US-Wahlthriller: Wie gemacht fürs Fernsehen

Der Kampf um das Präsidentenamt sorgte mehr als einmal für Augenreiben bei seinen Beobachtern. Warum nie eine Politikveranstaltung fernsehtauglicher war.

Jetzt ist es vorbei. Man sieht förmlich wie eine Tonne von Emotionen, die sich über den anstrengenden Wahlkampf hinweg aufgestaut hat, nun endlich abfällt. Die Sorgenfalten im Gesicht entspannen sich. Langsam streicht die dunkle Gestalt über den massiven Schreibtisch im Oval Office. Dann stellt sie sich vor das Fenster, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Der Blick richtet sich raus auf Washington, ihr Washington. Close-Up. Langsam ziehen sich die Mundwinkel nach oben. Fade to black. Der Abspann läuft.

„Oh mein Gott, ich bin so gespannt auf das amerikanische Serienfinale“, schrieb Montagnacht BBC-Journalistin Julia Macfarlane ironisch. Wie oben skizziert könnte dieses Finale der ersten Staffel einer Serie über den zurückliegenden Wahlkampf für das US-Präsidentenamt 2016 aussehen. Dass kein Wahlkampf für mehr Zündstoff unter den Amerikanern und dem Rest der Welt sorgte, dürfte spätestens unmittelbar vor der Entscheidung klar sein, welcher der skandalumwitterten Kandidaten nun das Weiße Haus beziehen darf. Hillary Clinton und Donald Trump haben es den US-amerikanischen Wählern bisher alles andere als leicht gemacht. Die polarisierenden Charaktere brachen alte Strukturen um Gruppen von alteingesessenen Demokraten und Republikanern auf, die vom Kandidaten ihrer eigentlich favorisierten Partei plötzlich nichts mehr wissen wollten. Im Falle Trumps wandten sich sogar große Teile der republikanischen Politiker von ihrem Kandidaten ab. Ein bislang einmaliger Vorfall und ein Phänomen, das es zu ergründen gilt. Am besten in einer mehrteiligen Doku.

Doch diese US-Wahl schrieb auch sehr viel dunklere Kapitel, die bis ins Kriminelle hineinreichen, der Begriff ‚Wahlthriller‘ funktionierte daher gleich auf mehreren Ebenen. Die Liste der Skandale, dubiosen Vorkommnisse in der jeweiligen Vergangenheit der Kandidaten und Argumente gegen eine Amtsübernahme beider Anwärter sind schließlich lang. Oder wie es der US-amerikanische Late-Night-Talker Seth Meyers kürzlich ausdrückte: Wir haben Hillary, gegen die derzeit aufgrund der Nutzung eines privaten Mail-Servers ermittelt wird, die eine von menschrechtsverletzenden Staaten mitfinanzierte wohltätige Organisation unterhält, der Wall Street viel zu nahesteht und den Irakkrieg mitverantwortete. Und natürlich Donald Trump, der Mexikaner pauschal als Vergewaltiger bezeichnete, allen Muslimen die Einreise in die USA verbieten will, behinderte Journalisten veralberte, schreiende Babys bei seinen Reden aus dem Saal entfernen ließ, die Eltern eines gefallenen US-Soldaten attackierte, sexuell übergriffig wurde und damit prahlte, empfiehlt mehr Atomwaffen zu produzieren, hohe Millionenbeträge an Steuern hinterzog oder die Klimaerwärmung für ausgemachten Unsinn hält – unter anderem.

Überhaupt sind diese beiden Kandidaten ein gefundenes Fressen für alle Polit-Talker in den USA, neben Meyers unter anderem Stephen Colbert, John Oliver oder Trevor Noah, die überhaupt keine Probleme hatten, beide Kandidaten, insbesondere Trump, bei jeder Gelegenheit bloßzustellen – mit Recht. Schon vor der eigentlichen Wahlentscheidung zehrte die Unterhaltungsindustrie also - halb ungläubig, halb dankbar - vom üppigen Teller an Aufregern im US-Wahlkampf. Die Verfehlungen Clintons und Trumps gehen soweit, dass in einer Serienadaption des teilweise skurrilen Wahlkampfs unwissende Zuschauer das Programm vermutlich abschalten würde, weil es ihnen zu unglaubwürdig ist. Die Realität ist in diesem Fall absurder als es die Fiktion je sein könnte. Mittendrin zwei Personen mit noch mehr Leichen im Keller als Frank Underwood in «House of Cards». Zwei Machiavellisten, wie aus der Feder von Shakespeare höchstselbst.

