Opdenhövels Altersquiz: Charmant uncharmant, aber etwas behäbig

Mit «Rate mal, wie alt ich bin» betrat am Freitag nach längerer Zeit mal wieder ein neuer Akteur den ARD-Quizvorabend. Dem mangelte es ein wenig an Tempo, setzte allerdings auch schon erste Duftmarken.

ARD-Quizaufgebot am Vorabend

  • «Quizduell» (seit 2014) & «Quizduell-Olymp» (seit 2015)
  • «Gefragt - Gejagt» (seit 2015)
  • «Wer weiß denn sowas?» (seit 2015)
  • «Paarduell» (seit 2016)
  • «Rate mal, wie alt ich bin» (seit 2016)
  • «Sag die Wahrheit» (vsl. ab 2017)
  • evtl. «Flieg mit mir» (mehr Infos zu diesem Projekt hier)
Letzter Ausweg Vorabend: Mag man es arg überspitzt, könnte man diese Überschrift bei Matthias Opdenhövel nutzen, schließlich ist unter seiner Leitung bisher nahezu alles nach hinten losgegangen, was der ehemalige «Schlag den Raab»-Moderator im Show-Sektor des Ersten Deutschen Fernsehens angefasst hat - welch bemerkenswerte Parallele zu Steven Gätjen und dessen ZDF-Engagement. Dass Opdenhövel für die ARD dennoch nie ernsthaft das Brandmal des Gescheiterten aufgedrückt bekam, ist in erster Linie seinen Einsätzen als Sport-Moderator geschuldet, woneben seine Unterhaltungs-Experimente stets eher als schmuckes (und zumeist chronisch erfolgsdefizitäres) Beiwerk interpretiert wurden. Sein neuestes Beiwerk hört auf den Titel «Rate mal, wie alt ich bin» und soll künftig das Bindeglied zwischen «Gefragt - Gejagt» und den restlichen Bestandteilen der einstigen Todeszone vor der «Tagesschau» darstellen. Der Auftakt lässt auf ein solides Format hoffen, das jedoch ein wenig mehr Dynamik entfalten könnte.

Doch worum geht es überhaupt in der von Brainpool verantworteten deutschen Adaption des französischen Quiz-Hits «Guess My Age»? Pro Sendung stellt sich ein Kandidatenpaar der Herausforderung, das Alter von sieben verschiedenen ihnen völlig fremden Personen zu erraten. Dabei müssen sie sich in erster Linie auf äußere Merkmale verlassen und bekommen pro Spielrunde lediglich einen Hinweis mitgegeben - wobei diese Hilfen teilweise nur daraus bestehen, näher an die betreffende Person herangehen zu dürfen, mitunter aber auch aus wirklich nützlichen Tipps wie einem Hit-Song aus dem Geburtsjahr oder einem wichtigen Ereignis daraus. Je weiter der letztlich abgegebene Alterstipp vom wahren Lebensalter der Probanden entfernt liegt, desto mehr bekommen die Kandidaten von ihrer Einstiegssumme in Höhe von 100.000 Euro abgezogen.


Hoher Mitratefaktor, geringes Grundtempo


Gleich einmal positiv zu vermerken ist an dem Neustart, wie problemlos auch der Zuschauer an den heimischen Fernsehgeräten mitknobeln kann. Da er gegenüber den Kandidaten im Studio keinerlei Informationsdefizit zu beklagen hat und Schätzfragen generell in den allermeisten Fällen jeden Einzelnen dazu anregen, eigene Konzepte zur Annäherung an den gesuchten Wert zu entwickeln, ergibt sich eine zwischenmenschliche Diskussion fast von selbst - was für eine Sendung, die viele am heimischen Essenstisch oder bereits im Wohnzimmer sehen dürften, schon mal ganz vorteilhaft ist. Kommt dann noch die Aufgabe der Datierung bedeutsamer Ereignisse aus der jüngeren Zivilisationsgeschichte hinzu, dürfte es kaum jemanden mehr geben, der sich nicht zum Mitraten berufen fühlt. Um dieses Potenzial auch innerhalb des Studios zu entfalten, ist es also auf jeden Fall eine kluge Wahl, auf Kandidatenpärchen statt auf Einzelkämpfer zu setzen.

