RTLs Action-Serie zählt zu den absoluten Dauerbrennern im deutschen Fernsehen. Zum Start der neuen Staffel widmen wir uns dem Reiz des Formats aus Sicht der Medienpsychologie.
Zur Medienpsychologie
Die Medienpsychologie ist ein Zweig der Psychologie, der sich in der Forschung mit der Beschreibung, Erklärung und Prognose des Erlebens und Verhaltens, das mit Medien verknüpft ist, beschäftigt. Kern der Medienpsychologie als psychologische Teildisziplin, ist die Untersuchung des Handelns, des Denkens und des Fühlens im Zusammenhang mit der Nutzung von Medien.
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Deutschland, Autoland. Zugegeben, der Ruf der Deutschen ist im internationalen Vergleich verbesserungswürdig. Wenn Volkswagen in den USA nicht gerade an seinen Abgaswerten schraubt, kann sich alle Welt aber zumindest auf eines einigen: Die Qualität deutscher Automobile. Dementsprechend haben auch die Deutschen selbst traditionell eine große Freude an allem, was vier Räder hat. Und auch wenn die Formel 1 einmal pausiert, grüßt zumindest an einigen Donnerstagen des Jahres «Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei» zur besten Sendezeit bei RTL. Den nun schon seit 1996 andauernden Erfolg der Actionserie nur auf deutsche Autonarren zurückzuführen, würde allerdings sowohl den treuen Zuschauern des Formats als auch der Sendung selbst Unrecht tun.
Nein, es steckt mehr hinter dem Erfolg von «Cobra 11», das nach über 300 Episoden noch immer um die 2,7 Millionen Zuschauer pro Folge unterhält. Dass die Erfolgsfaktoren aber nicht unmittelbar greifbar sind, liegt in der komplexen Natur unseres Sehverhaltens begründet. Welche Komponenten veranlassen den Zuschauer überhaupt zum Einschalten? Und wie lassen sich diese auf das Sehvergnügen im Rahmen von «Alarm für Cobra 11» übertragen? Der Forschungsbereich der Medienpsychologie formulierte Theorien, die Hinweise darauf geben, warum «Alarm für Cobra 11» auch 21 Jahre nach seiner Premiere die Massen anzieht.
Und Action! Vollgas für Sensation Seeker
Über "Sensation Seeking"
Das Suchen nach Abwechslung und neuen Erlebnissen, um immer wieder Spannungsreize zu erleben, beschreibt das Persönlichkeitsmerkmal Sensation Seeking. Man geht davon aus, dass es für jeden Menschen ein optimales Erregungsniveau gibt. Über das Aufsuchen oder Vermeiden von stimulierenden Reizen kann die Erregung reguliert werden. Dabei suchen Menschen mit einem geringen initialen Erregungsniveau eher aufregende Reize und werden somit als Sensation-Seeker bezeichnet.
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Nicht nur aufgrund des langen Runs und hoher Einschaltquoten besitzt «Alarm für Cobra 11» einen Ausnahmestatus im deutschen Fernsehen, denn das RTL-Format bietet auch mit Abstand am meisten Action. Während bei den Öffentlich-Rechtlichen ein Krimi den nächsten jagt, fremdelt Fernsehdeutschland auch im Jahr 2017 noch immer mit eigenen Serienformaten und selbst wenn neuen Produktionen eine Chance gegeben wird – daran, eine Actionserie auf Sendung zu bringen, denken wohl nur die wenigsten Verantwortlichen dieser Tage. Der Erfolg verworren intelligenter und emotional komplexer US-Serien im Netflix-Zeitalter hat den Blick der Fernsehschaffenden hin zu spannenden Themen und weg vom Handwerk und spektakulären Effekten gelenkt. «Alarm für Cobra 11» hingegen machte sich seine ausufernden Verfolgungsjagden, Schusswechsel, Explosionen oder Nahkämpfe von Beginn an zum Markenzeichen.
Sechs Mal heimste die action concept-Produktion bereits den Taurus World Stunt Award für seine Actionsequenzen ein, das Spektakel gehört zu «Cobra 11» wie die Felge auf den Reifen. Nicht umsonst baut der Dauerbrenner daher auf einen charakteristischen Aufbau seiner Episoden, die nach dem Einstieg mit einem Verbrechen zumindest eine Verfolgungsjagd, wahlweise auch Massenkarambolagen oder Shoot-Outs enthalten. Und so einfach kann Unterhaltung sein! Wie Studien aus dem Bereich der Medienpsychologie bewiesen, braucht es nicht hochkomplexe Inhalte, allein actiongeladene Serien und Filme können ganz einfache menschliche Bedürfnisse erfüllen.
Die Suche nach spektakulären Medieninhalten bezeichnet man dabei als Sensation Seeking, für deren Bedürfnis jedoch Unterschiede innerhalb der Bevölkerung entstehen. Zwillingsstudien, die mit Hilfe des Vergleichs zwischen eineiigen und zweiigen Zwillingen vor allem in der Humangenetik und Psychologie Hinweise darauf geben, ob ein Merkmal eher genetisch oder durch die Umwelt beeinflusst ist, ließen den Schluss zu, dass etwa zwei Drittel dieser Sensationslust vererbt und ein Drittel durch die Umwelt geprägt ist. Zudem zeigten Männer in Studien stärkere Ausprägungen im Hinblick auf das Sensation Seeking, das seinen Höhepunkt obendrein bei einem Lebensalter von 20 bis 25 Jahren erreicht.
