Zum Deutschlandstart steht die fiktionale Aufarbeitung des Falls O.J. Simpson unmittelbar vor einem Golden Globe-Sieg. „The People v. O.J. Simpson“ steht exemplarisch für aufwühlenden True Crime.
Kritiker sind sich einig: Die erste Staffel der neuen Anthology-Serie «American Crime Story» stellt in qualitativer Hinsicht eine absolute Ausnahmeserie dar. Nicht umsonst durfte sich das von den «American Horror Story»-Schöpfern Ryan Murphy und Brad Falchuk mitproduzierte Format nach seiner ersten Staffel „The People v. O.J. Simpson“ über fünf Golden Globe-Nominierungen freuen. Experten wollen dabei knapp vier Tage vor der Preisverleihung wissen, dass die FX-Serie mehr als eine Gold-Trophäe mit nach Hause nehmen wird. Kein Wunder, dass Sky darauf bedacht war, die Serie im Umfeld der Golden Globe-Verleihung ab dem 6. Januar ins Programm zu bringen und auch Netflix fackelte nicht lange und schlug bei der ersten Staffel der Anthology-Serie zu. Dass die Serien-Produktion in Deutschland auch nur annähernd eine solche Wirkung entfaltet wie in den USA, darf jedoch bezweifelt werden. «American Crime Story: The People v. O.J. Simpson» steht nämlich exemplarisch für alles, was ein hochqualitatives True Crime-Format leisten sollte und erhöht damit auch den Druck auf die Nachfolgestaffeln. Eine Bestandsaufnahme.
Dass eine Serie wie «American Crime Story» es dieser Tage überhaupt ins Programm eines Seriensenders mit mittlerweile qualitativ herausragenden Eigenproduktionen wie im Falle von FX schafft, verwundert keinesfalls. Das Format verbindet nämlich zwei Serienkomponenten, die im dieser Tage hochdiversifizierten US-Seriengeschäft überaus ‚en vogue‘ sind. Zum einen findet sich in «American Crime Story» eine weitere Anthology-Serie. Mit «American Horror Story» machte FX seit 2011 schon großartige Erfahrungen, wobei man sich mit den Schöpfern der Horrorserie zwei Anthology-Experten für die fiktionale Aufarbeitung wahrer Kriminalfälle ins Boot holte. Mit «Fargo» verfügt FX über eine weitere Golden Globe-prämierte Anthologyserie, anderorts sorgten Serien wie etwa «True Detective» für einen Hype um Formate mit wechselnden Narrativen.
True Crime: Nichts wühlt so auf wie wahre Geschichten
Ein weiterer Trend unter US-Serien liegt im Aufschwung des True Crime-Genres. Dass sich Kriminalgeschichten überaus gut verkaufen, wissen US-Sender schon lange, nicht umsonst brachten Formate wie «CSI» oder «Navy CIS» im neuen Jahrtausend etliche Staffeln und viele Ableger hervor. Noch spannender, furchterregender, einfach einnehmender wirken jedoch echte Geschichten auf die Zuschauer. Deshalb werden auch derart viele Film- und Serienproduktionen nicht müde, in ihren Produktionen darauf hinzuweisen, dass man es mit Darstellungen „basierend auf wahren Begebenheiten“ zu tun habe, auch wenn das Attribut „wahr“ häufig sehr großzügig ausgelegt wird. Erst im Dezember 2015 führte Netflix‘ «Making a Murderer» den etablierten US-Sendern vor Augen, welchen Hype True Crime auslösen kann. Wochen bis Monate lang war die zehnteilige Doku-Serie um den hochkontroversen Fall Steven Avery Gesprächsthema Nummer eins unter Serienfans und erhitzte die Gemüter.
Die Gemüter zu erhitzen – das vermochte auch der Prozess um O.J. Simpson, der in den USA als „Fall des Jahrhunderts“ in die Geschichte einging und sich hervorragend für eine serielle Umsetzung anbietet. Statt für den Doku-Stil entschied sich «American Crime Story» für eine fiktionale Aufarbeitung der Ereignisse, allerdings mit engem Bezug zu gesicherten Informationen und tatsächlichen Geschehnissen. Zweifelsohne bewies man bereits beim Casting ein großartiges Händchen, als man Schauspieler besetzte, die teilweise die Performance ihres Lebens abgaben, während sie in der Branche schon abgeschrieben waren. «American Crime Story» markierte das Comeback des einst Oscar-prämierten, dann zum B-Movie-Darsteller abgerutschten Cuba Gooding Jr., der in den vergangenen Jahren einen ähnlich schlechten Ruf genoss wie der zwei Mal Oscar-nominierte John Travolta, welcher am Sonntagabend auf einen Golden Globe hoffen darf. Doch Cast hin oder her – der Star in «American Crime Story» ist die Geschichte selbst.
