«Der Tatortreiniger»: Die 3 besten Folgen des ewigen Geheimtipps

Am Mittwoch startet die mittlerweile sechste Staffel der deutschen Ausnahmeserie, die im linearen Fernsehen noch immer viel zu wenig Beachtung erfährt. Wir sprechen drei Sehempfehlungen aus.

Schon allein die Auszeichnungen sprechen für sich: Mehrere Grimme-Preise, Deutsche Comedypreise, dazu weitere Ehrungen wie der Jupiter-Filmpreis oder der Deutsche Regiepreis Metropolis darf «Der Tatortreiniger» sein Eigen nennen. Auch dass die NDR-Serie als eine der wenigen deutschen Produktionen Abnehmer im Ausland fand, wo das Format mit Bjarne Mädel etwa beim französischen Canal+ oder beim US-Sender MHz Network lief, stellt eine absolute Ausnahme dar. Hinzu kommen fast 283.000 Facebook-Fans der 2011 angelaufenen Sendung und damit so viele wie bei kaum einem anderen deutschen Format. Die Streaming-Anbieter haben das Potenzial des «Tatortreinigers» früh erkannt, weshalb die Produktion der Letterbox Filmproduktion GmbH mittlerweile bei Amazon, Watchever, iTunes, Netflix oder Lovefilm abgerufen werden kann. Man könnte meinen, beim «Tatortreiniger» habe man es mit dem deutschen Serien-Hochadel zu tun und dennoch schaffte das Format zumindest im linearen Fernsehen nie wirklich den Durchbruch.

Die Geschichte eines noch immer sträflich vernachlässigten Formats begann Anfang 2012, als das NDR Fernsehen der von Kritikern bereits vorab hochgelobten Serie wenig Vertrauen entgegenbrachte. Vorerst nur zwei der vier produzierten Folgen strahlte der NDR damals vom «Tatortreiniger» aus, da der Mittwochabend damals von Wiederholungen des «Großstadtreviers» belegt war. Obendrein kommunizierte das NDR Fernsehen die Ausstrahlung seiner neuen Serienperle mangelhaft, was sich darin äußerte, dass «Der Tatorteiniger» in Programmzeitschriften mitunter als Krimiserie oder gar als Dokusoap ausgewiesen wurde oder dass der NDR selbst die Hauptfigur als Heiko Schott und nicht als Heiko Schotte ankündigte. Die eigentliche Erstausstrahlung der ersten Staffel erfolgte dabei schon um Weihnachten 2011, wobei der NDR dem Format zur Weltpremiere nur Sendeplätze zwischen 3.30 Uhr und 5.30 Uhr zugestand.

Entgegen der schlechten Startvoraussetzungen machte sich «Der Tatortreiniger» schnell einen Namen unter Serienfans und ergatterte kurz darauf seinen ersten Grimme-Preis, sodass Das Erste noch im Frühjahr 2012 beschloss, das Format erstmals im Hauptprogramm zeigen zu wollen – allerdings vorerst nur in einer Episode. „Ich nenn das Angsthasenfußball und finde es etwas haltungslos“, polterte Hauptdarsteller Bjarne Mädel kurz darauf. Heute zählt «Der Tatortreiniger» sechs Ausflüge ins Erste, die alle quotentechnisch nicht überzeugten, dafür bescherte die von Arne Feldhusen («Stromberg») inszenierte Sendung dem NDR in der Zwischenzeit Quotenrekorde. Trotzdem wirkt es noch immer, als habe «Der Tatortreiniger» als qualitativ unumstrittene deutsche Ausnahmeserie nicht die Stellung inne, die er verdient hätte.

Ab Mittwoch, dem 14. Dezember 2016, strahlt der NDR die mittlerweile sechste Staffel des Formats aus. Quotenmeter.de nutzt die Gelegenheit, um die drei hoch großartige Episoden des noch immer unfreiwilligen Geheimtipps zu beleuchten und die liebenswerten Eigenarten des Formats herauszuarbeiten.

