Die «Carmichael Show» verhandelt bei NBC seit zwei Staffeln politische und gesellschaftliche Diskurse in Sitcom-Form. Ein solches Format fehlt im deutschen Fernsehen sehr.
Die Abtreibungsdebatte. Die Sexualstrafsachen, in denen gegen Bill Cosby ermittelt wird. Sich verändernde Geschlechterrollen. Waffengewalt. Pornographie. Die
Black-Lives-Matter-Demonstrationen. Die gruselige Vorstellung, dass Donald Trump nur eine Wahl vom Weißen Haus entfernt ist.
Das ist der Stoff, aus dem gute Sitcoms sind.
Aktuelles Beispiel, in dem diese wie andere gesellschaftliche und politische Brandthemen verhandelt werden: die «Carmichael Show», seit dem Spätsommer letzten Jahres bei NBC auf Sendung, allerdings mit zurückhaltend bestellten Folgenzahlen und begrenztem Zuschauererfolg. Dort spielt der afroamerikanische Schauspieler und Comedian Jerrod Carmichael eine fiktive Version von sich selbst. Seine aus der Mittelschicht stammenden, eher konservativen Eltern, sein frisch geschiedener Bruder und seine elitäreren Zirkeln entstammende, halbweiße Freundin ergänzen das Figurenensemble.
In vielerlei Hinsicht ist die «Carmichael Show» eine Sitcom wie jede andere, denn die dramaturgischen Prinzipien sind dieselben: Leicht karikaturhafte Charaktere mit nicht selten diametral entgegengesetzten Lebensentwürfen, Haltungen und sozio-kulturellen Zugehörigkeiten werden in komödiantischem Duktus aufeinander losgelassen.
Nur, dass diese Serie weit höhere thematische Ambitionen zu verfolgen scheint als der Großteil des zeitgenössischen amerikanischen Sitcom-Outputs. Das sind in den meisten Folgen gesellschaftliche Brandthemen, aus denen sich die familiären Konflikte speisen: Wenn der schon immer konservative, aber nie reaktionäre Vater plötzlich Donald Trump unterstützt und die liberaleren, weit moderneren Kinder verständlicherweise damit fremdeln. Wenn alte bis archaische Vorstellungen geschlechtsspezifischer Rollenverteilungen auftauchen und die progressiven Figuren plötzlich merken, dass sie so progressiv gar nicht sind. Oder, wenn die thematische Stoßrichtung einmal eher ins Psychologische denn ins Politische geht: Wie man um einen Vater trauern soll, von dem man nichts als Gewalt und seelische Grausamkeit erfahren hat.
Harter Tobak für eine Sitcom, könnte man denken, wenn man aus einem Markt wie Deutschland auf dieses Format blickt, der komödiantische Überspitzung in neun von zehn Fällen mit Albernheit verwechselt und für den eine heitere Erzählweise und ein komplexes, gesellschaftlich polarisierendes Thema einen unauflöslichen Gegensatz bilden.
Dabei fehlt uns genau ein solches Format, eine Serie, in der sich in einem Mikrokosmos die gesellschaftlichen Auswirkungen politischer wie gesellschaftlicher Prozesse und Veränderungen spiegeln, brechen und diskutiert werden könnten. Im besten Fall funktioniert das hierzulande in Satire-Sendungen wie «Die Anstalt», die natürlich eher didaktisch als emotional erlebbar sind.
Im schlimmsten sieht es so aus. Aber eingebettet in einen narrativen Kontext, in dem sich die politisch-weltanschaulichen Spannungen noch dazu aus den Figuren heraus ergeben, statt ihnen übergestülpt zu werden, – das bedient trotz des (vermeintlichen) Serienbooms auch in Zeiten von «Deutschland 83» und «Weinberg» nichts und niemand.
Natürlich kennt auch die deutsche Fernsehgeschichte mit «Ein Herz und eine Seele», einer Adaption des britischen «Till Death Us Do Part», eine stark politisch aufgeladene Sitcom. Aber das ist vierzig Jahre her.
Ausreichend gesellschaftliche Veränderungen hat es in der Zwischenzeit gegeben. Hoffentlich.