Krumme Zähne und tanzende Seemänner. Geschichten von Helden, Journalismus und Rassismus: 2016 war ein Filmjahr mit außergewöhnlichen Höhepunkten.
Scherzhaft hat sich in vielen Netzcommunitys ein neuer Erzfeind herauskristallisiert: Das Jahr 2016. Es brachte viele Promitode mit sich. Einen Ruck des politischen Populismus. Und, mag man zahllosen Hottakes, Thinkpieces, Rants und Analysen in Filmblogs sowie Branchenportalen glauben, den schlechtesten (!) Kinosommer (!!) aller Zeiten (!!!). Die Quotenmeter.de-Kinoexperten taten sich trotzdem nicht schwer damit, eine breit gefächerte, illustre Sammlung an Filmen für sich zu entdecken – wenngleich sich das Vorurteil, 2016 sei ein mieses Blockbusterjahr gewesen, auch in unserer Bestenliste abbildet: Wie jedes Jahr stellten unsere Kinofachleute ihre Top-Ten-Listen mit den ihrer Meinung nach sehenswertesten Produktionen zusammen – das daraus kulminierte Gemeinschaftsranking hat zwar auch Big-Budget-Ware aufzuweisen, umfasst dieses Mal aber auch einige kuriose Kleinode …
Platz 10: «The Lobster» (Regie: Giorgos Lanthimos) und «Raum» (Regie: Lenny Abrahamson)
Ein Indiz dafür, dass 2016 zumindest in Sachen Film keineswegs so schlecht war, wie sein Ruf besagt: Erstmals kam es bei der alljährlichen Quotenmeter.de-Abstimmung der zehn besten Filme des deutschen Kinojahres zu einem Gleichstand – und dies praktischerweise auf Rang zehn. Beide Produktionen feierten ihre Weltpremiere zwar schon 2015, jedoch fanden sie erst 2016 (teils arg limitiert) ihren Weg in die hiesigen Lichtspielhäuser.
Im Falle der unkonventionellen Liebesgeschichte, die der Grieche Lanthimos in «The Lobster» vor der Kulisse eines bitteren Zerrspiegels unserer Gesellschaft entwirft, benötigte es gar Proteste von engagierten Filmliebhabern und Arthouse-Betreibern, um eine Kinoauswertung zu erkämpfen.
Die Geschichte eines frisch gebackenen Singles (Colin Farrell), der aufgrund der gesellschaftlichen Normen nur 45 Tage Zeit hat, eine neue Partnerin zu finden, ehe er in ein Tier seiner Wahl transformiert wird, ist eine bissige Auseinandersetzung mit Bindungsängsten einerseits und kulturellem Druck, gefälligst glücklich vergeben zu sein, andererseits.
Lenny Abrahamsons «Raum» derweil ist ein Entführungsdrama, das sich in eine lebensbejahende Geschichte darüber verwandelt, wie es ist, sich nach einer Tragödie in der „Normalität“ zurechtzufinden. Beiden Filmen sind eine berührende Bildsprache und emotional komplexe Schauspielperformances gemein. Wer diese Kleinode noch nicht gesehen hat, sollte sie nachholen!
Platz 9: «Zoomania» (Regie: Byron Howard, Rich Moore)
Eine animierte Disney-Kriminalkomödie, die den Nerv der Zeit womöglich besser trifft, als manch einem lieb sein würde: In der von anthropomorphen Säugetieren bevölkerten Metropole Zoomania gibt man vor, den Traum der Gleichstellung zu leben. Ob Männchen, ob Weibchen. Ob großes Tier oder Kleinvieh, ob Raubtier oder Beutetier: Hier begegnen sich alle auf der sprichwörtlichen Augenhöhe. Zumindest in der Theorie. Denn hinter der
einfallsreich gestalteten, visuell prachtvollen Oberfläche warten Vorurteile, Doppelzüngigkeit und Selbstsucht. Als in diesem Schmelztiegel, der kurz vorm Explodieren steht, mehrere Vermisstenfälle nicht aufgeklärt werden können, ist es an einer gegen die Klischees ankämpfenden Häsin und einem sich in Vorurteilen suhlenden Fuchs, nach einer Lösung zu suchen. Witzig, aufgeweckt und topaktuell!