Staffel 1 – Episode 1: „Ganz normale Jobs“
Um der Faszination «Tatortreiniger» näherzukommen, führt kein Weg an der Pilotfolge vorbei, die bereits eindrucksvoll den Ton für die kommenden Staffeln setzte. Erstmals erleben wir den bauernschlauen Heiko „Schotty“ Schotte bei seiner Arbeit - eine Art ‚kleiner Mann‘, der, mit Thermoskanne und Salamibrot bewaffnet, einfach nur den für viele Menschen abstoßenden Job hinter sich bringen will, welcher ihn an den Tatorten jeweils erwartet. „Meine Arbeit fängt da an, wo andere sich übergeben.“ Dass dieser Satz einstudiert und Zeugnis von Schottys professionellem Selbstverständnis ist, zeigt sich auch in den kommenden Folgen, besonders deutlich aber in Folge eins der NDR-Serie, in der Schotty sich prahlerisch mit den Fernsehhelden aus «CSI» vergleicht und dabei selbstbewusst das fachmännisch klingelnde Kürzel SpuBe („Spurenbeseitigung“) bemüht, die er in Personalunion darstelle. Bloß nicht zu verwechseln mit einem Putzmann!

Vor allem, wenn der häufig schnoddrige Norddeutsche Gesellschaft beim Putzen bekommt, wechselt die Gleichgültigkeit, die er nach Jahren Berufserfahrung ob der blutigen Natur seiner Arbeit an den Tag legt, in aufrichtige Neugier angesichts der auftretenden Charaktere, die meist weiter nicht von Schottys sehr begrenzter und kleinbürgerlicher Lebenswelt entfernt sein könnten, aber mit seinem auf Lebenserfahrung und Halbwissen beruhenden Weltbildern kollidieren. So fällt die innere Balance des «Tatortreinigers», den Bjarne Mädel als kernigen und einfach gestrickten Schnauzbartträger anlegt, welcher sich im Angesicht fremder Menschen gerne abgeklärt bis seelenruhig gibt, innerhalb der Folgen meist relativ schnell in sich zusammen.

In Folge eins angesichts der von Katharina Marie Schubert gespielten Prostituierten Maja. Einer höchst unsichere Persönlichkeit, die eigentlich dem mittlerweile Toten einen Besuch abstatten wollte. So kommt es zur Interaktion zwischen zwei Personen, deren Beruf wohl der Großteil der Bevölkerung abschätzig bis naserümpfend zur Kenntnis nehmen würde, die aber beide ein hochseriöses Verständnis ihrer Profession haben. Schnell zeigt sich: Schotty ist in all seiner Normalität des alleinstehenden, hart arbeitenden Mannes im Kern auch ziemlich eitel und unsicher. Episode eins fungiert als Blaupause für die stets kammerspielartigen Aufeinandertreffen mit Dialogen zum Ohrenschlackern, in denen Schotty als „Mann des Volkes“ stellvertretend für den Durchschnittszuschauer in bislang fremde Lebenswelten eintaucht. Diese Gespräche angesichts der aufgrund des Todesfalls bewusstgewordenen Vergänglichkeit kommen häufig einem intimen und philosophischen Seelen-Striptease gleich.

Auf eine Meta-Ebene köstlichen medialen Selbstbezugs wird Episode eins schließlich geführt, als man nicht nur zu Beginn den Handy-Klingelton Schottys als Intro-Melodie des ARD-«Tatorts» identifiziert, sondern obendrein Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner in ihren «Polizeiruf»-Rollen die Szenerie betreten und Insider-Witze zum Besten geben.


Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche zwei weiteren Ausgaben es in unser Ranking geschafft haben.



