Nach seinem preisgekrönten Tatsachenthriller «Argo» liefert Ben Affleck mit «Live by Night» seine vierte Regiearbeit ab, die einen gespalten zurücklässt.
Filmfacts: «Live by Night»
- Kinostart:02. Februar 2017
- Genre: Thriller/Drama/Crime
- FSK: 16
- Laufzeit: 129 Min.
- Kamera: Robert Richardson
- Musik: Harry Gregson-Williams
- Buch und Regie: Ben Affleck
- Darsteller: Ben Affleck, Elle Fanning, Brendan Gleeson, Sienna Miller, Zoe Saldana, Chris Cooper, Matthew Maher
- OT: Live by Night (USA 2016)
Als Schauspieler hat Ben Affleck die ganze Bandbreite journalistischer Medienberichterstattung miterleben müssen. Für «Gone Girl» gefeiert, als Batman belächelt und für «Gigli» gescholten, ist Affleck in der Rolle des Akteurs eine echte Wundertüte, oder, ein wenig pessimistischer ausgedrückt, ein kaum einschätzbarer Risikofaktor. Als Regisseur wiederum sieht das schon ein wenig anders aus. Der Entführungsfilm «Gone Baby Gone», das harte Crime-Drama «The Town» sowie der vielfach preisgekrönte Tatsachenthriller «Argo» bilden die bisher absolut sehenswerte Regie-Vita des 44-jährigen Kaliforniers. Für seine neueste Arbeit hält Affleck an seinem offenkundigen Lieblingsgenre, dem Thriller, fest. Doch trotz eines berauschenden Produktionsdesigns und mehr als soliden Darstellerleistungen stellt «Live by Night» seine bislang schwächste Regiearbeit dar. Der auf dem gleichnamigen Roman von Dennis Lehane («Shutter Island», «Gone Baby Gone») basierende Kriminalfilm versucht innerhalb von gerade einmal 128 Minuten derart viele Themen aufzugreifen, dass die eigentlich im Mittelpunkt stehende Charakterstudie immer wieder in den Hintergrund gerät. So bleibt «Live by Night» wesentlich oberflächlicher, als der schöne Schein es zu verschleiern vermag.
Die wilden Zwanzigerjahre
Die Prohibition hat den Alkoholfluss in den von Gangstern betriebenen Flüsterkneipen noch nicht ausgetrocknet. Für jeden Mann mit Ehrgeiz und guten Nerven bietet sich hier die Möglichkeit, zu Macht und Geld zu kommen. Joe Coughlin (Ben Affleck), der Sohn des Bostoner Police Superintendents (Brendan Gleeson), hat schon vor langer Zeit seiner strengen Erziehung den Rücken gekehrt, um ein Gesetzloser zu werden. Doch auch unter Kriminellen gibt es Regeln, und Joe bricht eine wichtige: Er betrügt einen mächtigen Gangsterboss und stiehlt sein Geld und seine Braut (Sienna Miller). Die heiße Affäre endet tragisch und Joe landet auf einem Pfad der Rache, des Ehrgeizes, der Liebe und des Betruges, der ihn hinaus aus Boston führt und hinein in die feucht-heiße Unterwelt der Rum-Schmuggler von Tampa.
Wer Baz Luhrmans «The Great Gatsby»-Interpretation gesehen hat, der wird sich in «Live by Night» mehr als einmal hieran erinnert fühlen. Das Produktions- und Kostümdesign, die detailgetreuen Settings, die Frisuren und die Gebären der vielen Haupt- und Nebendarsteller sowie Statisten bilden ein hochwertiges und absolut authentisches Grundgerüst. Kurzum: «Live by Night» ist ein Film, an dem man sich selbst in den inhaltlich schleppenden Momenten einfach nicht satt sehen kann. Das hilft dem Film dann auch tatsächlich über manch behäbige Szenen hinweg, doch eigentlich ist mangelndes Tempo hier weniger das Problem. Stattdessen ist es die schier unermessliche Bandbreite an Themen, die der auch als Drehbuchautor tätige Affleck abzufrühstücken versucht. Wann immer er das tut, gerät die eigentlich ohnehin zugkräftige Story um den Triumph und das Scheitern des moralisch gespaltenen Gangsterbosses Joe Coughlin in den Hintergrund.
