Trotz ständiger Kritik am Konzept von «Bauer sucht Frau», ist die Kuppelshow nach wie vor eines der beliebtesten Formate im deutschen Fernsehen. Warum? Eine medienpsychologische Annäherung.
Zur Medienpsychologie
Die Medienpsychologie ist ein Zweig der Psychologie, der sich in der Forschung mit der Beschreibung, Erklärung und Prognose des Erlebens und Verhaltens, das mit Medien verknüpft ist, beschäftigt. Kern der Medienpsychologie als psychologische Teildisziplin, ist die Untersuchung des Handelns, des Denkens und des Fühlens im Zusammenhang mit der Nutzung von Medien.
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Als soziales Wesen ist der Mensch ständiges Opfer unbewusster Vergleichszwänge, die sich stets leise durch seinen Alltag ziehen: Warum fährt der Kollege trotz Kindern ein edleres Auto, hat der beste Freund eine größere Wohnung oder der Nachbar einen grüneren Rasen? Diese Denkmuster, die sich über den Lauf der menschlichen Sozialisation in unseren Köpfen manifestiert haben, können zuweilen zu einer Menge Frustration, zu Neid, mindestens aber zur Verschlechterung der aktuellen Laune führen. Ein Glück, dass es die Medien gibt, laut einigen Forschungsarbeiten aus dem Bereich der Medienpsychologie können diese nämlich Abhilfe schaffen oder sogar positive Effekte auf unsere Psyche haben. Dass ausgerechnet das am Montagabend in seine zwölfte Staffel gestartete «Bauer sucht Frau» das Potenzial dazu hat, würden im ersten Moment jedoch nur wenige annehmen.
«Bauer sucht Frau» - Sandsack des Feuilletons
Im Grunde Zeit ihres Bestehens und damit bereits seit nun elf Jahren zieht die RTL-Doku-Soap den Zorn etlicher Beobachter auf sich. Vor allem den des Feuilletons, das Formate wie «Bauer sucht Frau» oder das in Aufmachung und Inhalt nahe «Schwiegertochter gesucht» als mediale Freak-Shows geißelt, deren Teilnehmer durch die Produktion bewusst zu skurrilen Handlungen gedrängt würden, um einen möglichst hohen Unterhaltungswert zu erzeugen. Erst kürzlich war diese Meinung eine der Handlungsmotivationen hinter dem vielkommentierten Beitrag “#Verafake“ in Jan Böhmermanns «Neo Magazin Royale». Aber nicht nur Medienbeobachter echauffierten sich während der bislang elf Staffeln der Kuppelshow über die zweifelhafte Zurschaustellung der Protagonisten. So warf Gerd Sonnleitner, damaliger Präsident des Deutschen Bauernverbands, dem Format 2007 vor, ein „dümmliches und falsches Klischee“ der Bauern zu etablieren. Nicht zuletzt die Zuschauer führten sich ebenfalls das ein oder andere Mal hinters Licht geführt,
als von der Produktion beispielsweise ein Forstfachmann als angeblicher Holzbauer verkauft wurde, der nicht an einem Hof, sondern in einer Dreizimmerwohnung lebte. Das einhellige Urteil: Trash-TV.
Die immer wieder aufkeimende Kritik, die Inka Bauses Suche nach geeigneten Partnern für „ihre Bauern“ in der vergangenen Dekade entgegenschlug, steht jedoch in krassem Kontrast zum Sehinteresse des deutschen Fernsehpublikums: In der elften Staffel, die RTL im vergangenen Jahr ausstrahlte, entschieden sich pro Folge durchschnittlich satte 6,03 Millionen Zuschauer für «Bauer sucht Frau» (siehe Info-Box), 2009 kam die Doku-Soap sogar noch auf einen Staffel-Schnitt von knapp acht Millionen Interessierten ab Drei, die Woche für Woche der Bauern-Kuppelei folgten. Wie also kann sich «Bauer sucht Frau» trotz so viel Schelte einer ungebrochen hohen Beliebtheit erfreuen?
Erfolgsformat «Bauer sucht Frau»
Nach elf Jahren Laufzeit stellt «Bauer sucht Frau» noch immer eines der erfolgreichsten RTL-Formate und eines der langlebigsten Sendungen überhaupt im deutschen Fernsehen dar. Zwar verlor die Doku-Soap in den vergangenen Jahren kontinuierlich Zuschauer, in der vergangenen Staffel lockte das von Inka Bause präsentierte Format jedoch durchschnittlich insgesamt sechs Millionen Menschen an.
Lesen Sie hier den gesamten Quotencheck zur vergangenen Staffel von «Bauer sucht Frau».Die Medienpsychologie scheint eine der Antworten auf diese Frage gefunden zu haben, die in der „
Theorie des sozialen Vergleichs“ begründet liegt. Nach den Annahmen des Sozialpsychologen Leon Festinger, die dieser bereits im Jahr 1954 formulierte, beobachtet der Mensch andere Personen mit dem Ziel, etwas über deren Leistungen, Meinungen und Probleme zu erfahren, um auf dieser Grundlage sein eigenes Leben besser einordnen und bewerten zu können. Dies geschehe unbewusst und unweigerlich, insbesondere dann, wenn objektive Standards nicht zur Verfügung stehen – auch mit realen und fiktiven Medienakteuren in Film und Fernsehen, wodurch der Vergleich auf eine parasoziale Ebene gehoben werde. Diesem ständigen Vergleichsprozess liegt ein zentrales menschliches Motiv zugrunde: Sich selbst vor allem positiv wahrzunehmen und zu bewerten.
