«Iron Fist» bei Netflix: Marvels erster Fehlschlag

Keine Spannung, schwache Dialoge, enttäuschende Kampfszenen. «Iron Fist» komplettiert das Helden-Quartett bei Netflix und beweist: Nicht jede Marvel-Serie beim Streaminganbieter ist zwangsläufig ein qualitativer Erfolg.

Cast & Crew

  • Drehbuch: Scott Buck, Scott Reynolds
  • Executive Producer: Scott Buck, Allie Goss, Jeph Loeb
  • Darsteller: Finn Jones (Danny Rand), Jessica Henwick (Colleen Wing), Jessica Stroup (Joy Meachum), Tom Pelphrey (Ward Meachum), David Wenham (Harold Meachum), Rosario Dawson (Claire Temple)
  • Musik: Trevor Morris
  • Produktion: ABC Studios, Marvel Television, Netflix
Die Latte lag ziemlich hoch. Die Kooperation von Netflix und Marvel hat in den vergangenen zwei Jahren drei starke Serien hervorgebracht – jede mit ihren ganz eigenen Vorzügen. «Daredevil», «Jessica Jones» und «Luke Cage» konnten mit tiefgründigen Charakteren, hervorragenden Schauspielern und tollen Settings überzeugen. So sind die Erwartungen, die in die beiden ausstehenden Serien des Netflix-Quintetts gesetzt werden, natürlich groß. Und umso größer ist die Enttäuschung über «Marvel’s Iron Fist». Denn auch wenn es schwer ist, an die Qualität der bisherigen Superhelden-Produktionen heranzukommen, so haben die Macher Scott Buck (Showrunner der letzten «Dexter»-Staffeln) und Scott Reynolds viele entscheidende Fehler gemacht.

Der verschollene Erbe


Nach 15 Jahren kehrt der totgeglaubte Danny Rand nach New York zurück – als Kind stürzte er gemeinsam mit seinen Eltern über dem Himalaya ab. Als einziger Überlebender kam er in die Obhut der Mönche von Ku’n-L‘un, wo er in Kampfeskunst ausgebildet wurde. Seine Kindheitsfreunde Joy und Ward Meachum führen mittlerweile das milliardenschwere Unternehmen, das einst in der Hand der Rand-Familie lag und auf das Danny nach seiner Rückkehr Ansprüche erhebt. Doch bereits Dannys erste Schritte in seiner alten Umgebung bekunden eines der grundlegenden Probleme der Serie: Weite Teile der Story sind schlicht und ergreifend langweilig. Ausgedehnte Handlungsstränge für Ereignisse, die innerhalb von fünf Minuten abgefrühstückt sein könnten. Den Autoren gelingt es nicht, diesem schon oft gesehenen ‘Verschollener kehrt zurück und muss sich in der neuen Umgebung zurechtfinden‘ (Beispiel: «Arrow») eine besondere Relevanz oder Charme zu verpassen. Vielmehr ist das Zweifeln der ehemaligen Freunde an Dannys Rückkehr dröge und vorhersehbar, sein Verhalten im Unternehmen von flachen, moralischen Nebenhandlungen geprägt.

Diese Probleme ziehen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Serie. «Iron Fist» fehlt fast durchgehend ein Spannungsbogen – sei es innerhalb eine Episode oder folgenübergreifend. Beinahe jede Handlung ist für den Zuschauer unfassbar vorhersehbar: Die Serie kreiert gerne einen größeren Spannungsbogen für etwas, was der Zuschauer schon längst weiß. Die Autoren von «Iron Fist» verletzen schlicht eine der grundlegendsten Regeln des Storytelling: „Show, don’t tell.“ Das Offensichtliche wird viel zu oft entweder mit Rückblenden, Kameraeinstellungen oder Dialogen betont. Apropos Dialoge: auch dieser Aspekt ist definitiv keine Stärke der Marvel-Produktion – sie wirken hölzern, unkreativ und streckenweise einfach unpassend. So werden potenziell emotionale Momente mit gruseligen Sätzen wie „We were in our jet, flying over the Himalayas. Then… things started to… to go bad…” gerne mal verschenkt.