Affleck verwässert das mitunter äußerst brutale und zu keinem Zeitpunkt Kompromisse machende Geschehen mit Lovestorys, reißt per se wichtige Themen wie die brodelnden Rassenunruhen, die Schattenseiten des Ruhmes oder die Verführbarkeit der Gesellschaft durch religiöse Scharlatane an, ohne all das unter einen Hut bringen zu können. «Live by Night» ist ein Flickenteppich aus durchweg guten Ideen, doch um sich zur Genüge mit den verschiedenen Konfliktherden auseinanderzusetzen, fehlt es Affleck schlicht an Zeit. Als Dreistundenepos, wohlmöglich im Rahmen einer TV-Serie bekäme der Stoff vermutlich weitaus mehr Möglichkeiten der Entfaltung.
Mehr Schein als Sein
Den Eindruck, Ben Affleck ginge es mit «Live by Night» weniger um die Porträtierung einer Einzelperson als vielmehr darum, das Zeitkolorit der Zwanzigerjahre festzuhalten, bestätigt sich auch, wenn man sich einmal die vielen Figuren ansieht, die den Film zwar mit Leben füllen aber nicht selten eher Staffage sind. Zum namhaften Cast gehören neben Ben Affleck als Hauptdarsteller unter anderen «Foxcatcher»-Star Sienna Miller (die hier stark an Scarlett Johansson erinnert), Brendan Gleeson («Jeder stirbt für sich allein»), Chris Cooper («Im August in Osage County»), Elle Fanning («The Neon Demon») und Zoe Saldana («Star Trek Beyond»). Sie alle machen in «Live by Night» einen mehr als soliden Job – vor allem Elle Fanning begeistert in ihrer Rolle der undurchsichtigen Predigerin Loretta Figgis. Für die Handlung von Relevanz sind allerdings nur wenige von ihnen; entsprechend oberflächlich bleibt auch bei den aller meisten die Figurenzeichnung. Das moralische Dilemma, dem sich der eigentlich rechtsschaffende Joe Coughlin ausgesetzt sieht, fängt Affleck wiederum gut ein; sowohl vor, als auch hinter der Kamera. So gibt er dem Zuschauer ausreichend vielfältige Szenen an die Hand, um ein komplexes Bild der Figur aufzuzeigen und verkörpert diese gleichermaßen wandelbar und wankelmütig.
Schade, dass es ihm dennoch nicht gelingt, diesen Vorzug gleichsam in den Mittelpunkt seiner Geschichte zu rücken. So ambivalent der Charakter Afflecks, so zwiegespalten verlässt man nach der Vorstellung den Kinosaal. «Live by Night» lässt einen über zwei kurzweilige Stunden lang in die Welt der Gangster eintauchen und ermöglicht einem so ein ziemlich vielfältiges Bild der düsteren Machenschaften im amerikanischen Untergrund der wilden Zwanziger. Andererseits wirkt die Geschichte austauschbar, das Gezeigte schon vielfach dagewesen und die Ergänzung der Filmwelt um dieses Werk scheint kaum einen echten Mehrwert zu besitzen. So richtet sich «Live by Night» bei aller unschönen Drastik und pessimistischen Weltanschauung in erster Linie an Kinogenießer – Kameramann Robert Richardson («The Hateful 8») ergötzt sich an den paralysierenden Kulissen, liefert glasklare Aufnahmen und Landschaftspanoramen von atemberaubender Schönheit. Auch musikalisch gestaltet sich «Live by Night» angenehm. Der Score von Harry Gregson-Williams («Der Marsianer – Rettet Mark Watney») findet eine schöne Balance, um die wenigen bleihaltigen Actionsequenzen ebenso treibend zu untermalen, wie die ruhigen Szenen in ihrer düsteren Bedrohlichkeit zu unterstützen. Damit gelingt Affleck trotz der erzählerischen Fahrigkeit ein immer noch sehenswerter Genrebeitrag, der für eines ganz sicher gemacht wurde: die große Leinwand.
Fazit
«Live by Night» lebt von seinem schönen Schein – namhafte Darsteller, eine schmucke Optik und diverse gesellschaftsrelevante Themen prägen das Bild dieses Crime-Thrillers, der als Gangsterporträt wiederum kaum funktioniert. Kurzweilig und unterhaltsam ist er dennoch – und zeitweise auch ganz schön brutal.
«Live by Night» ist ab dem 2. Februar in den deutschen Kinos zu sehen.