Dem Kanadier Denis Villeneuve gelingt mit seinem Science-Fiction-Drama «Arrival» etwas, was noch nicht einmal seine ganz großen Kollegen aus Hollywood geschafft haben: Sein Erstkontakt zwischen außerirdischem Leben und der Menschheit gerät so realistisch, wie in noch keinem anderen Film zuvor.
Filmfacts: «Arrival»
- Kinostart: 24. November
- Genre: Science-Fiction/Drama
- FSK: 12
- Laufzeit: 116 Min.
- Kamera: Bradford Young
- Musik: Jóhann Jóhannsson
- Buch: Eric Heisserer
- Regie: Denis Villeneuve
- Darsteller: Amy Adams, Jeremy Renner, Forest Whitaker, Michael Stuhlbarg, Sangita Patel, Abigail Pniowsky, Mark O'Brien, Tzi Ma
- OT: Arrival (USA 2016)
Was wäre, wenn? Keine Frage stellen Regisseure lieber, als diese. Und in der Blockbustermetropole Hollywood verbindet man sie gern mit viel Krawumm. Entsprechend spektakulär geraten regelmäßig die diversen Aufeinandertreffen zwischen der Menschheit und außerweltlichem Leben. Sei es nun in Roland Emmerichs «Independence Day», der in diesem Jahr sogar eine Fortsetzung erfuhr, den vielen verschiedenen Weltraummärchen von «Star Trek» über «Star Wars» bis hin zu solch überbordenden Effektspektakeln wie «Krieg der Welten»: Sobald der Mensch auf Außerirdische trifft, kommt es nicht selten zu visuell spektakulären Auseinandersetzungen. Ganz gleich, wie realistisch diese auch sein mögen. Doch seit Neuestem reicht es den Filmemachern nicht mehr, ausschließlich die „Was wäre, wenn?“-Frage zu stellen. Man möchte meinen, dass hier auch die fortschreitenden, wissenschaftlichen Erkenntnisse um unser aller Existenz eine Rolle spielen. Christopher Nolan warb für seinen «Interstellar» nicht umsonst damit, dass ein Großteil der im Film stattfindenden Geschehnisse so tatsächlich passieren könnte. Da ist es doch viel interessanter, die eventuell bevorstehende Alieninvasion emotional zu unterfüttern und nicht bloß das Spektakel an sich, sondern vor allem die Auswirkungen auf uns als Gesellschaft zu betrachten. Denis Villeneuve, Mastermind hinter Filmen wie «Prisoners», «Enemy» und «Sicario», geht mit seinem Sci-Fi-Drama «Arrival» nun exakt diesen Weg. Seine Alieninvasion wird zum Understatement und seine augenscheinliche Zukunftsvision zur Parabel auf die aktuellen Fehltritte der Menschheit. So kommt es, dass wir uns nach dem Kinobesuch von „Arrival“ nie sicherer waren, die Frage
„Was wäre, wenn?“ mit
„Das wäre!“ beantworten zu können.
Sie kommen!
Zwölf mysteriöse Raumschiffe landen zeitgleich in unterschiedlichen Regionen der Welt. Ihre Besatzung und deren Intention – ein Rätsel. Um globale Paranoia und einen potentiellen Krieg zu verhindern, soll ein Elite-Team um die Linguistin Louise Banks (Amy Adams) und den Mathematiker Ian Donnelly (Jeremy Renner) im Auftrag des Militärs Kontakt herstellen. Doch das unermüdliche Streben nach Antworten gerät bald zum Rennen gegen die Zeit – die eigene und die der gesamten Menschheit.
