim. Mit mehr als einer simplen Aktion-Reaktion-Abfolge kann «Julieta» nicht punkten. Obendrein steht die verklausulierte Ausdrucksweise der Figuren der Auseinandersetzung mit denselben im Weg. So besteht bei einem solchen Mangel an authentischem Verhalten schon bald keinerlei Anlass mehr, sich mit den Belangen der Figuren auseinandersetzen zu wollen.

Ein Film gehört auf die Leinwand, ein Theaterstück auf die Bühne


Unter diesem Gesichtspunkt ist es gleichsam schwer, die Schauspielleistungen sämtlicher Akteure zu beurteilen. Auf der Theaterbühne ist die Verwendung großer Gesten sowie eine ausgeprägte Mimik von elementarer Wichtigkeit, damit auch in den hintersten Reihen die Regungen der Darsteller zu deuten sind. Im Film ist man mit der Kamera in der Regel so nah dran am Geschehen, dass die Authentizität der Figuren von der Subtilität in Blick und Bewegung lebt. All das scheint Pedro Almodóvar neu zu sein, lässt er seine Darsteller doch so grobmotorisch agieren, dass die Handlungen und Taten der Charaktere nicht selten unfreiwillig komisch wirken. Auch der Spagat zwischen mal dramatischen, mal romantischen und hin und wieder sogar schwarzhumorigen Facetten der Geschichte kommt dadurch abhanden; stattdessen spult «Julieta» ein Programm aus einer Handvoll Gefühlsregungen ab, das von hysterisch über charmant bis hin zu todtraurig reicht, aber nie zu einer Einheit wird. Das einzige Bindeglied der verschiedenen Einzelszenen, das unter diesem Gesichtspunkt eigentlich dafür prädestiniert wäre, ebenfalls zu versagen, ist die Besetzung selbst. Dass es Pedro Almodóvar bei aller Künstlichkeit gelang, zwei Schauspielerinnen für die Rolle der Julieta zu finden (Adriana Ugarte und Emma Suárez), die sie authentisch im jungen, wie im fortgeschrittenen Alter verkörpern können, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, voneinander unabhängig zu existieren, ist ein Vorzug des Dramas, der beweist, dass «Julieta» möglicherweise mehr könnte, wenn sich der Regisseur darauf besinnt hätte, tatsächlich einen Film und nicht bloß ein abgefilmtes Theaterstück zu inszenieren.

Die technische Komponente wirkt in ihrem billigen Erscheinungsbild regelrecht konträr zur komplex gedachten Handlung. Das Drehbuch ist stets um ein vielfältiges Abbild weiblicher Gefühlsregungen bemüht, enthält sich einer klaren Positionierung und verzichtet auf das Erheben eines moralischen Zeigefingers. Auch eine strikte Dramaturgie ist in «Julieta» nicht zu erkennen; das Drama versteht sich mehr als die Beobachtung scheiternden Glücks, an dem jede Partei ein bisschen Schuld trägt. Wer wie viel, das lässt Pedro Almodóvar so angenehm offen, dass hier dann auch die Intention des Regisseurs deutlich wird. Weshalb der erneut in der Position von Regie und Drehbuchautor auftretende Filmemacher dafür nicht auf Plattitüden verzichtet und sich nicht die Mühe macht, das Ganze weniger prätentiös zu inszenieren, lässt sich nur schwer erahnen. Immerhin präsentiert sich «Julieta» bei allen Makeln immer noch zugänglich genug, um abseits der Figuren bis zuletzt immerhin halbwegs spannend zu bleiben. Das forciert der Spanier allerdings auch mithilfe eines minimalistischen Scores (Alberto Iglesias, «Die zwei Gesichter des Januars»), der sich bei aller fehlenden Raffinesse immer wieder bohrend über die Szenerie legt, um dramaturgische Höhepunkte anzukündigen, wo schlussendlich aber doch keine sind. An der Filmhochschule hätte man Almodóvar wahrscheinlich „Thema verfehlt“ unter seine Arbeit geschrieben.

Fazit


Irgendwo zwischen Soap und Theaterdrama wäre «Julieta» vermutlich besser aufgehoben als auf der großen Leinwand. Nach «Fliegende Liebende» ist die behäbige Studie um Schuld und Sühne der zweite Tiefschlag in der Karriere von Regie-Legende Pedro Almodóvar.

«Julieta» ist ab dem 4. August in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
04.08.2016 10:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/87270