Quotenmeter.de spricht mit Drehbuchautor Christoph Darnstädt über seine Zusammenarbeit mit Til Schweiger, Vorurteile in der Kinobranche, knausrige Sender und seinen «Kroatien-Krimi».
Zur Person
Christoph Darnstädt wurde 1960 geboren und studierte in Berlin Literaturwissenschaften sowie Romanistik. Er begann seine Karriere als Drehbuchautor mit Skripts für die Kinderserie «Achterbahn», Anfang der 2000er hatte er seinen Durchbruch mit der Serie «Abschnitt 40» und dem Kinofilm «Das Experiment». Seine Sat.1-Romantikkomödie «Das Zimmermädchen und der Millionär» brachte ihm den Deutschen Fernsehpreis ein. Seit einigen Jahren ist Darnstädt vor allem als «Tatort»-Autor tätig – unter anderem verfasste er sämtliche Schweiger-Fälle, inklusive dem Kinofilm «Tschiller: Off Duty».Im Vorfeld der ersten Til-Schweiger-«Tatort»-Folge ging durch die Presse, dass sich Schweiger das Sonderrecht vorbehalten will, Drehbücher abzulehnen. Sie haben bisher alle Schweiger-Folgen geschrieben - das zeugt davon, dass Schweiger mit Ihnen zufrieden ist. Hat Schweiger dennoch mal ein Veto eingelegt?
Til hat nie Drehbücher „abgenommen“. Wie jeder «Tatort»-Kommissar hat er ein Mitspracherecht, er kann sagen, was er gern machen würde und was nicht, was er spannend fände und was ihn weniger reizt. Ab und an meckert er an Dialogen rum, ja. Das machen fast alle Hauptdarsteller, nicht nur beim «Tatort» und das ist auch ihr gutes Recht, denn sie stehen ja vorm Zuschauer und müssen den Text ablassen. Das war alles völlig professionell. Til hat sich in keiner Weise mehr in den Schreibprozess eingemischt als andere. Da ist wirklich nur eines von vielen dämlichen Gerüchten.
Der bislang letzte Schweiger-«Tatort», «Tschiller: Off Duty» lief im Kino ja, ich denke das kann man sagen, klar unter den Erwartungen. Ich selber kann mir das nicht erklären – ich fand es einen schön direkten, kernigen Actioner …
Freut mich sehr, dass Sie den Film so sehen. Entgegen allem Schweiger-Bashing haben das überraschend viele Ihrer Kollegen so geschrieben. Weshalb «Off Duty» dennoch nicht gut lief – klar, darüber denken wir alle heftig nach. Mit Blick auf die Internetkommentare fürchte ich, dass viele «Tatort»-Zuschauer den Eindruck gewonnen hatten, sie sollten extra Eintritt für eine direkte Fortsetzung des dritten und vierten Tschiller-Fernsehfilms zahlen. «Tschiller: Off Duty» wurde nicht als eigenständiges Kinospektakel verstanden. Sicher einer der Gründe. Nicht zuletzt ist man dann halt auch immer vom tagesaktuellen Zuneigungsgrad des Publikums zu seinem Star abhängig. Mit «Honig im Kopf» war Til noch Jedermanns Liebling, Ende 2015 auf einmal nicht mehr so.
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Ich fürchte, dass viele «Tatort»-Zuschauer den Eindruck gewonnen hatten, sie sollten extra Eintritt für eine direkte Fortsetzung des dritten und vierten Tschiller-Fernsehfilms zahlen. «Tschiller: Off Duty» wurde nicht als eigenständiges Kinospektakel verstanden. [...] Nicht zuletzt ist man dann halt auch immer vom tagesaktuellen Zuneigungsgrad des Publikums zu seinem Star abhängig. Mit «Honig im Kopf» war Til noch Jedermanns Liebling, Ende 2015 auf einmal nicht mehr so.
