Einer der wichtigsten Serien-Neustarts des Jahres: Sat.1 beginnt am Dienstag mit der Ausstrahlung der Fortsetzung des gleichnamigen Spielfilms. Unsere Vorab-Kritik:
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Tom Beck als Felix Winterberg
Annika Ernst als Elena Lange
Rolf Kanies als Stefan Tremmel
Haley Louise Jones als Kirsten Maybach
Hinter der Kamera:
Produktion: Zeitsprung
Drehbuch: Martin Ritzenhoff und Matthias Dinter
Regie und Kamera: Thomas Jahn
Produzenten: Michael Souvignier und Dominik FrankowskiIm britischen Fernsehen herrscht gerade Ausnahmezustand. Es ist «Sherlock»-Zeit. Über drei Jahre musste man – abgesehen von einem kurzen Intermezzo zum letzten Jahreswechsel – auf die neue Staffel und damit die Auflösung eines Cliffhangers warten, bevor am nächsten Sonntag die Geschichte der neuen Saison schon wieder beendet wird.
«Sherlock» hat die televisionäre Erzählung eines eigensinnigen, verschrobenen, sozial inkompetenten bis desinteressierten Genies perfektioniert. Den Archetypus gab es freilich lange vorher, mit Beispielen wie «House» und «Monk» ebenso in narrativ und psychologisch ansprechender, cleverer Form. Aber «Sherlock» ist auch als Serie anders: ausgereifter, verspielter, eigensinniger, atmosphärischer, kompromissloser – und mit bis zu zehn Millionen Zuschauern im Mutterland absolute Mainstreamware.
Einen brillanten, verschrobenen und sozial schwierigen Polizeiberater stellt auch «Einstein» ins dramaturgische Zentrum, der große Hoffnungsträger der seriellen Sat.1-Fiction, der aus dem beim Publikum erfolgreichen
gleichnamigen Fernsehfilm ausgekoppelt wurde: Felix Winterberg (Tom Beck) ist Albert Einsteins Urenkel und hat ein ähnliches naturwissenschaftliches Talent wie sein berühmter Ahnherr. Als junger Physikprofessor stellt er hohe Anforderungen an seine Studenten und forscht selbst unermüdlich an seinen Herzensprojekten. Ein Leben im Schnelldurchlauf, denn für Winterberg tickt die Uhr: In wenigen Jahren wird die gefürchtete Erbkrankheit Chorea Huntington bei ihm ausbrechen, an der er schließlich sterben wird.
© SAT.1 / Wolfgang Ennenbach
Ebenso genial wie überheblich: Der junge Professor Felix Winterberg alias "Einstein" (gespielt von Tom Beck, rechts) hilft der Polizei bei ganz besonders kniffligen Fällen. Nun zehn Mal dienstags in Sat.1.
Die Bochumer Polizei raubt ihm da eigentlich nur unnötig Zeit: Kommissar Stefan Tremmel (Rolf Kanies) aber erpresst gerne Winterbergs Kooperation, wenn Fälle auf seinem Schreibtisch landen, bei denen er nicht weiterkommt, und die mit Winterbergs wissenschaftlicher Expertise besser zu lösen wären. Dabei steht ihm auch Elena Lange (Annika Ernst) zur Seite.
Dieser Einstein soll ein Tausendsassa sein: Unwiderstehlich attraktiv und charmant wie er ist, geht er mit seinen Doktorandinnen ins Bett, löst mit geringer intellektueller Anstrengung alle Fälle, in denen Tremmel aus der inneren Emigration Rat sucht, und kümmert sich dabei noch liebevoll um den kleinen Sohn der alleinerziehenden Elena Lange, der – Kinder müssen hier nicht nur süß sein, sondern auch Mitleid erregen – einen Herzschrittmacher trägt.
Es ist blöd, wenn man als Kritiker (und Zuschauer) gerade «Sherlock» im Hinterkopf hat, wenn man «Einstein» schaut. Dann fallen einem die eklatanten Mängel dieser Serie noch brutaler auf: Diese exaltiert deklamierend vorgetragenen Dialoge. Dieses geleckte Getue, mit dem Tom Beck seine Hauptrolle als tollen Hecht, geilen Stecher und verletzlichen Bubi darstellen will, um hinter jedem Merkmal einen Haken zu setzen, das Sat.1-Zuschauerinnen an einem Mann wie ihm toll finden könnten. Diese aufgesetzten, berechneten Versuche, die Figuren die Sympathien der Zuschauer nicht verdienen, sondern erhaschen zu lassen.
Mit seinen eigenproduzierten Prime-Time-Serien bekommt Sat.1 seit Langem keinen Fuß mehr in die Tür. Der große Konkurrent RTL kämpft mit ähnlichen Problemen. Und bis auf wenige Ausnahmen haben ihre seriellen Formate ein Problem gemeinsam, an dem auch «Einstein» krankt: Sie haben sich weder visuell noch dramaturgisch noch konzeptuell in den letzten fünfzehn Jahren auch nur einen Schritt weiterbewegt.
So wirkt dieses neue Format schon in seiner ersten Folge wie ein Anachronismus: ein bisschen schmierig, ein bisschen anbiedernd, mit eingängigen Kamerafahrten, vorsehbaren Plots und abwaschbaren Figuren, die ihre komödiantische Erfüllung allein in der Überzeichnung suchen. Subtile Witze, ernsthafte (!) Widersprüchlichkeiten in der Figurenzeichnung, eine wie auch immer geartete Komplexität, ganz gleich ob ästhetisch oder narrativ: All das ist dieser Serie völlig fremd. Sie fügt sich damit gut in die Sat.1-Serien-Tradition ein. Doch die war in den vergangenen Jahren alles andere als erfolgreich.
Sat.1 zeigt zehn Folgen von «Einstein» ab Dienstag, dem 10. Januar um 20.15 Uhr.