Die Lage der deutschen Fernsehnation: Was wächst, während Raabs Schatten verblasst?

Vorausgesetzt, dass es König Lustig im Ruhestand nicht langweilig wird, ist es nun so weit: Die Quotenmeter.de-Leserschaft hat ein letztes Mal die Gelegenheit, beim Quotenmeter-Fernsehpreis für Stefan Raab abzustimmen. In sogleich zwei Kategorien tritt der Entertainer, der im Dezember 2015 seinen Hut genommen hat, gegen eine vielfältige Konkurrenz an. Und die Nominierungen, mit denen unsere Preisjury Stefan Raab bedacht hat, sprechen Bände.

Obwohl Stefan Raab in seinen abschließenden TV-Monaten diverse seiner langlebigen Fernsehevents präsentierte, ist der Mann, der ProSieben stärker geprägt hat als sonst wohl nur die Simpsons, allein mit seinen zwei Meilensteinen vertreten. In der Sparte Beste Show mit einer Laufzeit von maximal einer Stunde erhält «TV total» seine letzte Gelegenheit, einen TV-Preis abzusahnen. Der Late-Show-Dauerbrenner, der in seinen 16 Fernsehjahren einige qualitative Höhen und Tiefen durchgemacht hat, verabschiedete sich im Aufwind: Mit einer „Nun kann mir ja keiner was“-Haltung zeigte sich Raab losgelöst, ungezwungen und ambitioniert, ohne Abend für Abend überdeutlich dem Publikum vorzuführen, dass er sich auf der Zielgerade seiner TV-Karriere befindet.

In der Disziplin Beste Show mit einer Laufzeit von über einer Stunde ist Raab derweil mit seiner oft kopierten, nie erreichten XXL-Wettkampfshow «Schlag den Raab» vertreten. Auch wenn sich der „kleine Ableger“ «Schlag den Star» dank Liveausstrahlung mittlerweile gemausert hat, spielt «Schlag den Raab» schlicht in einer anderen Liga – allein schon aufgrund solch unvorhersehbarer Live-Juwelen wie Raabs Kampf mit dem Fahrgerät namens Freee.

Doch welche Formate setzen dem Showgeschäft nun ihren Stempel auf und machen Mut für eine gelungene Post-Raab-Ära? Bei den Shows mit einer Laufzeit von maximal einer Stunde ist unserer Jury zufolge vor allem die kontinuierliche Steigerung schon existierender Formate der große Hoffnungsträger. Denn sogleich drei der vier Raab-Konkurrenten sind bereits etablierte Sendungen: «Circus Halligalli» mag mittlerweile eine feste Institution im ProSieben-Programm darstellen, doch die Manege des Wahnsinns täuscht noch immer keine Müdigkeit vor. Mit musikalischen und kindischen Spielereien führen Joko und Klaas immer passionierter den Irrsinn von Promointerviews vor, das Showintro wird mehr und mehr zum Experimentierfeld und auch solche obligatorischen Einlagen wie die Wettstreitigkeiten zwischen den beiden Moderatoren werden noch immer abgewandelt.

Eine weitere Sendung, die sich kontinuierlich weiterentwickelt ist das «Neo Magazin Royale», das im Frühjahr 2016 letztlich kaum mehr aus den Schlagzeilen zu kriegen war – erst aus denen des Feuilletons, letztlich sogar aus denen des Politikteils. Ob genüssliche Nerd-Albereien oder faustdick vermittelte Satire – oder alles dazwischen: Das ZDFneo-Flaggschiff wird kreativer, wagemutiger und musikalischer. Ein ganz anderes Kaliber ist «Gefragt – gejagt», doch auch hier gilt: Die Sendung ist besser denn je. Schneller, dynamischer und trotz ungebrochen anspruchsvoller Fragen unterhaltsam präsentiert.

Wo sich so viele „alte Hasen“ verbessern, stellt sich zwangsweise die Frage: Ist denn überhaupt etwas von Relevanz gestartet? Die Antwort trägt Lippenstift und ein vulgäres Grinsen im Gesicht – der «Ponyhof» stürmte ins Fernsehen und brachte eine unverbrauchte, vergnügte Laune mit sich. Die von Annie Hoffmann und Jeannine Michaelsen moderierte, rotzfreche und dennoch nie den Intellekt der Zuschauer beleidigende Unterhaltungsshow bietet lockeren Talk mit Promigästen und unverfroren lustige Einspielfilme, die familiäre Gemeinheiten neu und spaßig aufbereiten. Showdeutschland, du bist wirklich noch nicht verloren.

Wobei es leider auch unter den Shows mit einer Laufzeit über einer Stunde leider Verluste zu beklagen gilt: Ende 2015 ging «Anke hat Zeit» zum letzten Mal auf Sendung. Es wird schwer, diesen Spagat zwischen gehaltvollen philosophischen Gesprächen, gewinnbringenden audiovisuellen Eindrücken und einer gehörigen Portion Kurzweil zu wiederholen. Doch selbst wenn diese wunderbare Kulturshow von der Bildfläche verschwunden ist, so bleibt uns zumindest ein Ausnahmeformat zum Thema Filmkunst erhalten: Die Rankingshow «Disney Magic Moments» begeisterte unsere Preisjury zum zweiten Mal in Folge. Der Disney-Countdown kam in seiner zweiten Staffel informativer und ambitionierter als in der Auftaktstaffel daher und blieb dennoch kurzweilig und einsteigerfreundlich. Liebe Fernsehsender: So begeistert man Fernsehzuschauer für die Kinokultur!

Was «Disney Magic Moments» dem Disney-Subkosmos, bleibt «Sing meinen Song» der Musikwelt: VOX stellte sich erneut entschlossen gegen die oftmals sehr forciert wirkenden Wettbewerbsshows und ließ stattdessen die Kraft einer lagerfeuerartigen Aufmachung wirken, wohl wissend, dass dabei mehr als nur ein Funke überspringt. Joko und Klaas derweil brachten mit «Das Duell um die Geld» Abwechslung in ihr Showportfolio: Ruhiger, intimer und undramatischer als ihre großen Samstagabendshows, aber genauso spannend – der mit Alkohol und Zigarettenqualm garnierte Quizpoker hat einen erstaunlichen Charme und lädt zum Mitraten ein, sowie zum Kopfschütteln über völlig absurde Antworten und Promis, die mehr Dusel als Verstand haben.

Welche Shows sich letztlich durchsetzen werden? Das liegt in eurer Hand, liebe Leserinnen und Leser. Die Abstimmung findet an dieser Stelle statt. Viel Spaß beim Voten!