„The People v. O.J. Simpson“, oder: Das beste Rezept für einen True Crime-Hit
Dabei zeigt „The People v. O.J. Simpson“, welche Faktoren wahrer Fälle sich im Bereich des True Crime bestens für eine Verwertung eignen. Schon die Regeln der klassischen Tragödie geben die Leitlinie für hochdramatische Stoffe vor: Der Fall des Helden steht als zentraler Punkt in einer aufwühlenden Geschichte. Als Held, vielleicht sogar als Nationalheld sahen, viele Amerikaner Orenthal James „O.J.“ Simpson, ehemaliger Football-Running Back, später Schauspieler – heute: verurteilter Schwerverbrecher, allerdings nicht für den Mord des 12. Juni 1994, in dem seine Ex-Frau Nicole Brown Simpson und ihr Freund Ron Goldman brutal erstochen wurden. Angeklagt wurde Simspson dennoch. Was folgte, war der wohl am öffentlichsten ausgetragene Gerichtsprozess aller Zeiten, jedoch auch einer der kontroversesten.
Die Beweislast war erdrückend, die Staatsanwaltschaft ging von einem kurzen Prozess aus. Mit dem als „Dream Team“ bekannt gewordenen, hochkarätigen Gespann aus Anwälten, gelang es der Verteidigung jedoch einen Sieg aufgrund begründeter Zweifel einzufahren. Zumindest das Auf und Ab des Gerichtsprozesses selbst sowie der schlampige Umgang mit DNA-Beweisen lässt im Nachhinein Parallelen zum Fall Steven Avery in «Making a Murderer» offensichtlich werden. Beide Fälle haben jedoch zudem gemein, dass eine eigentlich sonst recht unspektakulär ablaufende Veranstaltung wie ein Gerichtsprozess plötzlich über eine aufreibende Dramatik verfügte – mit
„dem Handschuh“ als Höhepunkt einer öffentlich ausgetragenen juristischen Farce, die im Nachhinein für nationalen Aufruhr sorgte.
Ein Prozess spaltet die USA
Es ist nachvollziehbar, dass die Fans des Football-Spielers und die Fans des Schauspielers O.J. Simpson die Schuld ihres Idols nicht wahrhaben wollten – so vollzog sich eine erste Teilung in der öffentlichen Meinung zum Fall. Viel schwerer wog jedoch die nachhaltige Wirkung, die der Fall auf das Verhältnis weißer und afroamerikanischer Teile der Bevölkerung hatte. Bereits während des Prozesses wurde dem zuständigen Detective Mark Fuhrman vorgeworfen, den Angeklagten mehrere Male mit dem „N-Wort“ beleidigt zu haben, eine mögliche absichtliche Manipulation der Beweise wurde dem Polizeibeamten später vorgeworfen. Fuhrman zog sich daraufhin aus dem Prozess zurück, es stieg jedoch die Furcht vor öffentlichen, möglicherweise gewalttätigen Unruhen zwischen weißen und afroamerikanischen Einwohnern, ähnlich wie zuvor in 1992, nachdem vier Polizisten einen schwarzen Motorradfahrer zusammenschlugen.
Am Ende des Gerichtsprozesses zeigten nationale, repräsentative Umfragen dramatische Unterschiede zwischen afroamerikanischen und weißen US-Amerikanern hinsichtlich der Schuldfrage Simpsons. Blickt man auf den gegenwärtigen Zustand der amerikanischen Gesellschaft, erscheint der Fall O.J. Simpson selbst für heutige Zeiten noch ungemein brisant. In „The People v. O.J. Simpson“ hat man es mit dem beispiellosen Fall eines Nationalhelden zu tun, der das Image eines Mega-Stars konterkarierte, mit einem unabhängig des Star-Faktors spektakulären Prozess voller Ungereimtheiten und unerwarteten Ausgang - und mit daraus resultierenden, gravierenden Folgen auf die amerikanische Gesellschaft. Der „Rassenkonflikt“, der im Fall O.J. Simpson erneut entbrannte, wird heute noch auf den Straßen von Ferguson oder Baton Rouge ausgetragen. Kurzum: «American Crime Story: The People v. O.J. Simpson» ist True Crime mitten in die Volksseele und deshalb so relevant. Auch die auf dem Sundance Film-Festival gefeierte ABC-Doku «O.J.: Made in America» setzte sich mit dieser Thematik 2016 sehr sehenswert auseinander.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie die FX-Serie die erste Staffel mit seinen weiteren Fällen noch toppen kann. Für Staffel zwei wurde bereits angekündigt, dass sich «American Crime Story» mit den Folgen von Hurrikan Katrina beschäftigen will. Zweifellos ein weiteres Ereignis, dass die US-amerikanische Gesellschaft in ihren Grundfesten erschütterte. Staffel drei, die ebenfalls bereits produziert wird, wird sich mit dem Mord an Designer-Legende Gianni Versace auseinandersetzen. Bis zur Veröffentlichung bleibt unklar, ob die beiden kommenden Staffeln eine ähnliche Wirkung entfalten können, zumindest setzen die Showrunner Scott Alexander und Larry Karaszewski nicht nur auf ihre eigenen Talente im Storytelling. Wie bereits im Zuge des O.J. Simpson-Falls stützen sich die Produzenten auf erfolgreiche Buchvorlagen.
Sky Atlantic HD zeigt je eine Episode von «American Crime Story: The People v. O.J. Simpson» ab dem 6. Januar – immer freitags ab 21 Uhr.