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Christoph Darnstädt über den «Tschiller: Off Duty»-Flop
Und wenn die TV-Ausstrahlung erfolgt, die ja noch etwas auf sich warten lässt, könnte es schon wieder anders aussehen …
Möglich – nur, dass diejenigen, die viel Geld in den Film gesteckt haben, damit er ein tolles Kinospektakel wird, ihre Investition dann nicht wieder reinkriegen werden – egal, wie die Quoten ausfallen. Das ist irgendwie beim Publikum nicht angekommen: Dass das eben nicht einfach eine TV-Produktion ist, die wir aus Geldgier oder Größenwahn auch ins Kino bringen. Die Folge davon ist leider auch: wann immer ein deutscher Genrefilm scheitert, werden erstmal für ein paar Jahre keine mehr gemacht. Was ich sehr bedauere. Action, Thriller, Horror werden in Deutschland viel zu wenig produziert, als dass überhaupt jemals eine eigenständige Genrekultur entstehen könnte. Ich setze da große Hoffnung auf den Nachwuchs, der jetzt von den Film-Unis kommt - dass da mal eine oder einer wie Romero, Raimi, del Toro, Woo oder Besson drunter ist. Ich meine keine Epigonen sondern einfach: gnadenlose Genrelust.
Haben Sie eine Theorie, weshalb deutsche Kino-Eigenproduktionen in der Breite nur als Komödien, Romanzen und Kinderfilme funktionieren, während Thriller und Action floppen – obwohl im Fernsehen Krimis, auch teils härterer Gangart, florieren?
Das geht nicht nur deutschen Produktionen so, bei uns laufen ja ausschließlich amerikanische Actioner gut, die meist ein Budget zwischen 80 und 250 Millionen haben. Damit können wir in Europa nicht mithalten. Wenn wir es hier bei uns dann mit sieben oder acht Millionen versuchen, kriegt man von vornherein keine Chance: „Die Deutschen können keine Action“ . Wenn man sich ansieht, was Christian Alvart für ein «Tatort»-Budget herstellt, müsste es eigentlich heißen: die Deutschen können megageile Action für einen Hundertstel dessen, was man in Hollywood auf den Kopf haut. Wow, was würden wir aus einem 200-Millionen-Budget rausholen? Aber stattdessen etabliert sich besonders bei der jungen Zuschauer-Generation das Vorurteil: der deutsche Genrefilme ist unsexy. Das ist unfair und stimmt nicht, weil: den deutschen Genrefilm gibt es eigentlich gar nicht. Dazu kommt – jedenfalls wenn man auf die Schlauberger von der Marktforschung hört – dass in
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Wir brauchen einmal einen unerschrockenen Genre-Hit, der alles aufmischt. Und wir brauchen ein Publikum, das nicht nur Schweiger/Schweighöfer im zehnten Komödienaufguss liebt, sondern das Kino! So wie die Franzosen, die sind kinoversessen und die haben eine tolle Kino-Tradition, die im Gegensatz zu unserer den Krieg überlebt hat.
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Christoph Darnstädt
Deutschland vornehmlich Frauen bestimmen, was im Kino geguckt wird – und die würden Action/Horror/Thriller höchstens dann mögen, wenn ein hübscher Hollywood-Star mitspielt. Da aber eben die Jungen und die Frauen als Kino-Zielgruppe Maß aller Dinge sind, haben wir ein Problem ….
Und wie schaffen wir das Problem aus der Welt?
Wir brauchen einmal einen unerschrockenen Genre-Hit, der alles aufmischt. Und wir brauchen ein Publikum, das nicht nur Schweiger/Schweighöfer im zehnten Komödienaufguss liebt, sondern das Kino! So wie die Franzosen, die sind kinoversessen und die haben eine tolle Kino-Tradition, die im Gegensatz zu unserer den Krieg überlebt hat. Die haben Komödien, Liebesfilme, Gangsterfilme, Copfilme, Actioner, Thriller – und ja: die Franzosen haben Luc Besson. Aber vielleicht hat ja auch Luc Besson einfach die Franzosen, das leidenschaftlichere Publikum....