Staffel 2 – Episode 3: „Schottys Kampf“

Zum Format: «Der Tatortreiniger»

  • Genre: Comedy
  • Produktionsunternehmen: Studio Hamburg / Letterbox Filmproduktion
  • Idee: Arne Feldhusen & Bjarne Mädel
  • Autorin: Mizzi Meyer
  • Musik: Carsten Meyer
  • Kamera: Kristian Leschner
  • Erstausstrahlung: 23. Dezember 2011 (NDR Fernsehen)
  • Episoden: 27 (6 Staffeln)
„Die Guten trifft’s immer zuerst“, verkündet Schotty lapidar seine Anteilnahme, als er zur Reinigung in ein Vereinsheim gerufen wird und auf einen trauernden Anzugträger trifft. Dass es in Schottys Augen beim besten Willen nicht „die Guten“ sind, mit denen er es bei seinem Abstecher in die Zentrale des „Freundeskreis Heimat e.V.“ zu tun bekommt, wird dem «Tatortreiniger» spätestens klar, als er den Raum betritt, in dem sich ein tödlicher Unfall ereignete. Die Aussage des Vorstandsmitglieds, der von einem „Verein politisch Engagierter, die jungen Menschen eine Perspektive geben wollen“ sprach, erscheint in Anbetracht des von unzähligen Nazi-Memorabilia geschmückten Zimmers in einem ganz neuen Licht.

Dass eine deutsche Serie zum zweiten Mal in Folge mit dem Grimme-Preis in der Kategorie Unterhaltung ausgezeichnet wird, ist bereits bemerkenswert. Tatsächlich war es der Grimme Preis-Jury im Jahr 2013 jedoch ein besonderes Anliegen, dem «Tatortreiniger» nach der Auszeichnung im Vorjahr speziell einen weiteren Preis für die Episode „Schottys Kampf“ zu verleihen. „Es ist so ungewöhnlich wie gerechtfertigt“, erklärte Grimme-Chef Uwe Kammann im Rahmen der Preisverleihung, „dass der ‚Tatortreiniger’ schon zum zweiten Mal einen Preis erhält. Die thematisch so ausgefallene, weil hochpolitisch zugespitzte Folge bietet schlicht eine nochmalige Qualitätssteigerung, unkonventionell in jeder Hinsicht.“

„Schottys Kampf“ bildet ungemein pointiert die Augenwischerei rechter Gruppierungen ab, die ihre Organisationen gegenüber der Öffentlichkeit gerne als soziale bis wohltätige Einrichtungen verkaufen. Dabei operiert der „Freundeskreis Heimat“ unter Ausnutzung rechtlicher Hintertürchen am Rande der Legalität, auch was die Aufbewahrung und Zurschaustellung der NS-Devotionalien betrifft. Dass man es aber bei Weitem nicht nur mit aggressiven Dumpfbacken, wie dem von David Bredin gespielten Haudrauf zu tun hat, sondern auch mit hochintelligenten Personen, die gelernt haben, ihren Standpunkt gegenüber kritischen Außenstehenden zu argumentieren, wird im von Holger Stockhaus gespielten Leiter des Vereinsheims deutlich. „Der Nationalsozialismus muss überarbeitet, weitergedacht – und auch ein Stück weit von der Person des Führers abgekoppelt werden“, führt der rhetorisch hochveranlagte Vereinsfunktionär aus, nur um sich wenige Momente später nach angeklungenem Schlager-Klingelton an seinem Handy mit „Heil Hitler“ zu melden.

Trotz aufrechter Moral ist Schotty dessen Ausführungen nicht gewachsen und schafft es bald nicht mehr den vor Fremdenfeindlichkeit und grotesken Verharmlosungen strotzenden Ausführungen zu folgen. Er flüchtet sich in herrlich komisch anzuschauende Gewaltfantasien. Doch Schotty ist Profi, hat sich stets unter Kontrolle und findet letztlich zur Genugtuung der Zuschauer doch noch eine intelligente Lösung, um der Gruppe brauner Gesinnungsgenossen eins auszuwischen. Neben dem Grimme-Preis erhielt „Schottys Kampf“ zudem den CIVIS Medienpreis für Integration und kulturelle Vielfalt.

