Der spanische Mime erklärt Quotenmeter.de, was die Unterschiede zwischen europäischen und US-amerikanischen Regisseuren sind und weshalb er bei «Good Behavior» nicht Gastregie führen möchte.
Zur Person: Juan Diego Botto
Der Schauspieler Juan Diego Botto wurde am 29. August 1975 in Buenos Aires, Argentinien geboren und zog mit seiner Mutter und seiner Schwester noch im Vorschulalter nach Spanien. Schon mit sieben Jahren stand er erstmals vor der Kamera, der Historienfilm «1492 – Die Eroberung des Paradieses» war sein erster größerer Erfolg. Er spielte danach unter anderem in Doris Dörries «Bin ich schön?» und dem Homosexuellendrama «Sobreviviré» mit sowie in John Malkovichs «Der Obrist und die Tänzerin».Sie haben bereits mit zahlreichen lateinamerikanischen und spanischen Regisseuren zusammengearbeitet, ebenso mit westeuropäischen Filmschaffenden wie Doris Dörrie oder US-Regisseuren wie Ridley Scott und John Malkovich … Haben Sie im Laufe Ihrer Karriere Unterschiede feststellen können, wie Filmschaffende aus unterschiedlichen Kulturkreisen an die Regiearbeit herangehen?
Der Job von uns Schauspielern ist im entscheidenden Moment, also nachdem der Regisseur „Action!“ gerufen hat und noch bevor es „Cut!“ heißt, ja quasi immer derselbe: Wir müssen den Text und die darin liegenden Gefühle sowie den Sinn der Szene plausibel zum Leben erwecken. Darauf hat die Identität oder Herkunft des Regisseurs keinen Einfluss. Was sich aber meiner Erfahrung nach durchaus ändert: Europäische und lateinamerikanische Regisseure haben gemeinhin mehr Kontrolle über das Gesamtwerk und befinden sich intensiver im Austausch mit den Darstellern als ihre US-amerikanische Kollegen.
In den USA sind die Regisseure viel häufiger als in anderen Ländern bloß Auftragsarbeiter, und es sind die Drehbuchautoren oder Produzenten, die über die künstlerische Kontrolle verfügen. Auf der anderen Seite steht US-Projekten im Normalfall ein höheres Budget zur Verfügung als vergleichbaren Filmen oder Serien in Europa und Lateinamerika, was wiederum Einfluss auf die Drehzeit hat – und meiner Ansicht nach ist es stets von Vorteil, wenn man sich beim Dreh nicht abhetzen muss.
Da Sie bereits im Theater und bei einem Segment eines Episodenfilms Regie geführt haben, frage ich mich, ob Sie sich nicht vorstellen können, auch eine «Good Behavior»-Serienfolge zu inszenieren …
Ich muss gestehen, dass ich das Schreiben dem Regieführen vorziehe. Dennoch steht es auf meiner To-do-Liste: Seit drei Jahren arbeite ich an einem Skript, mittlerweile sitze ich am wahrscheinlich finalen Entwurf, und so wie ich den europäischen Filmmarkt kenne, dürfte ich in zwei Jahren endlich damit beginnen, dieses Projekt zu inszenieren. Hinsichtlich «Good Behavior» wiederum habe ich derzeit keine Absichten, mich auf den Regiestuhl zu schwingen, selbst wenn wir eine zweite oder gar eine dritte Staffel bekommen sollten.
Ich habe nämlich schon einmal bei einem Projekt Regie geführt, bei dem ich als Schauspieler tätig war – und das war keine Erfahrung, mit deren Ergebnis ich zufrieden bin. Das war bei einer «Hamlet»-Theateraufführung in Spanien, bei der ich die Hauptrolle übernommen habe, und das war vollkommener Wahnsinn. Ich war mit meiner Schauspielleistung nicht zufrieden, weil ich mich nicht voll auf sie konzentrieren konnte, und ich finde, dass ich als Regisseur ebenfalls hätte besser sein können, hätte ich nicht Zeit für meine Darbietung aufwenden müssen. Meiner Erfahrung nach sind beide Aufgaben völlig entgegengesetzt: Ein Regisseur muss stets eine klare, stringente Vision und die volle Übersicht haben, ein Schauspieler dagegen muss in seine Rolle abtauchen und willens sein, sich der Idee des Regisseurs zu unterwerfen. Dennoch bin ich für diese Erfahrung dankbar, weil ich durch diesen Prozess viel gelernt habe.