Um wieder zu der Action zurückzukommen, die ja nun doch produziert wurde: Wie werden beim Tschiller-«Tatort» die Actionszenen entwickelt? Beim Konzipieren solcher Szenen gibt es ja verschiedene Herangehensweisen …
Klar, wenn eine Actionsequenz 70 Millionen kostet, setzt man vermutlich keinen normalen Autor ran sondern Specialists. Aber bei uns, ja: Ich hab die Actionszenen ausführlich ins Drehbuch geschrieben. Es gab dann Sequenzen, bei denen wir festgestellt haben, dass sie zu kompliziert waren oder einfach so nicht funktioniert haben. Dann habe ich mich mit Christian Alvart zusammengesetzt, um eine bessere Lösung zu finden. Natürlich gab es ab und zu auch Wünsche, etwa dass Christian sagte, er fände das Bild cool, wie Til eine Bazooka abfeuert – dann habe ich beim Schreiben überlegt, wie und wo man das in die Story einbauen kann. Generell waren bei uns die Actionszenen mit dem Rest des Drehbuchs gleichberechtigt – und somit zuallererst Autoren-Job.
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Die auftraggebenden Sender wollen immer größere, immer bessere Filme kriegen, alles muss „Kinoqualität“ haben – aber sie wollen immer weniger dafür bezahlen, die Anzahl der Drehtage schrumpft ins Lächerliche. Das funktioniert natürlich nicht.
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Christoph Darnstädt
Damit ist es ja auch Ihr Job, beim Schreiben niemals das Budget aus den Augen zu verlieren …
Ja, das ist mittlerweile bei sämtlichen Projekten der Fall. Vor allem beim Fernsehen. Die Auftrag gebenden Sender wollen immer größere, immer bessere Filme kriegen, alles muss „Kinoqualität“ haben – aber sie wollen immer weniger dafür bezahlen, die Anzahl der Drehtage schrumpft ins Lächerliche. Das funktioniert natürlich nicht. Da kommt es dann immer häufiger vor, dass Produzenten aus der eigenen Tasche investieren müssen, um die von ihnen verlangte Qualität abliefern zu können. Das finde ich insbesondere bei den gebührenfinanzierten Sendern ein Unding.
Von Ihnen stammt auch der erste «Kroatien-Krimi». Was war bei der Entwicklung dieses Drehbuchs anders als beim Schreiben des ersten «Tatort»-Films mit Schweiger?
Wenn die Besetzung der Hauptrolle bereits feststeht, schreibt man natürlich mit der vor Augen. Nick Tschiller habe ich geschrieben, wie ich mir Til Schweiger als Kommissar vorstelle. Außerdem stand fest, dass es kein typischer Ermittlerkrimi werden soll, in dem der „Mörder der Woche“ gesucht wird. Nick sollte wiederkehrende Feinde haben, sich mit großen Bad Guys anlegen. Und es sollte ein actionbetonter Thriller werden. Die Figur der Branka Maric dagegen war noch nicht besetzt. Es gab keinerlei strukturelle oder inhaltliche Vorgaben. Fest stand nur, dass die ARD noch einen neuen, attraktiven Auslandskrimi suchte. Die Grundidee für die herrlich sonnige Figur Branka stammt genauso wie das Setting Kroatien von meinem langjährigen Freund und Produzenten Fritz Wildfeuer. Ansonsten durfte ich sie völlig ungebunden an der Hand nehmen und mit ihr in die erste Folge ziehen. Das hat sehr großen Spaß gemacht.
Bleiben Sie beim «Kroatien-Krimi» weiter als Autor an Bord?
Das kann ich mir gut vorstellen. Ich arbeite derzeit schon an einer möglichen Fortsetzung.
