Polit-Satire im Schicksalsjahr: Aus Spaß wird Ernst

Nach Trump und vor den Wahlen in Niederlande, Frankreich und Deutschland bietet die Weltpolitik ein gefundenes Fressen für alle Polit-Satiriker. Doch diese müssen 2017 mehr leisten als nur Humor.

„Schaut Euch Donald Trump an! Diese Haare, diese Orangenhaut, diese weltfremde Eitelkeit!“

Europa im Jahr 2017

Aus politischer Sicht könnte das Jahr 2017 für einen gewaltigen Kurswechsel sorgen. Die EU muss sich nicht nur mit dem neuen und schwer einzuschätzenden US-Präsident Donald Trump befassen, der die amerikanische Beteiligung in der NATO verringern will und nach dem Vereinigten Königreich weitere EU-Mitglieder zum Austritt ermutigt. Mit dem Vormarsch der Rechtspopulisten werden weitere Austritte zunehmend wahrscheinlicher. Vor den Wahlen in den Niederlanden und Frankreich liegen EU-Kritiker hoch im Kurs, auch die Bundestagswahl in Deutschland könnte die politische Landschaft nachhaltig verändern.
Jeder neue Auftritt des polarisierenden Multimilliardärs im US-Präsidentschaftswahlkampf schien den Late-Night-Talkern und Satirikern neue Steilvorlagen zu liefern über diesen Mann, den viele als überzeichnete Karikatur sahen, ohne Chancen im US-Wahlkampf. Spätestens als Trump in das finale Duell mit Hillary Clinton zog, schien es so, als brauche man sich die Pointen gar nicht mehr zu überlegen. Der Zirkus, der dort um das Weiße Haus stattfand, diese Schlammlacht ums Oval Office, diese inhaltlich verwahrlosten TV-Duelle – die Satiriker brauchten nicht mehr zu tun, als mit dem Figur darauf zu zeigen, während ihr Publikum und sie selbst sich die Bäuche hielten. Am 8. November blieb Moderatoren und Zuschauern das Gelächter schließlich im Halse stecken: Donald Trump war zum US-Präsidenten gewählt worden.

Die Polit-Satire ist arrogant geworden


Schon die Absurditäten um Trump und sein Team im Rahmen der ersten Amtstage verleiteten Humoristen und Internetnutzer weiter zu Spott und zahllosen Memes. Haben Sie denn nichts gelernt? Die Fehler, die Polit-Satiriker in den USA begangen, nehmen ihre Kollegen hierzulande mehr denn je in die Pflicht. Das liegt auch am Genre selbst: Polit-Satire spricht seit jeher die politisch Gebildeten an, diejenigen, die weiter lieber auf Fakten statt auf Gefühle vertrauen und zwar so selbstverständlich, dass alle, die es nicht tun für sie zur Zielscheibe von Späßen werden. Gleichzeitig stehen die Polit-Satire und das politische Kabarett traditionell in Opposition zu Rechtspopulismus, der, häufig demokratiegefährdend, im schlimmsten Fall Meinungs- und Kunstfreiheit und damit die Satiriker in ihrem Werk einschränkt. 2017 könnten die Pfeile der TV-Satiriker verstärkt die Rechtspopulisten in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland treffen, denen in Umfragen dieser Tage hohe Beliebtheitswerte bescheinigt werden.

Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Was für Zuschauer von Satireformaten im Rahmen der aktuellen Weltpolitik absurd wirkt und zu besagten Fingerzeigen und gehaltenen Bäuchen führt, ist mittlerweile für einen großen Teil der Bevölkerung legitime Argumentationsführung. Fakten spielen dabei eine untergeordnete Rolle, eine wichtigere Stellung nimmt die Unzufriedenheit über die eigene Lebenssituation ein. Diese muss sich ändern und dementsprechend auch die Politik. Alle Parteien, die einen schnellen und radikalen Wandel propagieren, erscheinen dadurch automatisch attraktiv.

Aktuelle deutsche Satire- und Kabarettformate (Auswahl)

  • «Die Anstalt» (ZDF)
  • «heute show» (ZDF)
  • «Neo Magazin Royale» (ZDFneo)
  • «PussyTerror TV» (WDR)
  • «extra 3» (NDR)
  • «Die Mathias Richling Show» (SWR Fernsehen)
  • «quer» (BR Fernsehen)
  • «Asül für alle» (BR Fernsehen)
Die meisten dieser Unzufriedenen finden keinen Gefallen an Polit-Satire. Nicht, weil sie keinen Humor haben und auch nicht, weil keiner von ihnen die Witze versteht, sondern weil der Humor ihrer Lebenssituation und ihrem Weltbild längst nicht mehr entspricht. Für viele machen sich darin Privilegierte über Programme und Personen lustig, die der Bevölkerung eine Alternative bieten. Dabei muss sich die Polit-Satire einer schmerzhaften Erkenntnis stellen: Sie ist arrogant geworden. Die Satire wird für eine immer kleinere Zielgruppe produziert, die aufgrund der skurrilen Entwicklungen in der Politik nicht anders kann als darüber zu lachen. Der unerschütterliche Glaube, dass doch jeder das Handeln der Populisten durchschauen müsste, hat das Genre und ihre Akteure handlungsunfähig gemacht. Diese Späße führen bei der schrumpfenden Gruppe an Zuschauern zu kurzfristigen Gratifikationen, bei vielen anderen aber zu Wut angesichts des mittlerweile häufig undifferenzierten Hohns und der Ignoranz gegenüber der gefühlten Wahrheit eines wachsenden Bevölkerungsteils.