Mit Karo-Hemd und Blümchen-Couch
Warum man dies gerade beim Schauen von «Bauer sucht Frau» leicht erreicht, fällt beim Blick in die heute gestartete zwölfte Runde des Montagsformats wiederholt auf, wenn man bloß einen sachlichen Blick auf die in Aktion tretenden Bauern wirft. So machen sich in der neuen Staffel unter anderem mit Berthold und Bernd-Udo erstmals zwei Brüder auf die Suche nach der großen Liebe. Im rustikal eingerichteten Wohnzimmer der Brüder, mit dessen Neueinrichtung die ehemalige Senderkollegin Tine Wittler vor nicht allzu langer Zeit alle Hände voll zu tun gehabt hätte, widmen sich die beiden den Bewerbungsvideos ihrer potenziellen Partnerinnen, die sich den schüchternen Brüdern als „närrische Pfälzerinnen“ vorstellen oder ungelenke Tanzeinlagen aufführen. Zuvor wurde dem Zuschauer aus dem Off erklärt, dass Bernd-Udo, der dort neben seinem Bruder mit Karo-Hemd und neon-farbener Basecap auf dem grünen Blümchen-Sofa sitzt, trotz seiner 41 Jahre nie das Glück hatte, eine Freundin gehabt zu haben.
Der 76-jährige Bauer Gerhard wird als zweite Besonderheit der neuen Staffel vorgestellt. Nie war ein Teilnehmer der Sendung älter. Acht Kinder von fünf Frauen hat Gerhard, trotzdem ist er noch immer auf der Suche und erklärt in tiefem sächsischen Dialekt, dass seine Angebetete vor allen Dingen tierlieb sein müsse. Gescripted oder authentisch? Fest steht: Nicht erst seit dieser Staffel wirken einige der Bauern wie Karikaturen, so kommentierte 2010 Romuald Schaber, damaliger Vorsitzender der Deutschen Viehmilchhalter, er habe den Eindruck, bei «Bauer sucht Frau» treten „halbseidene Spaßvögel“ in Erscheinung.
Unabhängig davon, ob es RTL ernst oder nicht mit dem Glück der Bauern meint: Die Milchbauern sind bei Weitem nicht immer so munter, die Kuhzüchter nicht immer so cool und die Schäfer nicht immer so schön, wie RTL sie vorstellt und sie verstehen ihre Teilnahme am Format nicht selten als letzte Chance für ein erfolgreiches Liebesleben. Klar ist dabei, dass die große Mehrheit der Fernsehzuschauer im Laufe ihres Lebens wohl deutlich mehr Glück in der Liebe erfuhr als die Charaktere, die in der Doku-Soap im Mittelpunkt stehen.
Fernsehen zugunsten des Selbstwertgefühls?
Ist dies der Fall, vollzieht der Zuschauer nach den zuvor dargestellten Annahmen einen „abwärts gerichteten sozialen Vergleich“ seiner selbst mit der abgebildeten Person in den Medien. Ein abwärts gerichteter Vergleich erfolgt immer dann, wenn man sich mit schwächer wahrgenommenen Personen oder mit als gleich schwach betrachteten Personen vergleicht, wodurch das eigene subjektive Wohlbefinden erhöht wird. Die Theorie geht sogar noch ein Stück weiter: Fühlt sich die Person durch diesen Vergleich in der Tat besser, wird dieses Vorgehen für zukünftige Vergleiche wahrscheinlicher und damit der Konsum von Formaten wie «Bauer sucht Frau», die diese Wirkung nach sich ziehen.
Zwar können diese parasozialen Vergleiche auch über das Radio oder in Filmen erfolgen, die Medienpsychologen Bente und Fromm stellten 1997 aber die Hypothese auf, dass gerade bei Fernsehsendungen, in denen unprominente Menschen auftreten, soziale Vergleichsprozesse immer mit einem emotionalen Gewinn für den Zuschauer verbunden seien: Sehe sich der Zuschauer erfolgreicher als der Protagonist, fühle er sich bestätigt und aufgewertet. Zeigt sich der Protagonist bei der Bewältigung seiner Probleme unterdessen ähnlich unglücklich wie der Zuschauer, fühle sich der Zuschauer nicht so alleine und erfahre dadurch ebenfalls eine Selbstwertsteigerung. Tatsächlich konnten Bente und Fromm in einer Befragung nachweisen, dass Fernsehzuschauer bei der Wahl von Sendungen, die unprominente Menschen porträtieren, „Sozialer Vergleich/Problembewältigung“ als zentrales Motiv benannten. Einige weitere Experimente unterstützten deren These seither.
Bei all den Diskussionen um Irreführung, Hintergedanken oder zweifelhafte Motivationen, die «Bauer sucht Frau» bisher auslöste, hilft es also, die Psychologie des Formates und seiner Zuschauer besser zu verstehen. So deuten aktuelle Forschungsarbeiten darauf hin, dass Formate dieser Art nicht nur vom Hohn und Spott derer leben, die sich über die Teilnehmer der Kuppelshow lustig machen, sondern auch von sozial verankerten und sehr viel weniger greifbaren Denkprozessen der Fernsehenden. Ob fundierte wissenschaftliche Erklärung oder Bauernweisheit – beruhigend ist diese Erklärung allemal.