Platz 8: Die Mitte der Welt (Regie: Jakob M. Erwa)
Ein Film, wie eine pubertäre Gefühlswallung: Himmelhochjauchzend. Zu Tode betrübt. Vollkommen ratlos. Störrisch-optimistisch. Apathisch. Glühend. Nüchtern. Und bei allem Hickhack durchweg charakteristisch: Jakob M. Erwa adaptiert mit überschwappender Emotionalität und zugleich mit vorbildlicher Abgeklärtheit die Geschichte eines Teenagers, der sich in einen neuen Mitschüler verknallt, den seine beste Freundin aber nicht leiden kann – all dies, während im liberalen, munteren Zuhause der Segen schief hängt.
Schillernd, klug geschrieben, fein beobachtet und mit lebhafter Bildsprache umgesetzt ist «Die Mitte der Welt» eine melancholisch angehauchte Selbstfindungsdramödie mit Wohlfühlfaktor!
Platz 7: «The First Avenger: Civil War» (Regie: Anthony & Joe Russo)
Die «Community»-Regisseure Anthony & Joe Russo überrumpelten die Filmwelt 2014 mit dem rasanten und hochspannenden Superhelden-Actionthriller «The Return of the First Avenger». Zwei Jahre später orchestrieren sie in «The First Avenger: Civil War»
erneut fesselnde Actionsequenzen, die temporeiche Faustkämpfe, wilde Stunts und spektakuläre Spezialeffekte verquicken. Angetrieben wird das epochale Superheldenstelldichein durch einen verbissenen Konflikt zwischen den Marvel-Aushängeschildern Captain America und Iron Man, die aufgrund persönlicher sowie politischer Differenzen einen Keil zwischen ihre Heldenkollegen treiben. Smart, überbordend und gerissen inszeniert – so haben eskalierende Comiceskapaden auszusehen!
Platz 6: «Hail, Caesar!» (Regie: Ethan & Joel Coen)
Die für ihre doppelbödigen Kinostoffe bekannten Regisseure Ethan & Joel Coen haben ein Starensemble zusammengestellt, das es in sich hat: George Clooney, Josh Brolin, Ralph Fiennes, Jonah Hill, Tilda Swinton, Channing Tatum (der eine heitere Matrosen-Tanzszene aufs Parkett legen darf) und Scarlett Johansson chargieren hier munter vor der Kamera und nehmen liebevoll Genrestandards vergangener Tage auf den Arm. All dies mit höchstem Engagement – denn die Coens
erschaffen hier eine ebenso verträumt-ehrfürchtige wie satirisch-ironische Auseinandersetzung mit der Magie des Kinos im Generellen und der Ära des Studiosystems im Spezifischen. Das gleicht im Endergebnis zwar mitunter eher einer Sketchrevue als einer kohärenten Geschichte – aber auch diese Episodenhaftigkeit fügt sich wundervoll in die Old-Hollywood-Laune. Ein Fest für Cineasten und alle, die es werden wollen!
Platz 5: «Toni Erdmann» (Regie: Maren Ade)
Was eine filmische Bestenliste im Jahr 2016 ist, kommt wohl kaum ohne Maren Ades 162-minütige Tour de Force aus. Das dramatisch-komödiantische Aufeinanderprallen einer geschäftigen Unternehmensberaterin (Sandra Hüller) und eines stets herumulkenden Alt-68ers (Peter Simonischek) wurde weltweit mit Preisen überhäuft und ist Stammgast in internationalen Kritikerlisten. Wo Hype ist, da ist allerdings auch Backlash: Während die Hälfte des für dieses Ranking verantwortlichen Quartetts Feuer und Flamme für Deutschlands Oscar-Beitrag ist, würde die andere Hälfte «Toni Erdmann» überall parken – nur nicht in einer Bestenliste. Da jedoch jedes Jurymitglied nur zehn Positivstimmen mit steigender Intensität abgeben konnte, und nicht etwa obendrein Negativstimmen einreichen durfte, bleibt allen «Toni Erdmann»-Zweifler nur unsere
Filmkritik, die allen Verehrern dieser XXL-Dramödie versucht, die Gegensicht zu erläutern. Ach du heilige Käsereibe!