Das Problem: Die Politik hat in weiten Teilen ihre Sachlichkeit verloren, die Satire aber auch. Wenn Polit-Satire die Augen der Gesellschaft öffnen und drohende politische Fehlentwicklungen abwenden will, müssen einfache Gags wieder einer intelligenten Beweisführung weichen, die kontroverse Programme, Aussagen und Einstellungen argumentativ ad absurdum führen. In einer Zeit, in der Fakten für viele eine untergeordnete Rolle spielen, gilt es diese unbeirrt den Zuschauern vor Augen zu führen, anstatt spöttisch auf eine immer kleinere Zielgruppe zu fokussieren, die auch einen zunehmend geringen Teil der Wahlbevölkerung ausmacht.

Filterblasen zum Platzen bringen


Comedy-Autoren müssen dafür zu den Werkzeugen eines Journalisten greifen, wenn sie 2017 nicht nur für Unterhaltung, sondern auch für sachliche Information in Zeiten von Fake-News und Stimmungsmache sorgen wollen, deren Erzeuger immer umtriebiger werden. Dieses Handwerk steckt nicht unbedingt in der DNA jedes deutschen Satire-Formats. Seit jeher verschreibt sich beispielsweise Jan Böhmermanns «Neo Magazin Royale» vorrangig dem Unterhaltungsfaktor und startete einst auch gar nicht mit dem Anspruch, sich Satire zu nennen.

Dennoch prägt die ZDF-Sendung die politisch interessierte junge Generation wie kein zweites Format im deutschen Fernsehen, gleichwohl auch die Donnerstagabendsendung vorwiegend auf internet- und popkulturaffine Höhergebildete abzielt. Das Format steht vor dem Scheideweg: Will das «Neo Magazin Royale» ernsthaft zum politischen Diskurs beitragen, muss es sich seiner Verantwortung bewusst werden. Bloße Verhöhnungen von Politikern oder Majestätsbeleidigungen, seien sie bald erlaubt oder nicht, sind dabei nicht zweckdienlich. Dass die Produktion der bildundtonfabrik auch investigativen Journalismus und seinem Publikum eine Stimme geben kann, bewies es etwa in Rubriken wie „Eier aus Stahl“ oder „Der kleine Mann“.

Ähnlich gefordert sind Senderkollegen wie die «heute-show» oder «Die Anstalt» (Foto), auch NDRs «extra 3» etablierte sich in den vergangenen Jahren als ein Format, das nicht nur im Fernsehen, sondern auch im Internet einen Kanal fand, um seine Inhalte großflächig zu verteilen. Alle drei verfolgen bereits die richtige Linie und haben redaktionell das Potenzial, inhaltlich noch einmal aufzurüsten. Insbesondere im Falle «Der Anstalt» hat es jedoch den Anschein, als kommentieren Max Uthoff und Claus von Wagner für einen erlauchten Zuschauerkreis, auch weil die Inhalte im Internet, wo heutzutage ein Großteil der politischen Diskussionen stattfindet, kaum aufgegriffen werden.

«Die Anstalt» nutzt das World Wide Web und soziale Medien derzeit nur sporadisch, dabei spielt das Internet im politischen Diskurs dieser Tage eine zentrale Rolle: Dort, wo die Informationskultur dieser Tage am meisten vergiftet wird, hat Polit-Satire die Chance, Desinformierte mit viralen Coups aus ihrer Filterblase zu holen. Carolin Kebekus machte dies im Rahmen ihres «Pussyterror TV» mit gezielten Spitzen gegen die AfD im Laufe des vergangenen Jahres vor.

Die Polit-Satire muss ihre Lehren aus der sensationellen Entwicklung im Zuge der US-Wahl ziehen. Wenn die politische Realität selbst einer Satire gleicht, reicht das Beharren aufs Tagesgeschäft mit dem Ziel kurzfristiger Lacher nicht mehr aus, um der Stellung der Medien als Vierte Gewalt gerecht zu werden. Der Wind, der Populisten mit bloßem Humor mutmaßlich aus den Segeln genommen wird, entwickelt sich in der gegenwärtigen Atmosphäre zum Rückenwind derselben. Diese Erkenntnis sollten Europäer, die dem Rechtspopulismus im Wahljahr ernsthaft entgegen treten wollen, im Hinterkopf behalten. 2017 könnte unser Leben, mit Wahlen in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden wesentlich verändern: Mit Marine Le Pen vom Front National, die sich vor den Wahlen in Frankreich in aussichtsreicher Position befindet, mit der AfD in Deutschland, die sich zur drittstärksten Kraft in Deutschland entwickeln könnte und mit der Partij voor de Vrijheid um Geert Wilders, der wohl aktuell schillerndsten Figur der europäischen Politik, nicht zuletzt wegen seines Erscheinungsbilds.

„Schaut Euch Geert Wilders an! Diese Haare! Diese Orangenhaut… Moment mal!“
04.02.2017 11:16 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/90983