Die Kritiker: «Tödliche Geheimnisse»

Ein Film über TTIP, der so tut, als sei er unbequem, mit dem Wahrheitsgehalt einer Donald-Trump-Rede und der Aufrichtigkeit von Nigel Farage. Öffentlich-rechtliches Fernsehen am argumentativen Tiefpunkt.

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Nina Kunzendorf als Rommy Kirchhoff
Anke Engelke als Karin Berger
Katja Riemann als Lilian Norgren
Oliver Masucci als Paul Holthaus
Paula Beer als Tessa Norgren
Hary Prinz als Ole Heynert
Sebastian Hülk als Behringer

Hinter der Kamera:
Produktion: Dreamtool Entertainment und Sperl Film- und Fernsehproduktion
Drehbuch: Florian Oeller
Regie: Sherry Hormann
Kamera: Armin Golisano
Produzentin: Gabriela Sperl
Paul Holthaus (Oliver Masucci) will auspacken: Jahrelang hat er als Lobbyist im Auftrag des kruden Monsanto-Verschnitts Norgreen Life EU-Beamte bequatscht, um die TTIP-Verhandlungen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Nun, obwohl er dabei um sein Leben fürchtet, will er dem Vertreter einer Anti-TTIP-Gruppierung und der Journalistin Rommy Kirchhoff (Nina Kunzendorf) ein Interview geben und dort all die Schweinereien ausbreiten, die bei den Konzernen und den europäischen Behörden im Gange sind.

Man trifft sich in einem schicken Brüsseler Hotel, die Kamera ist bereit, Holthaus übergibt noch kurz einen USB-Stick mit allerhand brisanten Daten – und dann wird Kirchhoff unter einem Vorwand aus dem Hotelzimmer gelockt. Als sie zurückkehrt, sind Holthaus und der TTIP-Gegner verschwunden, sie selbst wird von einem unbekannten Täter unter Drogen gesetzt und kommt erst einige Stunden später auf einer Parkbank wieder zu sich. Allein. Ohne Handy, ohne Dokumente, und erst recht ohne brisanten USB-Stick.

Wieder bei Bewusstsein klingelt Kirchhoff zu ihrer Chefredakteurin Karin Berger (Anke Engelke) durch, mit der sie bis vor einigen Jahren liiert war. Berger reist zügig nach Brüssel, um Kirchhoff bei der Suche nach Holthaus und dem mit ihm verschwundenen TTIP-Gegner zur Hand zu gehen. Währenddessen hält Norgreen-Life-Chefin Lilian Norgren (Katja Riemann) allerhand Sonntagsreden und spendet Unmengen Geld – natürlich alles Finten, um die menschenverachtenden Methoden zu verschleiern, mit denen ihr Konzern hantiert, um seine bösartigen Ziele zu erreichen: Denn mit seinen Saatgut- und Pflanzenschutzarmen hat der ein synergetisch perfektes Modell hochgezogen, um seine Gewinne zu maximieren und dabei Hunderttausende indische Kleinbauern erst in den Ruin und dann in den Suizid zu treiben. Und schließlich müsste es in einem öffentlich-rechtlichen Aufschrei-Film mit dem Teufel zugehen, wenn Norgreen mit seinem genmanipulierten Fraß und den chemischen Keulen nicht wissentlich die ganze Welt vergiftet.

Man merkt diesem Film an, dass es ihm ernst ist, dass er kein rührseliges Brimborium um ein gesellschaftliches Brandthema spinnen, sondern einen veritablen Beitrag zur öffentlichen politischen Diskussion leisten will. An diesem Anspruch muss er sich dann aber auch messen lassen – und fällt hier so knallhart durch wie das Chlorhühnchen beim deutschen Verbraucher.

An «Tödliche Geheimnisse» gibt es vieles, was einen schockieren darf: vornehmlich die holzschnittartigen Figurenzeichnungen, die glasklar zwischen abgrundtief bösen Großkonzernchefinnen, grundgütigen Journalistinnen und engagierten, aber korrumpierbaren Chefredakteurinnen trennen und ambivalente Aspekte so konsequent vermeiden wie Jakob Augsteins Kolumnen eine positive Erwähnung von NATO und Westbindung.

Das ist tragisch, weil es die Debatte um das transatlantische Freihandelsabkommen nicht nur verzerrt, sondern opponierende Argumente überhaupt nicht zulässt: Dieser Film zeigt keinen einzigen Befürworter von TTIP, der reinen Herzens seine Überzeugungen vertritt. Die einzigen Befürworter, die «Tödliche Geheimnisse» auftreten lässt, sind diffuse finstere Mächte, vertreten durch Konzerne, die systematisch über Leichen gehen, und seelenlose Bürokraten, die allein in technokratischen Strukturen denken und „das Volk“ an abstrakte Interessen verkaufen. Was bleibt, ist ein denkfaules Herunterrattern böswilliger Unterstellungen, das in seiner Penetranz gar die Grenze zur unappetitlichen Demagogie zu überschreiten droht, indem sich der Film einer dramaturgisch sinnigen Debatte der Sachthemen verweigert, sondern in seiner Prämisse davon ausgeht, dass jeder, der TTIP verteidigt, ein bösartiger Scharlatan sein muss.

Natürlich wird dieser Film Applaus bekommen: Mit seinen dumpfen Vorurteilen, gespeist aus Halbwahrheiten und antiamerikanischen Tendenzen, redet er seinen antizipierten Zuschauern nach dem Mund, anstatt den komplizierteren, aufrichtigeren – und sicherlich auch narrativ ergiebigeren – Weg zu gehen, und seine Zuschauer in ihren vorgefestigten Meinungen herauszufordern.

So wie «Tödliche Geheimnisse» seine Geschichte erzählt, führen Nigel Farage und Donald Trump ihre Wahlkämpfe: mit einem Desinteresse an der Faktenlage, Übertreibungen, die die tatsächlichen Zustände in die Unkenntlichkeit verzerren, und einem alles durchziehenden Populismus, der dem Publikum stumpf bestätigt, was es hören will, ganz gleich, ob es stimmt oder nicht. Nur, dass es diesem Film auf eine politische Stoßrichtung gar nicht ankommt. Sahra Wagenknecht und Alexander Gauland werden in trauter Eintracht applaudieren.

«Tödliche Geheimnisse» ist kein Film über einen beliebigen ruchlosen Konzern, der unliebsame Gegner meucheln lässt und die Menschheit vergiftet. Es ist ein Film über TTIP und Monsanto, dem ein solches Geschäftsgebaren durch die dramaturgische Struktur unterstellt wird. Das ist armselig und unredlich, in Deutschland aber populär. Ein Film, der es besser macht: die amerikanische (!) Produktion «Michael Clayton» aus dem Jahr 2007 mit George Clooney und Tilda Swinton.

Das Erste zeigt «Tödliche Geheimnisse» am Samstag, den 5. November um 20.15 Uhr.
03.11.2016 10:30 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/89119