«The Case of: JonBenét Ramsey»: True Crime geht nur angelsächsisch
Die zweiteilige Doku-Fiction von CBS ging inhaltlich einen Schritt weiter als bisherige True-Crime-Stoffe - und verdeutlicht, warum sich dieses Genre in Deutschland sehr schwer tun würde.
Kaum ein Genre ist in Amerika gerade so suchterregend wie True-Crime-Stoffe: ob als journalistisch ambitionierte Dokumentationen wie der erfolgreiche Podcast «Serial», dessen erste Staffel um den Mord an der Marylander Schülerin Hae Min Lee gewissermaßen das Auslöserwerk der True-Crime-Welle war, oder die Netflix-Produktion «Making a Murderer», die trotz großen Lobes vereinzelt auch als emotional unangenehm manipulativ kritisiert wurde. Oder in der erfolgreichen und nicht nur dramaturgisch außerordentlichen FX-Serie «American Crime Story: The People v. O. J. Simpson», die am vergangenen Sonntag mit dem Emmy für die beste Limited Series ausgezeichnet wurde.
«The Case of: JonBenét Ramsey» beschäftigte sich in einer vierstündigen Doku-Fiction am vergangenen Sonntag- und Montagabend bei CBS mit dem bis heute nicht aufgeklärten Tötungsdelikt an einem damals sechsjährigen Mädchen aus Colorado im Jahre 1996: Das Kind soll entführt worden sein, hieß es in einem dilettantisch zusammengeschusterten Erpresserschreiben, das die Ermittlungsbehörden zügig als falsche Fährte einordneten, und wenige Stunden, nachdem die Familie die Polizei vom Verschwinden ihrer Tochter informiert hatte, wurde ihre Leiche im Weinkeller des Wohnhauses gefunden.
Nach und nach analysiert ein Team aus renommierten Forensikern, Profilern und ehemaligen Offiziellen des FBI und der Scotland Yard die vorhandenen Beweise, die zahlreichen Fehler und Unzulänglichkeiten in den Ermittlungen von vor zwei Jahrzehnten – und während andere True-Crime-Formate wie «Serial» sich mit Hypothesen dezidiert zurückhalten und lieber betonen, wie denkbar eine Vielzahl möglicher Szenarien ist, schießt sich «The Case of: JonBenét Ramsey» bewusst auf eine zwar sinnige, aber nicht minder kontroverse Theorie ein: Im einzig denkbaren realistischen Szenario kommt als Täter laut den Spezialisten dieser CBS-Doku-Fiction nur Burke Ramsey, der damals neunjährige Bruder des toten Mädchens, in Betracht, der ihm, wenn auch wahrscheinlich nicht in Tötungsabsicht, mit einem stumpfen Gegenstand den Schädel eingeschlagen hat.
Burke Ramseys Anwalt hat indes bereits angekündigt, wegen dieser Behauptungen und angeblicher massiver journalistischer Defizite rechtliche Schritte gegen CBS einzuleiten. Der Sender ließ indes verlauten, dass er seine Doku-Fiction jederzeit vor Gericht verteidigen wird.
Angesichts des restriktiveren deutschen Presserechts wäre eine Sendung in diesem Stil hierzulande freilich kaum denkbar; nicht weniger hinsichtlich der medienethischen Überlegungen. Die Vorstellung von Öffentlichkeit – besonders bei strafrechtlichen Angelegenheiten – ist in der angelsächsischen Welt eine andere, die es weitgehend zulässt, mit sinniger Argumentation auch noch lebende Personen unter Nennung ihres vollständigen Namens (!) als mögliche Täter ins Spiel zu bringen. True Crime würde in Deutschland schon an einer dafür fehlenden Akzeptanz scheitern.