Ob man diesem Austausch aber dermaßen viel Zeit einräumen muss, dass die ersten sechs "normalen" Spielrunden deutlich über eine halbe Stunde Netto-Laufzeit umfassen, kann man schon ein wenig in Frage stellen. Gerade mit Blick auf das äußerst temporeiche «Gefragt - Gejagt» im Vorprogramm wirkt das Geschehen doch eher etwas behäbig und überzogen temporeduziert, zumal es bereits in der Auftaktfolge zu Momenten kommt, in denen die Spieler in eher mäßig zielführende "Nein, älter! - Quatsch, jünger! - Älter, glaub mir!"-Dialoge verfallen - und das, obwohl das Produktionsteam bei der Auswahl der ersten Kandidaten eine sehr gute Wahl getroffen und zwei Menschen ausfindig gemacht hat, die schlagfertig, telegen und gleichzeitig nicht überzogen selbstdarstellerisch agieren. Sollte hier das Pendel allzu sehr in Richtung verbaler Inkontinenz auf der einen oder Verschlossenheit auf der anderen Seite ausschlagen, kann die Sendung schnell mühselig wirken.

Im Hinblick auf diese Gefahr macht aber die Personalie Opdenhövel Hoffnung, die an sich einen weitgehend unspektakulären Job macht und sich eher im Hintergrund aufhält, gleichzeitig aber bereits ein gewisses Gespür dafür erkennen lässt, wann es an der Zeit ist, die Akteure aus ihrem Wortgefecht zu ziehen, um eine Entscheidung einzufordern. Mit einigen launigen Kommentaren lockert er überdies in alter Opdenhövel-Manier das Geschehen immer wieder auf, hat dahingehend aber wegen der ohnehin stets gut gelaunten Kandidaten erstmal noch wenig zu tun.


Das Spielprinzip: Geschmacklos? Uncharmant? Erfreulich offen?


Für einige Reibungspunkte könnte bei manch einem Zuschauer schon das Spielprinzip an sich sorgen, das nun einmal darauf beruht, das Alter anderer Menschen herauszufinden, die nur wenige Meter vom Kandidatenpaar entfernt stehen, aber kaum als eigenständige Personen mit Charakter auftreten. Viel mehr fungieren sie als televisionäre Schaufensterpuppe, die begafft wird und bloß nicht selbst das Wort ergreifen soll - eine ziemlich oberflächliche Herangehensweise an ein Individuum also, das man durchaus problematisieren kann. Auf der anderen Seite dürfte man in seinem Alltag selten ein so ehrliches und ungefiltertes Feedback zu seinem Erscheinungsbild bekommen wie in dieser Sendung. Bedenkt man dann noch, dass sich die Personen selbstredend freiwillig als "Model" zur Verfügung gestellt haben, sollte man die Empörungsmaschinerie wohl nicht allzu übereifrig in Gang setzen.

Zweifelsfrei besitzt das Format jedoch erhöhte Fettnäpfchen-Gefahr, wenn bei einer 47-Jährigen eher darüber debattiert wird, ob ein Alter in den frühen Fünfzigern überhaupt noch in Betracht gezogen werden kann oder die moderne Kleidung die vielen Falten nur übertünchen soll, die in Wahrheit einer stramm auf die 60 zugehenden Person nur in ein jugendlicheres Gewand zu hüllen dient. Nein, einen Preis für besonders großen Charme im Umgang des Fernsehens mit Normalos wird «Rate mal, wie alt ich bin» wohl eher nicht gewinnen. Von klassischem Vorführ-Fernsehen, das die niedersten menschlichen Instinkte weckt, kann allerdings nicht zuletzt aufgrund des offenherzigen Umgangs Opdenhövels auch beileibe keine Rede sein. Eher wird hier eine kleine zivilisatorische Schranke durchbrochen, die im Alltag zumindest bei vielen Menschen auch heute noch herrscht: Den ehrlichen Umgang mit dem eigenen Lebensalter, das Eingehen des Risikos, jemanden älter zu schätzen als er oder sie eigentlich ist - was häufig als peinlicher Fehltritt interpretiert wird - und die Formulierung unverblümter Kommentare zum Aussehen Anderer. Muss man alles nicht machen, kann man aber. Hier ist es eben Teil des Konzepts, genau dies zu tun.


