Die Kritiker: «Polizeiruf 110: Wölfe»

Mit «Polizeiruf 110: Wölfe» ist Regisseur und Autor Christian Petzold eine kleine Krimi-Perle gelungen, die Anleihen bei Genre-Klassikern nimmt.

Cast und Crew

  • Regie: Christian Petzold
  • Darsteller: Matthias Brandt, Barbara Auer, Sebastian Hülk, Michael Witte, Anna Unterberger, Jasna Fritzi Bauer
  • Drehbuch: Christian Petzold
  • Schnitt: Bettina Böhler
  • Musik: Stefan Will
Hin und wieder findet sich im deutschen Krimi-Dschungel, der sich so oft mit den hochwertigen skandinavischen, britischen und amerikanischen Krimi-Stoffen vergleichen lassen muss, doch noch die ein oder andere Perle. Das Ermittler-Team, bestehend aus Kriminalhauptkommissar Hanns von Meuffel (Matthias Brandt) und Constanze Herrmann (Barbara Auer), des alteingesessenen «Polizeiruf 110» - Franchises konnten wir schon bei ihrem letzten Einsatz begeistert und mit einer hohen Prozentzahl loben, was auch uns Kritikern tatsächlich immer Freude bereitet, ob man es glauben mag oder nicht. Wie beim «Polizeiruf 110: Kreise» verleiht Regisseur und Autor Christian Petzold auch dem Plot des neuen Einsatzes eine besonders eigensinnige und skurrile Note mit interessanten Charaktermomenten.

Die Episode wird schon zu Beginn seinem Titel gerecht, nämlich wenn ein einsamer Wolf in einem düsteren Wald zu seinem Rudel zurückfindet. Und zu Beginn sollte ebenfalls klar sein, dass es sich hierbei um eine äußerst symbolträchtige Szene handelt. Das Interessante und gelegentlich Spaßige an Petzolds Herangehensweise ist, dass er sich selbst im späteren Verlauf der Handlung über die etwas plumpe Prätention dieser Art von Symbolismus lustig macht. Gleichzeitig, und das ist erstaunlich, sorgt die Szene für eine ruhige, zurückhaltende und düstere Einstimmung und Einführung in den Plot. Düster geht es sofort weiter, denn Hauptkommissar Meuffel steht in der Wohnung einer toten Anwältin, deren Gesicht entstellt wurde. Hier wird er von seiner Hamburger Kollegin Constanze Hermann angerufen, die den Fall und den Zustand des Opfers mal eben per Fernanalyse löst. Ein durchaus perfekter „Sherlock Holmes“-Moment und die Parallelen zu dem berühmten Genre-Vorvater hören hier nicht auf.

Während Holmes mit einem mal mehr und mal weniger ausgeprägten Kokainproblem zu kämpfen hatte, schlägt sich Constanze Hermann mit einem Alkohol-Problem herum. Dieses versucht sie in einem Ressort in einem abgeschiedenen bayrischen Dorf in den Griff zu bekommen. Ohne Erfolg, denn die sektenhafte Strenge, mit der man in ihrem Wellness-Center ein Zigaretten- und Alkohol-Verbot verfolgt, sind der Kommissarin schnell zuwider. Es dauert nicht lange, bis sie sich zur Dorfkneipe aufmacht, um sich beides zu besorgen. Nach ein paar zu vielen Drinks, einer recht eigenartigen Begegnung mit einer Dorfbewohnerin und ein paar guten Songs aus der Musikbox, begibt sie sich auf den Weg zurück ins Ressort. Unterwegs auf den dunklen Dorfstraßen hört sie den Schrei einer Frau und kurz darauf hat sie noch eine viel skurrilere Begegnung der monströseren Art, welche an dieser Stelle nicht näher beschrieben werden soll, um nicht zu viel vorwegzunehmen. Constanze wacht am nächsten Morgen verkatert in ihrem Hotelzimmer auf und die Frau, dessen Schrei sie in der Nacht zuvor vernommen hat, wird tot und mit mysteriösen Bissspuren im Gesicht aufgefunden. Kommissar Meuffel lässt sich nicht lange bitten und macht sich auf, Constanze bei der Aufklärung des Falles zu helfen.