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Ich komme aus dem Filmbereich, wo du ja vorm Dreh genau weißt, was der Anfang, der Mittelpunkt und das Ende der Geschichte und somit auch der Entwicklung deiner Rolle ist. Anders als im Fernsehen, wo man vorab oftmals nur das Drehbuch zur Pilotfolge bekommt, vielleicht noch zur zweiten Folge. Somit fehlen viele Informationen, die dabei helfen, eine Herangehensweise für die Darbietung der Rolle zu finden.
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Juan Diego Botto
Stichwort „Die volle Übersicht haben“: Bei manchen Serien erfahren die Schauspieler ja Folge für Folge, was ihren Figuren widerfährt. In anderen Fällen bekommen die Darsteller durchaus vorab erklärt, welche Reise ihre Rollen im Laufe der Serie durchmachen werden. Wie war es bei «Good Behavior»?
Da sprechen Sie was an, das mich vorab nervös gemacht hat. Ich habe wenig TV-Erfahrung. Ich komme aus dem Filmbereich, wo du ja vorm Dreh genau weißt, was der Anfang, der Mittelpunkt und das Ende der Geschichte und somit auch der Entwicklung deiner Rolle ist. Anders als im Fernsehen, wo man vorab oftmals nur das Drehbuch zur Pilotfolge bekommt, vielleicht noch zur zweiten Folge. Somit fehlen viele Informationen, die dabei helfen, eine Herangehensweise für die Darbietung der Rolle zu finden. Glücklicherweise hatten wir mit Chad Hodge einen wundervollen Showrunner, der viel Schreiberfahrung mitbringt und der auf uns Schauspieler sehr offen zugegangen ist – er hat sich all unsere Fragen sehr geduldig angehört, er gab ausführliche Antworten und hat auch wiederholt Dinge entsprechend unserer Anmerkungen angepasst. Daher konnte ich beim Dreh auf den groben Plan, den Hodge für meine Rolle hegt, zurückgreifen, was mir sehr geholfen hat.
Was brachte Sie dazu, trotz Ihrer geringen TV-Erfahrung an «Good Behavior» mitzuwirken?
Es war das großartige Skript zur Pilotfolge. In meiner gesamten Schauspielkarriere ist mir nie ein Skript untergekommen mit solch einer Rolle wie der des Javier, den ich in «Good Behavior» spiele. Ich mag auch sehr die Dynamik zwischen ihm und Letty, Michelle Dockerys Figur. Es ist eine Geschichte darüber, wie eine einst alkoholsüchtige Diebin und Betrügerin mit einem Auftragskiller anbändelt – und aus dieser Prämisse entsteht eine Erzählung über erneute Chancen. Dennoch strahlt die Story ein Gefühl der Verzweiflung aus – all dies ist sehr figurengesteuert, statt konzeptgetragen. Das hat mir ebenfalls sehr zugesagt, da dieser Fokus aufs Persönliche im Kino der 70er bis 90er stattfand, heutzutage im Kino aber sporadischer vorkommt und eher eine TV-Domäne wird.
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Es ist eine Geschichte darüber, wie eine einst alkoholsüchtige Diebin und Betrügerin mit einem Auftragskiller anbändelt – und aus dieser Prämisse entsteht eine Erzählung über erneute Chancen. Dennoch strahlt die Story ein Gefühl der Verzweiflung aus – all dies ist sehr figurengesteuert, statt konzeptgetragen.
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Juan Diego Botto
Üblicherweise bereiten Sie sich auf Ihre Rollen vor, indem Sie Filme oder Bücher mit ähnlichen Figuren schauen beziehungsweise lesen. Fiel dies dann bei «Good Behavior» weg?
Genau, normalerweise suche ich Inspiration in früheren Werken, doch in diesem Fall habe ich nichts gefunden, wo eine Figur wie Javier in glaubwürdige Weise dargestellt wurde. Also habe ich mich ganz allein auf die Drehbücher, die Regieführung und meinen Instinkt verlassen. Glücklicherweise sind die Dialoge in «Good Behavior» echt stark und meine Serienpartnerin Michelle eine tolle Schauspielerin, auf die ich mich jederzeit verlassen konnte – die alte Schauspielweisheit stimmt einfach: Je besser dein Gegenüber, desto leichter wird deine Arbeit. Mit Michelle habe ich viel geprobt, und wir konnten uns detailliert über unsere Rollen und deren Gefühle austauschen, mit ihr konnte man stressfrei improvisieren und immer neue Ansätze für knifflige Szenen ausprobieren – daher habe ich mir beim Dreh kaum noch Gedanken darüber gemacht, dass ich entgegen meiner Gewohnheit ohne Inspiration agieren musste.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
«Good Behavior» ist ab dem 16. November 2016 immer mittwochs um 21.45 Uhr bei TNT Serie zu sehen.