Peter Carsten, Willi Sauerlich, Karl Vierstein & Gaby Glockner. Vier Namen, die so harmlos und urdeutsch klingen, dass man ihren Trägern einfach nichts Böses unterstellen würde. Doch schlummert hinte der Fassade der kultigen Jugendserie seit 35 Jahren eine düstere Seite, die bei genauerem Hinsehen nur verwundern kann...
Mal ehrlich: Einer Jugendserie, deren Hauptcharaktere wandelnde Klischees sind, deren Drehbücher sich regelmäßig über Dicke, Frauen, Ausländer, Minderheiten oder Mittellose lustig machen und deren Anführer Probleme im Regelfall mit unreflektierter Gewalt löst, dürfte eigentlich kein langes Leben beschieden sein. Warum «TKKG» dennoch seit 35 Jahren und 200 Episoden aus den Boxen schallt, habe ich mir heute mal angeschaut.
Die Anfänge: Der Wolf im Schafspelz
Stefan Wolf alias Vielschreiber Rolf Kalmuczak, der in seiner Karriere unter mehr als einhundert Pseudonymen Jugend- und Drehbücher, Krimis und vieles mehr schrieb, erdachte «TKKG» 1979 als deutsches Pendant zu den drei Jungs aus Rocky Beach, die zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgreich auf dem deutschen Buch- und Hörspielmarkt angekommen waren. Ab 1981 folgten dann die nicht minder erfolgreichen Hörspielumsetzungen, die sich schnell großer Beliebtheit erfreuten.
Weder der Tod Kalmuczaks im Jahr 2007, noch das tragische Ableben der Original-Gaby Veronika Neugebauer 2009 oder zuletzt die unschöne Trennung von Ur-Karl Niki Nowotny konnten den Erfolg bremsen. Mit Sascha Draeger (49) und Manou Loubowski (47) sind heute immer noch Tim und Klößchen von der Originalbesetzung dabei und auch Kommissar Glockner-Sprecher Wolfgang Draeger (89) war schon 1981 gemeinsam mit den Kids gestartet, hatte zwischenzeitlich aber eine längere Pause eingelegt und die Rolle an Edgar Bessen übergeben.
Mit Tim, Karl, Klößchen und Gaby schuf Kalmuczak eine Jugendbande, die bei genauerem Hinsehen die ebenfalls stereotypen Figurenzeichnungen der Konkurrenzserie mit den drei Satzzeichen sogar noch übertraf. Ist dort Justus der schlaue Dicke, Peter der sportliche Angsthase und Bob der ausgeglichene Mediator, malte man hier mit einem noch viel breiteren Pinsel.
Peter Tim Carsten alias „Tarzan“ ist Anführer, großer Bruder, Beschützer, Sport-Ass und Sprücheklopfer in Personalunion. Mit ihm an deiner Seite ist jede Gefahr spielerisch zu bewältigen, da Tim mit Hilfe seiner großen Leidenschaft, dem Judo, böse Buben mit Leichtigkeit aufs Kreuz legt. Was der Chef der Bande sagt, ist Gesetz und wird umgesetzt. Widerspruch existiert nicht. Dazu ist der großgewachsene Sunnyboy auch noch Love-Interest für das einzige Mädchen der Runde: Gaby.
Jene Gabriele Glockner, genannt „Pfote“, kommt dann auch nur schwerlich über die Rolle des blonden Ear-Candys an Tarzans Seite hinaus. Wenn sie nicht gerade brisante Informationen von ihrem „Papi“ (dem Kommissar) erhält, mahnt sie zur Vorsicht, passt sich fügsam Tims Meinung an, muss abends bei Einbruch der Dunkelheit wie ein braves Mädchen schnell nach Hause (an den Herd) oder sorgt sich um ihren süßen Hund Oskar, der als inoffizielles Mitglied ohne eigenen Buchstaben im Bandenkürzel nebenher kläfft. Zugegeben: TKK-GO würde heutzutage auch mehr nach App als nach Jugendserie klingen.