Ein bisschen Werwolf- bzw. Wolfsmenschgeschichte, ein wenig «Hound of Baskerville» - dieser «Polizeiruf» stellt atmosphärisch gekonnt Bezüge zu Genre-Klassikern und Gothic- bzw. Schauerfiktion her, ohne dabei blind zu kopieren. Regisseur Petzold ist offensichtlich Freund der langen Kameraeinstellungen und der vorsichtig und bedächtig komponierten Bilder, die er durch spärliche Beleuchtung in ein konstantes Zwielicht taucht. Auch wenn der Zuschauer noch nicht mit den beiden Hauptfiguren vertraut sein sollte, bekommt er durch eine clevere Schreibe schnell einen vertrauten Einblick in das Leben dieser vorsichtig konstruierten Figuren. Constanze Hermann wird von Barbara Auer angenehm zurückhaltend und melancholisch gespielt. Sie sucht offensichtlich lieber nach Rückzugsmöglichkeiten in einem oder mehrere Gläsern Gin Tonic bzw. der morgendlichen Zigarette, und nicht in den vom Wellness-Center verordneten Atemübungen. Matthias Brandts Hauptkommissar Hanns von Meuffel bewegt sich ebenfalls angenehm-subtil und mit leisem Humor durch die Handlung. Die beiden Figuren fühlen sich offensichtlich zu einander hingezogen, müssen dies aber nicht in ausschweifenden Dialogen elaborieren. Ganz im Gegenteil, es wird kaum bis gar nicht ausgesprochen und es ist immer wieder erfrischend, wenn ein Autor und Regisseur so viel Vertrauen in seine Figurendynamik setzt und somit auch seinem Zuschauer vertraut, diese Dynamik auch ohne zusätzliche Erklärung zu erkennen.

Auch die Nebenfiguren zeichnen sich durch reizvolle Eigenarten aus. Da wäre einmal ein exzentrisches, junges Zimmermädchen, das sich in einem konstanten, monotonen Tonfall über ihre Gäste beschwert und das Geschehen kommentiert. Ein Zoologe, der für die Ermittlungen herangezogen wird, sprudelt nur so mit Fakten, diese sind allerdings nicht in jeder Situation unbedingt willkommen. Auch das Philosophieren der Kommissare über Wolfsmythologie bei einem Verhör eines Tatverdächtigen entbehrt nicht einer gewissen Komik. Trotz der ein oder anderen skurrilen Situationskomik, driftet das Geschehen niemals in den Klamauk ab. Auch findet sich hier kein Sozial-, Psychologie- oder Gesellschaftskitsch wieder. Zwar wird das Alkoholproblem der Kommissarin angesprochen, dennoch wird es nicht zum Hauptthema gemacht. Darüber hinaus machen sich nach dem Mord Fremdenfeindlichkeit und Paranoia im Dorf breit. Ein Thema, dass allerdings nur angeschnitten wird und in einem anderen Krimi sicherlich ein interessanter Aspekt gewesen wäre. Hier konzentriert man sich jedoch ausschließlich auf den zugrunde liegenden Fall. Eine Simplizität, die der reduzierten Herangehensweise durchaus zu Gute kommt.

«Polizeiruf 110: Wölfe» ist ein erfrischend eigensinniger Krimi, auch wenn Autor und Regisseur Christian Petzold einige Zugeständnisse an die Genre-Wurzeln macht und im Finale den Spannungsbogen künstlich am Leben erhält. Genre-Klischees werden genauso oft bedient, wie sie unterwandert werden, etwa wenn eine Verfolgungsjagd nach zwei Sekunden endet, weil der Verdächtige sich bei einem Sprung aus dem Fenster den Knöchel bricht. Das Ermittler-Team gehört somit zu einem «Polizeiruf», der sich dank Regie und Buch von Christian Petzold sowie sympathischen Darstellern zu einem sehenswerten Sonderling entwickelt.

Das Erste zeigt «Polizeiruf 110: Wölfe» am Sonntag, den 11. September um 20.15 Uhr.
09.09.2016 09:30 Uhr  •  Stefan Turiak Kurz-URL: qmde.de/87991