Buddhistische Weisheiten


Nur, wenn die übergreifende Bedrohung ins Spiel kommt, eine altbekannte Organisation aus den Marvel-Serien, wird die Neugier des Zuschauers tatsächlich noch geweckt. In diesen Momenten beweist «Iron Fist» dann doch eine gewisse Anziehungskraft, dennoch täuschen sie nicht über die Schwächen der Serie hinweg. Dazu gehört auch die Frage, ob der Hauptcharakter Danny Rand mit Finn Jones richtig besetzt wurde. Abgesehen von der Whitewashing-Diskussion, die im Vorfeld der Produktion aufkam, scheint der Loras Tyrell-Darsteller aus «Game of Thrones» keine optimale Lösung für diese Rolle. Zum einen wirken seine Kampfszenen nicht nur äußerst behäbig, sondern leiden inszenatorisch unter zu vielen Schnitten, Nahaufnahmen und lächerlichen Zeitlupen-Momenten. Im Vergleich mit den grandios inszenierten Kampfeinlagen in «Daredevil» verliert «Iron Fist» um Längen – kein gutes Zeugnis für Marvels großen „Vorstoß in die Martial Arts-Produktion“.

Zum anderen überzeugt Jones zwar in den ruhigen und alltäglichen Momenten der Serie, doch die innere Zerrissenheit des Charakters (zwischen seiner Bestimmung und dem verlorenen Leben) kann der Schauspieler nicht transportieren. Teilweise liegt auch das an den Autoren, die bei Danny stets nur an der Oberfläche kratzen, ihm höchstens die ein oder andere buddhistische Weisheit rezitieren lassen und seinen Handlungsantrieb auf Aussagen wie „This is where I meant to be“ beschränken. Deine emotionale Bindung zur Hauptfigur wird dadurch kaum möglich. Auch hier denkt man sehnsüchtig an zerrissene Charaktere wie Jessica Jones oder Matt Murdock zurück.

Claire und Jeri stehlen allen die Show


Deshalb lohnt es sich durchaus, einen Blick auf die Nebencharaktere zu werfen – ironischerweise überzeugen gerade jene Figuren, die auch in den anderen Marvel-Serien auftauchen. Carrie-Anne Moss (als Anwältin Jeri Hogarth) und Rosario Dawson (als Krankenschwester Claire Temple) lassen den neuen Cast von «Iron Fist» mit ihrer Präsenz schnell alt aussehen. Nur Jessica Henwick schafft es, als Dojo-Betreiberin Colleen Wing an der Seite von Iron Fist zu überzeugen und harmoniert dabei noch toll mit Rosario Dawson. Die Kampfkunst-Trainerin ist mit ihrer charmanten und gleichzeitig knallharten Art eine wahrliche Bereicherung für die Serie, bleibt aber leider auch nicht gefeit vor der schwachen Charakterzeichnung seitens des Drehbuchs.

Es sind zumindest ein paar Lichtblicke für die zweite Staffelhälfte – der Presse wurden vorab die ersten sechs Episoden zur Verfügung gestellt. Trotzdem bleibt es unwahrscheinlich, dass «Iron Fist» die Probleme noch in den Griff bekommt und sein ungenutztes Potenzial nicht ständig durch unkluges Storytelling verschenkt – auch angesichts der Pacing-Probleme, die die anderen Marvel-Serien in der Staffelmitte bekommen haben. Zumindest die ein oder andere Kampfszene wurde ab der fünften Episode etwas ansehnlicher und auch die Optik der Serie ist weitestgehend gut, wohlgleich dem luxuriösen Manhattan-Setting die Lebendigkeit und der Kultur eines Harlem aus «Luke Cage» abgeht.

«Iron Fist» ist die bisher schwächste Serie in Netflix‘ Marvel-Aufgebot. Das muss nicht unbedingt ein schlechtes Urteil sein, wenn die Serie in derselben Liga wie die bisherigen Produktionen spielen würde. Doch letztlich ist der qualitative Abstand zu «Daredevil», «Jessica Jones» und «Luke Cage» zu groß. Natürlich hatten die drei Vorgänger ebenfalls ihre Schwächen, manchmal auch erzählerisch, allerdings konnten sie das je nachdem durch schauspielerische Leistungen, Atmosphäre oder Inszenierung wettmachen. «Marvel’s Iron Fist» kann jedoch auf keiner Ebene wirklich überzeugen.

«Marvel’s Iron Fist» ist ab dem 17. März 2017 bei Netflix abrufbar.
17.03.2017 11:00 Uhr  •  Robert Meyer Kurz-URL: qmde.de/91878