Normalerweise lassen sich ja gerade Science-Fiction-Filme entweder dem Bild der Utopie, oder – vor allem derzeit gern genommen – der Dystopie zuordnen. Die erste Besonderheit an «Arrival» ist diese, dass sich Denis Villeneuve bei der Inszenierung des von Eric Heisserer («Lights Out») auf Basis der von Ted Chiang verfassten Kurzgeschichte «The Story of Life» verfassten Skripts vollständig davon loslöst, seinen Film in eine der beiden Kategorien einzuordnen. «Arrival» etabliert zu Beginn der zweistündigen Odyssee ein Grundszenario, das ausschließlich den Ist-Zustand beschreibt, das aber zu keinem Zeitpunkt Aufschluss darüber gibt, welche Richtung eben dieser noch einschlagen könnte. Wenn Amy Adams («Batman v Superman: Dawn of Justice») zu Beginn des Films über das Fernsehen von der weltweiten Landung mehrerer eiförmiger Flugobjekte berichtet, herrscht genau die Art von Verwirrung in Gesellschaft und Regierung vor, wie man sie auch heute schon immer dann erleben kann, wenn ein besonders großes (meist tragisches) Ereignis die Welt für einen kurzen Moment erschüttert. Villeneuve braucht diese Atmosphäre, die wir alle schon am eigenen Leib erlebt haben, nicht noch weiter auszuschmücken, um die greifbare Intensität derselben einzufangen. Das, was in «Arrival» passiert, fühlt sich vor allem deshalb so echt an, weil sich der Kanadier nicht an dem in Hollywood so gern gesehenen „Höher, schneller, weiter“-Konzept bedient. Sein Film packt einen, weil er den Ereignissen nicht mehr Spektakel beimisst, als jedem anderen besonderen Ereignis auch. Und vielleicht ist er gerade damit auf exakt dem richtigen Weg, um zu ergründen, was wäre, wenn wir mit außerirdischem Leben in Kontakt gerieten.
Entsprechend gestaltet sich der immerwährende Blick hinter die Kulissen des Regierungs- und Forschungsapparates in «Arrival» fast schon nüchtern. Eine Figur wie der von Forest Whitaker («Southpaw») besonnen gespielte Colonel Weber könnte so auch in jedem x-beliebigen Thriller auftauchen. Denis Villeneuve inszeniert ihn als das Geschehen von Außen betrachtende, moralische Instanz, mit der sich auch als Publikum gut sympathisieren lässt. Seine zwischen Forschungsdrang und Vorsicht chargierende Figur gefällt in ihrer Zerrissenheit; die emotionalen Schwankungen bleiben jedoch stets nachvollziehbar und wirken nie wankelmütig. Der emotionale Anker ist dagegen Amy Adams‘ Louise Barks. Die fünffach Oscar-nominierte Schauspielerin (wir würden uns wünschen, dass sie mit «Arrival» nun den ersten Sieg einfährt) glänzt in dieser fordernden Rolle. Ohne zu viel zu verraten, umgibt ihre Darstellung ein ganz besonderer Clou: Im Laufe des Films ist ihre Performance einer Besonderheit innerhalb der Geschichte unterworfen, die ihr mehr denn je eine mit viel Fingerspitzengefühl angelegte Subtilität abverlangt. Mit der Darbietung Adams‘ steht und fällt somit das Gros emotionaler Berührungspunkte. Gleichzeitig ist die 42-jährige Italienerin in der Lage, genau diese Mammutaufgabe zu stemmen. Dem kann Jeremy Renner («Marvel’s The Avengers 2: Age of Ultron») trotz starker Leistung kaum etwas entgegen setzen. Seine unbedarfte Performance bringt in allzu ernsten Momenten eine Prise Leichtigkeit ins Geschehen, ohne dabei auf typische Buddy-Movie-Mechanismen zurückzugreifen.