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Manchmal werden Projekte mit langem Vorlauf entwickelt. Und dann sammelt sich mit der Zeit viel Material an, über die Hintergründe der Figuren, Handlungsmotive, Charaktereigenschaften … Wenn es dann darum geht, die erste Folge zu schreiben, steht der Autor vor einem Wust an Festlegungen, die irgendwann mal konzeptionell erdacht wurden. Das kann dann schon anstrengend sein, zumal das alles dem Episodenplot Platz wegnimmt.
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Christoph Darnstädt
Der erste «Kroatien-Krimi» fühlt sich nicht wie eine Pilotfolge an – die Hauptfigur wird nicht ausführlich vorgestellt. Es geht zwar um sie, doch in dem Maße, wie es auch in einer zweiten oder dritten Folge vorkommen könnte. War es schwer, den Sender davon zu überzeugen? Die meisten der neuen ARD-Krimireihen hatten zuletzt so eine klassische Einführungsfolge …
Nein, ich musste da keine Überzeugungsarbeit leisten. Die Degeto war von Anfang an sehr offen und hatte Spaß dran, mal etwas frischer ranzugehen. Auch, dass es kein klassischer Whodunit geworden ist, war kein Problem. Dass viele Reihen und Serien in der Pilotfolge ein mitunter zähes „Guck mal: das ist unsere ganz neue, originelle Ermittler-Figur und das werden ihre Privatprobleme sein“-Programm abspulen, hat auch nicht immer nur mit Senderwünschen zu tun. Manchmal werden Projekte mit langem Vorlauf entwickelt. Und dann sammelt sich mit der Zeit viel Material an, über die Hintergründe der Figuren, Handlungsmotive, Charaktereigenschaften … Wenn es dann darum geht, die erste Folge zu schreiben, steht der Autor vor einem Wust an Festlegungen, die irgendwann mal konzeptionell erdacht wurden. Das kann dann schon anstrengend sein, zumal das alles dem Episodenplot Platz wegnimmt. Frage ist auch, ob es den Zuschauer wirklich so interessiert, wie die Leute, die sich das alles ausgedacht haben, denken. Bei Branka war das halt ganz anders. Branka konnte ich durch ihren ersten Fall entwickeln und ausprobieren, wie sie ist, wie sie tickt, wie sie funktioniert.
Bevorzugen Sie dieses Vorgehen?
Ja. Ich persönlich arbeite am liebsten so. Ich entwickle eine Figur nicht vorab an der Tafel, sondern trage eine grobe Idee von ihr und lauf mit ihr dann los in die Geschichte. Mit ihr komme ich in Situationen und Konflikte – sie zeigt mir dann schon, wie sie reagiert, ob sie links oder rechts geht. Sie bestimmt ihren Weg sozusagen selber und ich lerne sie beim Schreiben kennen. Das klingt mystischer, als es ist. Eine Figur vor dem Schreiben komplett erdacht zu haben, finde ich einfach langweilig. Sie dann zu schreiben, ist wie Malen nach Zahlen – sie kann mich nicht mehr überraschen. Früher musste man im Serien und Reihenbereich mit dem Exposee immer ein detailliertes Profil jeder Figur mitliefern: Wo kommen Meike und Tim her? Wovor haben sie Angst, welche Traumata, heimlichen Vorlieben, unerfüllten Sehnsüchte haben sie? Hatte Tims Mutter ein prägendes Erlebnis in der Kindheit, leidet Meike unter Laktoseintoleranz? Das war unverdauter Syd Field und sehr viel Zeitverschwendung, zum Glück ist das heute nicht mehr so streng. Wie Meike und Tim wirklich sind – das weiß ich wirklich erst, wenn ich die ersten Geschichten mit ihnen erzählt und die ersten Folgen auf dem Bildschirm mit den gecasteten Schauspielern gesehen habe. Und der Zuschauer letztlich auch.
Besten Dank für das Gespräch.