Vermutlich würde sich eine bitterböse Satire am besten für die Serienumsetzung des Duells Clinton vs. Trump eignen, schließlich ist keiner der beiden auch nur annähernd sympathisch genug, als dass Zuschauer mit ihnen mitfiebern könnten. Man hatte es mit den zwei unbeliebtesten Kandidaten überhaupt in der Geschichte der US-Wahlen zu tun, gleichzeitig aber auch von Herkunft und den Idealen mit zwei komplett gegensätzlichen Polen. Auch das machte die Brisanz dieses Wahlkampfs aus und das Duell der Gegensätze so fernsehreif. Establishment gegen Establishment-Hasser, kühler Politik-Profi gegen aufbrausenden Narziss, Frau gegen Frauenfeind, Freund gegen Feind von Minderheiten, erfahrene Diplomatin gegen außenpolitischen Hasardeur. Und die ganze Welt schaut hin, denn wohl kein nationaler Wahlkampf hat das Potenzial, das Leben der ganzen Welt mittelfristig so zu prägen.

Steckbrief

Timo Nöthling ist seit April 2013 Teil der Quotenmeter-Redaktion. Sein Arbeitsbereich war von Beginn an breit gefächert und umfasst zahlreiche Schwerpunktthemen, Hintergrundartikel, Interviews oder die wöchentlichen US- und Sport-Checks. Mittlerweile fokussiert der Serienfan vorrangig auf Themen rund um die US-Unterhaltungsindustrie, insbesondere Streaming.
Trotzdem blieb das Rennen stets eng, die große Auflösung kann sich also bis zum potenziellen, oben skizzierten Staffelfinale hinziehen. Für das kleinere Übel hielten viele Clinton, deren Skandale ihr wesentlich weniger schadeten als Trump dessen Affären. Mehrmals wurde der bewegte Wahlkampf aufgrund neuer Trump-Skandale für beendet erklärt. Dennoch näherten sich die Umfragewerte immer wieder an. Warum verstand keiner. Von dieser Spannung profitierten nicht zuletzt die TV-Sender, die sich dieser Tage noch auf die Berichterstattung konzentrieren. Nachrichtensender CNN erzielte mit einer Milliarde Bruttogewinn das beste Ergebnis der Firmengeschichte, als ‚sprudelnde Ölquelle‘ bezeichnete die „Washington Post“ das Rennen ums Weiße Haus für das Fernsehen. Am eindrucksvollsten bewiesen das die drei TV-Debatten der Präsidentschaftsanwärter. Mit 84 Millionen US-Zuschauern bei den 13 ausstrahlenden Sendern stellte das erste Duell einen neuen Zuschauerrekord auf. 66,5 Millionen Personen in den USA sahen Debatte zwei, ehe die dritte wieder 71,6 Millionen Menschen anlockte. Eine Kuh, die es auch nach der Wahl-Entscheidung weiter zu melken gilt.

Das Publikum lechzt nach mehr, die Medien kamen mit der Berichterstattung in den vergangenen Tagen gar nicht mehr nach, als sich sogar Präsident Obama oder das FBI einschalteten, um sich ganz unverhohlen auf die Seite eines der Kandidaten zu schlagen. Unzählige Skandale, zwei hochinteressante Charaktere und ein Wahlkampf, der nicht nur über das Leben von 318 Millionen US-Amerikanern, sondern zu einem gewissen Teil auch über die Zukunft der ganzen Welt entscheiden wird. Die Einsätze könnten nicht höher sein. Ob Doku, Satire oder Drama-Serie – dieser Wahlkampf ist wie geschaffen für eine TV-Verwertung. In den nächsten Jahren dürfen wir gespannt bis besorgt mit ansehen, wie eine mögliche Staffel zwei aussehen könnte.
08.11.2016 14:16 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/89230