Der Dritte im Bunde ist Willi Sauerlich, genannt „Klößchen“. Und ja: Hiermit ist bereits jeder potentielle Witz gerissen, was die Autoren jedoch nicht davon abhält, diese immer wieder neu aufzulegen. Die Sauerlichs produzieren nämlich Schokolade, Willi ist wie sein Spitzname schon sagt, der beste Kunde der Firma und natürlich in Sachen Figur und Wesen ein echter Pfundskerl. Episoden, in denen Klößchen nicht kurz vor dem drohenden Hungertod steht, sind schwer zu finden. Natürlich ist er neben seinen Gelüsten aber auch einfach ein toller Typ und Kumpel – Dicke sind schließlich auch Menschen.
Und auch die Intellektuellen werden nicht vergessen. Angesichts dessen, was Karl, der Computer, an Wissen absondert, ist es mehr als verwunderlich, dass Kalmuczak ihm nur den uninspirierten Nachnamen Vierstein gönnte. Nun gut: Dafür bekam er mit „Computer“ den Inbegriff des Nerdtums als Spitznamen. Gebrandmarkt bis zum letzten Atemzug.
Interessant ist in diesem Zusammenhang aber auch ein Subtext: Natürlich ist die Tochter eines Kommissars ein Gutmensch. Natürlich der Sohn eines Schokoladenfabrikanten ein Schokoladenliebhaber und Vielfraß. Natürlich ein Professorensohn schon in jungen Jahre ein wandelndes Lexikon. Dass in verschiedenen Folgen auch die Sprösslinge von finsteren Gesellen oft per Definition auf die schiefe Bahn geraten, könnte man da fast für den Versuch erachten, Kindern und Jugendlichen die Vererbungslehre zu erklären – wenn auch auf abstruse Art und Weise.
Fazit des Ganzen: Heißer Sportler, drolliger Vielfraß, cleverer Nerd und süßes Mädchen mit Wau-Wau. Die Schulhöfe der Republik als Mikrokosmos zum Mitfiebern.
Was alle vier jedoch darüber hinaus noch gemein haben: Sie teilen verbal gerne aus. Und das nicht zu knapp.
Die Sprüche: Alles raus, was keine Miete zahlt
Als Kind mag man an den unzähligen Verbalaussetzern vorbeihören können – eigentlich ist das jedoch kaum möglich.
"Das haut den stärksten Neger aus der Weltraumkapsel" ist da nur eines von unzähligen Beispielen, die man ohne Schutzhelm kaum ertragen kann. Ob man sich über Mittelose (
"Ist das nicht Max Stuller, der stadtbekannte Penner?") lustig macht, die grundsätzlich stinken (
"Du stehst gegen den Wind. Wer mit Pennern umgeht, muss den Wind im Rücken haben!"), unerwünschte Mitbewohner haben (
"Der starrt ja vor Dreck! Pass auf, dass du dir keine Flöhe holst!"), ein Bad brauchen (
"Vielleicht sollten Sie mal in den Fluss springen, um den Dreck abzuwaschen!") oder Krankheiten übertragen können (
"Wir müssen wenigstens seinen Puls fühlen. Anschließend können wir uns ja desinfizieren.") – TKKG ist sich für keine Schmähung zu schade. Doch es geht noch weiter! Ob andere Länder (
"Ist doch alles Mafia da unten“), ungewöhnliche Namen (
"Beppo? Wie kann man nur Beppo heißen?“) oder schlicht ausländische Namen, die konsequent verulkt und falsch ausgesprochen werden: Wer nicht in das TKKG-Raster passt, hat nichts zu lachen.
Und wenn in Sachen kriminalistischer Herleitung tatsächlich mal gar nichts mehr geht, hilft simple Logik:
„Für mich ist alles klar! Wer sich einen falschen Namen zulegt, der fälscht auch Möbel."