Zwar schaffen auch riskante Aktivitäten, ein abwechslungsreicher Lebensstil oder soziale Interaktionen Abhilfe bei Sensation Seekern, auch die Medien, insbesondere aufregende Inhalte, bieten aber eine bequeme Alternative. Mehrere Studien fanden heraus, dass Sensation Seeker komplexe Bildformen bevorzugen, häufiger die Kanäle wechseln und signifikant häufiger Action- und Horror-Inhalte oder auch Pornografie konsumieren, die physiologische Erregung versprechen. Derartig veranlagte Personen sprechen die Stunts zum Augenreiben, die «Alarm für Cobra 11» Folge für Folge zum Besten geben, also aufgrund einer psychischen und teilweise genetisch verankerten Eigenschaft an.
Action aktiviert Inaktive
Neben dieser ganz individuellen Veranlagung spielt allgemeiner das Aktivierungspotenzial besagter Medieninhalte eine entscheidende Rolle beim Auswahlprozess von Medieninhalten. Der Begriff Aktivierung bezieht sich hierbei auf das Auslösen von Emotionen in Form innerer Erregung. Der Mensch empfindet dabei generell eine mittleres Level innerer Erregung am angenehmsten. Wie der Forscher Dolf Zillmann 1988 herausfand, verfügen verschiedene Genres in Fernsehen und Film über verschiedene Aktivierungspotenziale. Mehrere Studien in diesem Bereich bestätigten, was Zillmann bereits vorab mutmaßte: Während Naturfilme eher weniger innere Erregung bewirken, führen gewalthaltige, furchterregende Filme zu einer hohen Aktivierung. Sehr hohe Aktivierung gelingt durch nicht-fiktionales Material wie Sport oder Erotik.
Über den Uses and Gratifications-Ansatz
Der Nutzen- und Belohnungsansatz (auch Uses-and-Gratifications-Ansatz) ist ein Modell der Mediennutzungsforschung. Ziel des kommunikationstheoretischen Ansatzes ist es, die Motive für die Mediennutzung der Rezipienten, also der Nutzer, herauszufinden. Der Rezipient entscheidet aus seiner Interessenlage und aus seiner Bedürfnislage heraus, ob und was für ein Medienangebot er nutzt. Die Nutzung eines Mediums richtet sich also nach der Nutzenerwartung und der Bedürfnisbefriedigung des Medienangebots.
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Actioninhalte nehmen einen Platz in der Mitte der Aktivierungsskala ein und sind daher bestens geeignet für einen Primetime-Sendeplatz. Man stelle sich folgendes Alltags-Szenario vor: Nach einem anstrengendem Arbeitstag von 9 bis 17 Uhr, Heimfahrt und Abendessen setzen sich Frau, Mann oder beide zusammen vor das heimische Empfangsgerät. Hinter ihnen muss nicht zwangsläufig viel Arbeitsstress liegen, zumindest fahren sie nach der Ankunft zuhause ihre Systeme herunter, können abschalten, müssen nun nicht mehr konzentriert sein und in den meisten Fällen führt diese Situation zu einer geringen Aktivierung wie beispielsweise einem Gefühl der Müdigkeit. Der von Soziologe Paul Lazarsfeld bereits in den 1940er Jahren begründete und von Elihu Katz Anfang der 1960er Jahre definierte „Uses and Gratifications-Ansatz“ gibt eine Erklärung dafür, warum ein rasantes Actionformat wie «Alarm für Cobra 11» in diesem Fall aus medienpsychologischer Sicht eine schlaue Wahl darstellt.
Der Uses and Gratifications-Ansatz geht davon aus, dass der Mensch bei der Nutzung von Massenmedien wie Fernsehen in gewisser Weise aktiv und zielorientiert handelt und zwar auf Grund von individuellen Bedürfnissen und Erwartungen an die einzelnen Medienangebote. Ob die Medienauswahl, in diesem Fall in Bezug auf die Fernsehnutzung, wirklich so zielgerichtet ist, wie die Forscher beschrieben, wird in der Wissenschaft zwar kontrovers diskutiert, ausgehend davon, dass ein Großteil der Bevölkerung sich am Tage aber Arbeitsbelastungen irgendeiner Art aussetzt, ist davon auszugehen, dass sich die Aktivierung der arbeitenden Bevölkerung am Feierabend zumindest ansatzweise ähnelt und damit ähnliche Bedürfnisse für die Mediennutzer entstehen: Eine niedrige innere Erregung soll nun durch Medieninhalte mit ausreichend Aktivierungspotenzial auf das als angenehm empfundene mittlere Erregungsniveau gesteigert werden.
Weitere Beiträge der Reihe:
Da aber Serien und Filme mit spektakulären Inhalten oder hohem Aktivierungspotenzial zur besten Sendezeit den Grenzen des Jugendschutzes unterliegen, bietet jugendfreie Action wie «Alarm für Cobra 11» die beste Option, um den Geist wieder in Schwung zu bringen. Obendrein liefert die RTL-Serie mit ihren spektakulären Stunts und aufregenden Fällen eine Möglichkeit zum Eskapismus, um im Feierabend mental Abstand vom Arbeitstag zu nehmen, über den man sich ab dem nächsten Morgen ohnehin wieder den Kopf zerbrechen muss. Der Erfolg von «Cobra 11» könnte also tiefere Gründe haben als zunächst angenommen und er muss es auch – schließlich zählt das Format zu den dienstältesten im deutschen Fernsehen. Beobachter, die dem Format kritisch gegenüberstehen und die triviale Natur seiner Inhalte bemängeln, sollten sich also vor Augen führen, dass «Alarm für Cobra 11» sicherlich für nicht wenige Zuschauer auch psychologisch eine wichtige Funktion erfüllen könnte.