Ohne Frage: Ohne das Genre Krimi hätten Das Erste und das ZDF nicht so viel zu lachen. Wir wollen uns heute einer der spannendsten Fragen überhaupt widmen: Warum wollen die Privaten, insbesondere Sat.1, nicht am derzeitigen Krimihype partizipieren?
Die Reichweiten- und Quotenbilanz der vergangenen neun Monate ist ziemlich eindeutig: Kein Sender der ProSiebenSat.1-Gruppe hat es in dieser Zeit geschafft, mal einen ganz großen Hype quer durch das Volk zu generieren. Die beste Reichweite einer Sat.1-Sendung im Jahr 2016 lag bis dato bei gerade einmal 3,83 Millionen Zuschauern. Aufgestellt hatte diese im Januar eine Krimiserie aus Amerika: «Navy CIS». Anders Das Erste und das ZDF. Natürlich dominieren dort große Sportevents wie die Fußball- und Handball-EM. Mit Sportrechten lassen sich freilich die ganz großen Massen vor die Geräte locken, hier müssen die privaten Anbieter aber manchmal schlicht aus wirtschaftlichen Gründen passen. Aber selbst wenn man den Bereich Sport im Folgenden komplett ausklammert, liegen die öffentlich-rechtlichen ein weites Stück vorne. Die Top 10 des Ersten wird beispielsweise komplett von «Tatort»-Folgen belegt, die nicht selten auf mehr als zehn Millionen Zuschauer kommen und auch im ZDF-Ranking dominiert eigenproduzierte Fiction.
Meistgesehener Film des Jahres bei den Mainzern war «Das Mädchen aus dem Totenmoor» mit 8,29 Millionen Zuschauern (24,2%), danach kommt eine Ausgabe des «starken Teams» mit 8,18 Millionen (24,8%). Die stärkste «Wilsberg»-Ausgabe der zurückliegenden neun Monate kam auf 7,58 Millionen Zuseher. Und auch bei RTL hat sich diese eigenproduzierte Fiction einen Platz ganz oben in den Charts gesichert. Die Formel 1 mal ausgenommen, befindet sich an der Spitze der RTL-Charts eine Menge von Show-Formaten: Neben «Wer wird Millionär?» und «Let’s Dance» fällt vor allem die bei den Jungen starke Performance des «Supertalents» auf: Jüngst waren hier Werte an die 30 Prozent Marktanteil drin. Definitiv in dieser Reihe zu erwähnen ist aber der Event-Spielfilm «Duell der Brüder» über die Entstehung von Adidas und Puma, der mit seiner Erstausstrahlung auf tolle 24,7 Prozent gelangte.
Und in Sat.1? Betrachtet man nur die Zielgruppe, dann liegt auch hier ein Sportevent ganz vorne in der Gunst: Der im Februar ausgestrahlte Super Bowl. Da Sport hier aber ausgeklammert werden soll, hat in der Tat eine Folge von
«Promi Big Brother» gewonnen – also jene Reality-Show, der eigentlich deutlich gesunkene Quoten in 2016 nachgesagt wurden. Nie war Sat.1 in 2016 aber stärker als an dem Abend, als der große Bruder 16,7 Prozent holte. Nur die Primetime betrachtet liegt die Show vor «Independence Day» mit 15 Prozent und einer Folge von «Criminal Minds» mit 14,8 Prozent. Nimmt man aber das Gesamtpublikum als Maßstab – und das wäre nicht schlecht, wenn man davon spricht, dass auch ein Sender wie Sat.1 mal Relevanz in verschiedenen Bevölkerungsschichten herstellen sollte, landet man schnell bei zwei Dienstags-Filmen. Mit 3,60 Millionen Zuschauern bescherte
«Die Hebamme II» dem Sender die bisher zweitbeste Reichweite ab drei Jahren in 2016. Knapp dahinter liegt
«Die Truckerin», der Pilot zu einer möglichen Action-Serie, die seitdem aber nicht vorangetrieben wurde. 3,59 Millionen Leute sahen diesen.
Nun ist Sat.1 ja durchaus ein Sender, der sich in Sachen fiktionalem Erzählen noch anstrengt, zumindest auf um die 20 Filme pro Jahr zu kommen. Spannend ist hierbei aber schlicht die Auswahl der Stoffe. Zumindest in diesem Herbst dominieren ganz klar wieder Romantic Comedys für Familie und deren Herz. Der Sender lässt es vollkommen unbeachtet, dass die Konkurrenz mit (oftmals nach 0815-Schema aufgebauten) Krimis die Massen begeistert. Natürlich haben all diese Filme ein recht altes Publikum, aber die besten ZDF-Krimis wären auch für Sat.1 in der Zielgruppe ein Erfolg. Zudem besteht ja immer noch die Möglichkeit, mögliche Sat.1-Kriminalfilme etwas jünger zu gestalten.
Sat.1 vergisst also mal wieder seine eigene Geschichte, während sich Sat.1 Gold nachwievor daran erinnert. Dort holt man mittlerweile teils 700.000 Zuschauern mit Wiederholungen von «Kommissar Rex». Mal den Rechner herausgeholt: Das ist etwas weniger als ein Fünftel der besten Reichweite, die der Muttersender überhaupt in diesem Jahr generierte. Geht man nach dem durchschnittlichen Marktanteilen, dann liegt Sat.1 Gold aber nur bei einem Sechstel der Zuseherschaft. Und «Kommissar Rex» ist hier ja nicht das einzige Beispiel. Am Vorabend reißen Tag für Tag «K11» etwas, «Der Bulle von Tölz» läuft beim Best-Ager-Sender rauf und runter und selbst «Wolffs Revier» wird inzwischen dort als Re-Run gezeigt.
Ja, in der Tat fußte der Erfolg des einstigen und noch in Berlin beheimateten Sat.1 zu gewissen Teilen auf der Ausstrahlung von Krimiserien und -reihen. Das Fehlen solcher Stoffe kann natürlich nicht nur mit dem schlichten Vergessen dieser erklärt werden. Stattdessen dürften auch Überlegungen der Weiterverwertung eine (zu) große Rolle spielen. Einfach gesagt: Leichte Familienkost lässt sich später besser auch bei Sendern wie sixx einsetzen. Letztlich aber gibt es eigentlich keinen Grund für Sat.1 (und auch nicht für ProSieben), in diesem Genre nicht stärker einzusteigen. Auch nicht den Misserfolg des Krimi-Versuchs «Mordkommission Berlin 1», der vergangenen Dezember mit rund acht Prozent und 2,4 Millionen Zuschauern kein Erfolg war, aber eben auch keine sonderlich mainstreamige Zuschauergruppe anzusprechen versuchte. Neben Sat.1 darf die Frage des Verpassens des Crime-Trends durchaus auch an das aktuell strauchelnde ProSieben gestellt werden. Denn auch die rote Sieben hat mittlerweile ein echtes Primetime-Problem. Hier mal nur auf die klassische Zielgruppe geschaut, befinden sich etliche «Big Bang Theory»-Episoden mit bis zu 21,5 Prozent an der Spitze. Ebenfalls mischt «Germany’s Next Topmodel» (bis zu 19,5%) oben mit wie auch die Spielfilme «Transformers» (20,3%) und «Shooter» (20,7%). Eine weniger starke Abhängigkeit von Lizenzware würde sicher auch der Chefetage von ProSieben schmecken.