Ein ganz und gar außergewöhnliches Kinoerlebnis
Auch, wenn sich «Arrival» vor allem auf zwei sich einander ergänzende Figuren konzentriert, geht es im Kern weniger um die Interaktion der beiden, als um die Entschlüsselung des eingangs schon angerissenen Ist-Zustands. Was steckt hinter den überdimensionalen Flugobjekten? Sind sie Freund oder Feind? Und vor allem: Wie beeinflussen sie uns Menschen in dem, was wir jeden Tag tun? In seinen 116 Minuten befasst sich Denis Villeneuve allen voran mit dem Mysterium der Sprache. Als Linguistin liegt es an Louis Barker, die Kommunikationsform der außerirdischen Wesen zu erforschen. Was in der Theorie erschreckend trocken klingt, kann Villeneuve dank des cleveren Drehbuchs so nachvollziehbar und spannend inszenieren, dass auch der Zuschauer bald jede neue Erkenntnis aufsaugt. Auch wenn unsereins aufgrund der komplexen Ausarbeitung nie auch nur im Ansatz in der Lage sein dürfte, im Stil klassischer Krimis mitzuknobeln, wirken die anschließenden Erklärungen zu keinem Zeitpunkt weit hergeholt. So kommt es auch, dass der Moment der Einsicht ob dieses Mysteriums für den Zuschauer besonders intensiv gerät. Ein wenig erinnert «Arrival» im Stellenwert dieser Erkenntnis an «Interstellar». Villeneuve ist darin jedoch nicht bloß viel minimalistischer und setzt auf weniger Spektakel. Durch geschickte Irreführung und das Außenvorlassen entscheidender Informationen wird der Zuschauer während seiner Erleuchtung dazu aufgefordert, nicht bloß all sein Wissen der vergangenen zwei Stunden neu aufzurollen, sondern sich auch nochmal all den vorausgegangenen Emotionen zu stellen. Gefühlsschwankungen von knapp zwei Stunden innerhalb weniger Sekunden erneut zu durchleben, führt in „Arrival“ wahrlich zu einem der intensivsten Kinomomente der Filmgeschichte; und damit hätten wir die dahinter steckende Begründung noch nicht einmal angerissen.
Doch Denis Villeneuve ist nicht bloß ein formidabler Geschichtenerzähler, er ist auch einer der größten Ästheten des modernen Gegenwartskinos. Sein Doppelgänger-Psychothriller «Enemy» gestaltete als fiebrigen Albtraum, während er aus dem Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA ein pulsierendes Moloch aus Angst und Gewalt kreierte. In «Prisoners» dagegen herrschte die eiserne Kälte Rache innewohnender Fantasien vor, für die Kamerakünstler Roger Deakins einen Oscar hätte gewinnen müssen. Für «Arrival» nun setzen Villeneuve und sein Kameramann Bradford Young («Selma») auf Minimalismus. Lediglich im Inneren der Flugobjekte, in dem gerade Linien das Bild dominieren, erlaubt sich der Kameramann einen Hauch Verspieltheit; etwa wenn er in hypnotischen Kamerafahrten – im wahrsten Sinne des Wortes – permanent die Blickperspektive auf das Geschehen ändert. Ansonsten verzichten die Macher auf die Verwendung besonderer Filter oder andere visuelle Besonderheiten. Manchmal verharrt die Kamera minutenlang in einer einzigen Einstellung und lässt das Geschehen für sich sprechen. Die darüber hinaus nicht minder unspektakulären Effekte fügen sich hervorragend in das realistische Setting ein. Auf musikalischer Ebene kombiniert Komponist Jóhann Jóhannsson («Die Entdeckung der Unendlichkeit») einen fast schon non-existenten Score minimalistischer Instrumentalklänge mit Max Richters einprägsamer Ballade „On the Nature of Daylight“ (bekannt aus «Shutter Island» und «Disconnect»), das so prägnant die Flashbacks in die Vergangenheit von Adams’ Figur untermalt, dass sich der ihr innewohnende Schmerz Szene für Szene stärker auf uns überträgt. Denn am Ende geht es nicht um das
„Was wäre, wenn?“ – es geht um das
„Was ist?“…
Fazit
Denis Villeneuve liefert mit «Arrival» nicht bloß den mit Abstand besten Science-Fiction-Film des Jahres ab, sondern auch eines der intelligentesten, nachhaltigsten und emotional packendsten Dramen der Filmgeschichte, das den Zuschauer mit so vielen Gefühlen auf einmal konfrontiert, das man sich von der Wucht und Schönheit dieses Films gerne erschlagen lassen darf.
«Arrival» ist ab dem 24. November bundesweit in den deutschen Kinos zu sehen.