Platz 4: «Swiss Army Man» (Regie: The Daniels)
Furzende Leiche übertrifft beharrlichen Rentner mit Zottelperücke und schiefem Scherzgebiss: Die Indie-Produktion «Swiss Army Man» kam, wimmerte suizidale Gedanken vor sich her, furzte und siegte. Oder setzte sich zumindest über einige prominenter besprochene Kritikerfavoriten wie «Toni Erdmann» oder Megaerfolge wie «The First Avenger: Civil War» hinfort – kein Wunder, wenn man sich diesen irren Film auch wirklich anschaut, statt sich aufgrund des schrägen Konzepts sonstwas auszumalen: Das Regie-Duo 'The Daniels' lässt «There Will Be Blood»-Prügelknabe Paul Dano auf einer einsamen Insel stranden, wo er «Harry Potter» höchstpersönlich, Daniel Radcliffe, als dauerfurzende Leiche entdeckt. Gemeinsam machen sie sich auf in ein
bildhübsch fotografiertes, musikalisch betörend untermaltes Abenteuer, das sich mehr und mehr von seinem kurios-derben Grundgedanken entfernt. An dessen Stelle treten doppel- und dreifachbödige Dialoge über das Menschsein, die Liebe und die Beschaffenheit des Verstandes. Na denn: Pups!
Platz 3: «Spotlight» (Regie: Thomas McCarthy)
Frei von Effekthascherei erzählt dieses mit dem Academy Award für den besten Film gewürdigte Drama nicht nur von der erschreckenden Dreistigkeit, mit der die katholische Kirche Fälle von Kindesmissbrauch zu vertuschen versucht. Ganz nebenher entfaltet sich die rundum bestechend gespielte Geschichte über eine Gruppe von Investigativjournalisten (u.a.: Mark Ruffalo, Michael Keaton, Rachel McAdams) zu einer ernüchternden Bestandsaufnahme der sogenannten vierten Gewalt. Kein Film, der einen aus dem Stehgreif umhaut – sondern einer, der sich im Hinterkopf festsetzt und lange nachhallt!
Platz 2: «The Big Short» (Regie: Adam McKay)
Auf dem großen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Parkett wird sich liebend gern über Lappalien aufgeregt. Wenn aber findige Leute anhand bestechender Befunde vor Katastrophen vorwarnen, fühlt sich niemand angesprochen. «Anchorman»-Regisseur Adam McKay nimmt ein wahres Beispiel für diese Faustregel und verwandelt sie in ein kluges, mit den Erzählkonventionen des Genres spielendes, freches Drama über die Weltwirtschaftskrise:
«The Big Short» ist eine grantige Gaudi, die genervt auf den Wall-Street-Tumult der späten 2000er zurückblickt – und dabei dank seines Topensembles rund um Steve Carell, Ryan Gosling, Christian Bale und Brad Pitt echt Laune macht!
Platz 1: «Arrival» (Regie: Denis Villeneuve)
Ein Sci-Fi-Film ohne Actionsequenzen. Ein Aufeinandertreffen zwischen Mensch und Außerirdischen, in dem ausnahmsweise nicht naturwissenschaftliche und technologische Gesichtspunkte im Vordergrund stehen – sondern Linguistik und Kommunikation. Ein Film über Austausch, Geduld und Friedfertigkeit. Und all dies auch noch eingefangen in packenden Bildern und brillant gespielt.
Denis Villeneuve gelang mit diesem berührenden und nachdenklichen Sci-Fi-Drama genau der richtige Film für unsere angespannte Gegenwart!
Ehrennennungen: Denkbar knapp an den Quotenmeter.de-Top-Ten des Kinojahres 2016 gescheitert ist die dramatische Ruhrpottmär
«Junges Licht» von Adolf Winkelmann. Alejandro González Iñárritus Survival/Rache-Thrillerdrama
«The Revenant – Der Rückkehrer», Charlie Kaufmans feinfühlige Stop-Motion-Trickarbeit
«Anomalisa» sowie das über Freiheit sinnierende Drama
«Mustang» von Deniz Gamze Ergüven hätten es ebenfalls fast in die Top Ten geschafft. Auch dem dänischen Kollateralschaden-Drama
«A War» fehlten nur wenige Punkte, um sich in die endgültige Liste zu kämpfen. Außerdem wurde in den eingereichten Einzellisten auf niedrigeren Rängen für Nicolette Krebitz‘ mutige Frau-Wolf-Geschichte
«Wild», den Slasherthriller
«Green Room», das Boxerdrama
«Creed – Rockys Legacy», das Horrorepos
«Conjuring 2», die Stop-Motion-Fantasie
«Kubo – Der tapfere Samurai», die surreale Gesellschaftskritik
«High-Rise» und das effektreiche Abenteuer
«The Jungle Book» eingestanden.