Rolf Kalmuczak hat sich wahrlich nicht um ein differenziertes Weltbild verdient gemacht – doch wie auch? In seinen eigenen Worten klang das einmal so:
"Heute besteht mein Publikum aus überwiegend jungen Menschen, und ich gebe mir schon große Mühe, meine Philosophie rüberzubringen. Und diese Philosophie enthält auch die Erhaltung tradierter Werte, ohne die wir in dieser Gesellschaft nicht auskommen."
Es ist wie so oft ein schleichender Prozess gewesen. Kalmuczak hatte offenbar zunächst freie Hand in der Ausarbeitung der Reihe – und als «TKKG» so richtig ins Rollen kam, war man bereits zu erfolgreich, als dass noch jemand den Erfolgsproduzenten hätte stoppen wollen. Schließen wir dieses Kapitel daher mit einem weiteren hirnfreien Kleinod:
Gaby:
„Tim, ich glaub die haben mir Heroin gespritzt!“
Tim:
„Wie fühlst du dich?“
Gaby:
„Eigentlich wie immer.“
Das Weltbild: Bist du nicht TKKG, bist du nix wert
Aus all diesen Zitaten lässt sich auch ohne weiteres das gezeigte Weltbild rekonstruieren. Wer am Rande der Gesellschaft lebt (aus welchen Gründen auch immer), aus dem Ausland kommt (oder schlimmer noch heimatlos ist), Tattoos, schäbige Klamotten, eine Hakennase oder Narben zur Schau trägt, steht unter Generalverdacht. Verschlagen und verdächtig? Minimum. Brutal, verbrecherisch oder gefährlich? Meistens. Hier ist natürlich auch Tims Gewalt immer ein probates Mittel und anerkannte Gegenmaßnahme - Zigeuner, Bettler, Obdachlose, Punker und soziale Absteiger, die man schon daran erkennen kann, wenn es plötzlich nach Alkohol oder Zigaretten riecht, darf man natürlich bei jeder Gelegenheit verdreschen.
Bricht man den lustigen Anführer der Bande auf das herunter, was er im Kern ist, bleibt ein minderbemitteltes Riesenarschloch mit Profilneurose. Vorbildfunktion? Im Leben nicht. Dass seine Kollegen und sogar die Polizeibeamten bei seiner Ego-Show grundsätzlich nur dabei stehen, wirft zudem ein erschreckendes Bild auf Zivilcourage und die Notwendigkeit der freien Meinungsäußerung. Wenn der Stärkere sein Recht ausübt, haben Andersdenkende zu schweigen?
Tarzan:
"Toni hat zwei Singvögel geschossen!"
Karl:
"Die stehen beide unter Naturschutz!"
Tarzan:
"Dafür knall ich ihm eine!"
Warum haben meine Eltern mich das damals eigentlich hören lassen?
Wortwitz: Die lustigen Seiten
Doch hat «TKKG» auch sehr charmante und liebenswerte Seiten. So nutzte Kalmuczak in vielen Fällen vermeintliche Jugendsprache, die besonders im Rückblick herrlich antiquiert wirkt. Wörter wie Fernsülzen, Pennematz, Seifensieder oder Drahtesel, Namen wie Dr. Remplem, Scheich Schacha Ben Öhli, Getrude Hintertür, Herr Contrchien (der einen Hund vergiftet), Xiang Beutezahn, Zahnarzt Dr. Beißinger oder Orte wie Oberkirchweidenbüggetal-Ennsling, Vierlingstetten-Oberwurz, Bad Fäßliftl oder das Kernkraftwerk Fallaut geben reichlich Anlass zum Schmunzeln. Auch ist die Dynamik zwischen den Figuren in ihren besten Momenten zum Schreien komisch. Hier punktet TKKG und zeigt eine Facette, die leider zu selten dem unschönen ideologischen Ballast entfliehen konnte.