Starkes Handwerk, hohe (potenzielle) Gewinnsummen


Zu loben ist sowohl Brainpool als auch das in Frankreich agierende Vivendi Entertainment überdies für die audiovisuelle Qualität des Formats. Optisch jedenfalls wirkt es für ARD-Verhältnisse herausstechend modern und auf der Höhe der Zeit, ohne jedoch allzu überzogenen futuristischen Schnickschnack zu integrieren, der das Stammpublikum eher abschrecken könnte. Auch die Jingles, insbesondere der Countdown vor der finalen Alterseingabe, gehen gut ins Ohr und verfügen mitunter über ein gewisses Kultpotenzial. Als etwas störend mag man vielleicht das eingespielte Publikums-"Ooooooh" empfinden, das im Falle einer falschen Antwort zu hören ist. Ja, das tönt ungewohnt und auch ein wenig überkandidelt, ist allerdings eine Ausnahme in der ansonsten eher dezenten Aufmachung und bedarf wahrscheinlich nur einer gewissen Gewöhnungsphase, bis man es wie selbstverständlich hinnimmt.

Erfreulich ist auch, dass die ARD offenkundig mittlerweile ein derart großes Vertrauen in ihren Quiz-Vorabend hat, dass man sich auch an höhere Gewinnsummen für erfolgreiche Kandidaten wagt und sie nicht mehr mit ein paar lausigen Hundertern oder Tausendern abspeist. Guten Schätzern dürfte es durchaus möglich sein, mit Verstand und ein wenig Glück bei dieser Sendung einige zehntausend Euro aus dem Studio mitzunehmen - Teilnehmer mit weniger Glück und Verstand können dagegen auch schon mal komplett leer ausgehen, womit die Fallhöhe also recht hoch ist. Forciert wird diese noch durch ein Finalspiel, bei dem das Alter des letzten Kandidaten auf den Punkt getroffen werden muss und bei Misslingen nach jeder Runde ein Viertel des noch vorhandenen Gewinns reduziert wird. Damit baut man zumindest am Ende eine gewisse Spannung und Dynamik auf, die der Sendung in den früheren Runden ein wenig abgeht - nicht zuletzt deshalb, weil die einzelnen Spielrunden kaum Variation aufweisen und eher nach Schema F ablaufen.

Wie hat euch der Auftakt von «Rate mal, wie alt ich bin» gefallen?
Sehr gut, ich freue mich schon auf die weiteren Folgen.
31,6%
War in Ordnung, da kann man zumindest mal reinschauen.
31,6%
Ganz mies, das muss ich nicht noch einmal sehen.
14,0%
Habe es (noch) nicht gesehen.
22,8%


Fazit: Solide Vorabend-Kost ohne Glanz- oder Tiefpunkte


Unterm Strich liefert Matthias Opdenhövel mit seiner neuen Show einmal mehr sehr ordentliche Unterhaltung ab, die wohl zu wenige Glanzpunkte für eine Primetime-Ausstrahlung setzt und vielleicht auch einen etwas zu großen Mangel an Abwechslung und Spannung für eine tägliche Ausstrahlung beinhaltet - anders gesagt: Für die wöchentliche Vorabend-Ausstrahlung zur Einstimmung aufs Wochenende nahezu prädestiniert scheint. Spannend zu beobachten wird es in den kommenden Wochen sein, inwiefern «Rate mal, wie alt ich bin» mit «Gefragt - Gejagt» harmonisiert. Audiovisuell sind sich beide Shows nämlich sehr ähnlich, unterscheiden sich andererseits aber konzeptionell sehr stark voneinander: Ist um 18 Uhr noch Höchsttempo mit der Quizelite des Landes angesagt, geht es im Anschluss eher etwas behäbig und laberintensiv zu, das deklarative Wissen ist kaum von Relevanz - dafür aber die Menschenkenntnis, die wiederum bei Bommes kaum vonnöten ist. Das zu kombinieren, kann zu einem stimmigen Gesamtbild führen, kann dem Neustart die Integration am Vorabend aber auch sehr schwer machen.

Genug Zeit zur Akklimatisierung mit dem 18:50-Uhr-Slot am Freitag bekommt die neue Sendung jedenfalls: Noch ganze 14 weitere Folgen werden in den kommenden Wochen und Monaten von «Rate mal, wie alt ich bin» zu sehen sein.
02.12.2016 21:45 Uhr  •  Manuel Nunez Sanchez Kurz-URL: qmde.de/89747