Staffel 4 – Episode 4: „Der Fluch“
So liebenswert, weil herrlich anders und verquer, kommt „Der Fluch“ aus Staffel vier daher.

Wie einige Leser vielleicht bemerkt haben, wurde dieser erste Satz des gleich folgenden Loblieds in Reimform verfasst, was aufgrund mangelnder Begabung leider nicht über die volle Länge des Abschnitts beibehalten werden kann. Ganz anders verhält sich dies innerhalb der vierten Ausgabe aus Staffel vier, die fast vollständig in Reimen gesprochen wird. Schotty soll in der Eingangshalle eines schlossartigen Anwesens den Fleck eines sehr alten Selbstmords entfernen, der Ursprung eines höchst eigenwilligen Fluchs ist.

„Eine Sache, die dieses Haus betrifft und ich schwöre Ihnen, ich bin nicht bekifft“, begegnet der Schlossherr dem Tatortreiniger. „Ein Fluch belastet diese Villa, übrigens steht hinter ihnen ein Gorilla. Verzeihen Sie, den Gorilla hab‘ ich nur erfunden, um den Reim nach hinten abzurunden. Denn bleibt ein halber Reim am Ende offen, wird man von einem Fluch getroffen.“ Und wird die Reimepflicht ignoriert, wird Schotty zurück vor die Villa transportiert – von wo er auf’s Neue mit dem Putzen anfangen muss.

Steckbrief

Timo Nöthling ist seit April 2013 Teil der Quotenmeter-Redaktion. Sein Arbeitsbereich war von Beginn an breit gefächert und umfasst zahlreiche Schwerpunktthemen, Hintergrundartikel, Interviews oder die wöchentlichen US- und Sport-Checks. Mittlerweile fokussiert der Serienfan vorrangig auf Themen rund um die US-Unterhaltungsindustrie, insbesondere Streaming.
Was am Anfang noch wirkt, wie eine verspielte Übung von Autorin Mizzi Meyer und Regisseur Arne Feldhusen, entspricht inhaltlich bald dennoch der üblichen Herangehensweise der Serie. «Der Tatortreiniger» lernt nämlich den Besitzer der Villa schnell als hoch verunsicherte und neurotische Persönlichkeit kennen, die unter dem Joch des Urururgroßvaters, einem gescheiterten Dichter, sein Dasein zwangsweise ebenfalls als Verseschmied fristen muss. Dabei entwickelt sich schnell sowohl bei Schotty als auch beim Schlossherren ein Wettstreit um die kreativsten Wort- und Versschöpfungen. Als die Reime plötzlich Wirklichkeit werden, erhält die Episode ein herrlich verrücktes, fantastisches Element, das an frühere deutsche Grusel- und Horrorfilme erinnert.

Mit dem ohnehin über jeden Zweifel erhabenen Bjarne Mädel und dem in der deutschen Theaterszene derzeit gefragten und gefeierten Schlossherr Michael Maertens, der sich vom strengen Urururgroßvater emanzipieren will, tragen die Darsteller maßgeblich zum außerordentlichen Sehvergnügen bei, sodass «Der Tatortreiniger» in „Der Fluch“ nicht nur genretechnisch, sondern auch qualitativ zu neuen Ufern aufbricht.

Er ist der Tatortreiniger, der Putztitan, und da wo andere sich übergeben, fängt seine Arbeit an.



Der NDR zeigt die erste Episode der sechsten Staffel des «Tatortreinigers» am Mittwoch, dem 14. Dezember, ab 22 Uhr. In der Folgewoche geht es mittwochs mit zwei neuen Ausgaben weiter.
14.12.2016 18:22 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/89947