Die Gegenwart: Eine Abbitte an das aktuelle Team
Zugegeben: Seit Kalmuczaks Tod hat sich die Serie verändert. Zunächst unter der Ägide von André Minninger qualitativ zwar nicht zum Besseren, zuletzt unter der des Martin Hofstetter aber dann doch auch in diesem Bereich. Auch wurden die drastischen Aussetzer immer weiter reduziert. «TKKG» kam zuletzt fast zahm daher. Das Ergebnis des Ganzen muss man dann aber auch leider mit einem Schmunzeln attestieren: So verrückt vieles bei «TKKG» früher immer war, es hat der Reihe auch ihren kultigen Charme verliehen. Dieser wurde inzwischen fast gänzlich ausgemerzt. Im Guten wie im Schlechten. Die Empfehlung kann deshalb besonders für die frühen Folgen nur lauten: Zu ernst nehmen darf man das Gehörte nicht – eine Leistung, die man einem unbedarften Kind jedoch kaum zumuten kann.
Conclusio
Steckbrief
Björn Sülter ist bei Quotenmeter seit 2015 zuständig für
Rezensionen,
Interviews &
Schwerpunkte. Zudem lieferte er die Kolumne
Sülters Sendepause und schrieb für
Die Experten und
Der Sportcheck.
Der Autor, Journalist, Podcaster, Moderator und Hörbuchsprecher ist Fachmann in Sachen
Star Trek und schreibt seit 25 Jahren über das langlebige Franchise. Für sein Buch
Es lebe Star Trek gewann er 2019 den
Deutschen Phantastik Preis.
Er ist Headwriter & Experte bei
SYFY sowie freier Mitarbeiter bei
Serienjunkies, der GEEK! und dem FedCon Insider und Chefredakteur des Printmagazins
TV-Klassiker und des
Corona Magazine.
Seine Homepage erreicht ihr
hier, seine Veröffentlichungen als Autor auf seiner
Autorenseite.
Es ist schon eine schräge Welt, die uns da seit zweihundert Episoden und fünfunddreißig Jahren aus der namenlose Millionenstadt entgegen fliegt - und die viele Deutsche offenbar bis heute nur zu gerne konsumieren.
Irgendwo zwischen harmlosem Sommerferienfeeling und Gehirnwäsche hauen die Autoren uns die Aufforderung zur Selbstjustiz, die Verharmlosung von Gewalt, das Dreschen von Stereotypen und Konservieren von Klischees, das Schneiden und Abwerten von Minderheiten und die Missachtung von Respekt und Regeln zum harmonischen Miteinander um die Ohren, dass es nur so scheppert.
Dass die Serie für die Generation der Mittdreißiger heute dennoch eine Art Guilty-Pleasure darstellt, kann nur der vernebelten Rückschau geschuldet sein. Spätestens als meine eigene siebenjährige Tochter mich vor kurzem fragte, ob sie sich mal eine meiner «TKKG»-Folgen anhören dürfe, war mir klar: Diese Reihe gehört eher in den Giftschrank, als auf die Ohren von Kindern. Oder eben doch weiterhin auf meine Ohren – aber dann nur heimlich. Happy birthday, «TKKG».
Der Sülter hat für heute Sendepause, ihr aber bitte nicht – Wie sind eure Erfahrungen? Kennt und mögt ihr die Reihe? Hört ihr sie schon von Beginn an? Ist euch die Problematik früher bewusst gewesen? Wie steht ihr heute dazu? Wie hat sich die Serie verändert? Denkt darüber nach und sprecht mit anderen drüber. Gerne auch in den Kommentaren zu dieser Kolumne. Ich freue mich drauf.
«Sülters Sendepause» kehrt in vierzehn Tagen zurück.
Die Kolumne «Sülters Sendepause» erscheint in der Regel alle 14 Tage Samstags bei Quotenmeter.de und behandelt einen bunten Themenmix aus TV, Film & Medienlandschaft.
Für Anmerkungen, Themenwünsche oder -vorschläge benutzt bitte die Kommentarfunktion (siehe unten) oder wendet euch direkt per Email an bjoern.suelter@quotenmeter.de.