Erstmals wird bei der 26. Verleihung von Deutschlands wichtigstem Musikpreis VOX als TV-Partner auftreten - und der Sender kündigt ebenso wie die Organisatoren konzeptionelle Veränderungen an. Was erwartet den Zuschauer am Freitagabend? Steckt hinter den vollmundigen Ankündigungen mehr als nur heiße Luft?
«Echo»-Langzeitentwicklung
- 07-08: 3,66 Mio. (12,8% / 20,1%)
- 09-10: 3,25 Mio. (11,3% / 12,9%)
- 11-12: 3,05 Mio. (10,8% / 10,9%)
- 13-14: 3,97 Mio. (14,2% / 12,2%)
- 15-16: 3,38 Mio. (12,5% / 12,5%)
Durchschnittliche Werte von jeweils zwei Jahren.
Wenn sich ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber zu musikalischen Themen äußert, geht es in der Regel um den «Eurovision Song Contest» - oder um es etwas pointiert auf den Punkt zu bringen seit dem Ende der Raab'schen Kooperation meist darum, das jüngste Versagen auf möglichst weit von der eigenen Verantwortung entfernt liegende Umstände zu beziehen, beim nächsten Mal alles besser machen zu wollen und am Ende doch wieder nach einem halbgaren Vorentscheid im Finale völlig überraschend im hintersten Viertel des Rankings zu landen. Doch im Dezember vergangenen Jahres überraschte Schreiber dann tatsächlich mal mit einer Aussage zu einer musikalischen Thematik: Der
«Echo», der unter seiner Verantwortung 2009 zum Ersten gekommen war, sei mittlerweile nicht mehr zeitgemäß, ja habe sich gar "erschöpft und müde" präsentiert.
Damit sprach er vielen Musikern, TV- und Musikkritikern aus der Seele, die den bedeutendsten deutschen Musikpreis bereits seit geraumer Zeit kritisieren: Zu vollgepackt mit zu vielen nicht trennscharf voneinander abgegrenzten Kategorien, zu sehr auf die zusätzliche Goutierung kommerzieller Aspekte ausgerichtet, zu vorhersehbar und künstlerisch irrelevant, zu engstirnig auf Acts ausgelegt, die ohnehin schon gehypt werden - um nur einige oft genannte Kritikpunkte zu nennen. Schreiber selbst würde fraglos nicht alle unterschreiben, wie seine deutlich artikulierte Verärgerung darüber, dass "Musiker, für die der Preis vergeben wird, sich mehr Zuspruch davon versprechen, dass sie auf der Bühne 'ihren' Preis dissen und schlecht machen" andeutet. Und dennoch verfingen seine Kritik und der Rückzug der ARD nach acht Jahren dermaßen, dass sich Musikliebhaber in diesem Jahr tatsächlich einmal Veränderungen erhoffen können. Und das, obwohl zumindest die Quotenentwicklung der vergangenen Jahre keineswegs für eine schrittweise Erosion des Publikumsinteresses spricht (siehe Infobox).
Der «Echo» bei VOX: Keine Degradierung - aber nicht mehr live
Die offensichtlichste Veränderung beim 26. Anlauf: Erstmals überhaupt wird diesen VOX ausstrahlen, was auf dem ersten Blick zunächst einmal nach einer Degradierung gegenüber dem Ersten sowie RTL (2001-2008) klingt, bei näherer Überlegung aber durchaus sinnvoll erscheint: Ja, eine seriöse Musikgala würde sich tatsächlich gut in ein Programm einfügen, das zuletzt mit «Sing meinen Song», «Meylensteine», «One Night Song» sowie diversen hochkarätigen Musik-Dokumentationen sowohl erfolgreich als auch hochwertig daherkam. Zudem eröffnet es dem «Echo» die Gelegenheit, auf neuem Terrain neue Akzente zu setzen, ohne gleich auf Anhieb einem allzu hohen Quotendruck wie bei ARD und RTL ausgeliefert zu sein. Und VOX proklamiert dann auch gleich mal einige Änderungen.
So steht die Preisverleihung in diesem Jahr unter dem Motto "von Musikern für Musiker" und will mit einzigartigen Kollaborationen sowie eigens für den Abend kreierten Live-Performances aufwarten. Die damit verbundene Intention: Nicht nur auf die Anwesenheit großer Namen setzen, sondern künstlerische Eigenleistungen schaffen, die es ohne den «Echo» nicht gegeben hätte - was ein wenig an das Grundprinzip des «Tauschkonzerts» erinnert, das nicht zuletzt auch deshalb ein voller Erfolg war, weil hier große Musiker nicht einfach Vorhandenes reproduzierten und lustlos runterdudelten, sondern wo die gegenseitige "künstlerische Befruchtung" zu partiell interessanten Neukreationen führte. Das kann also richtig gut werden, wenn man diese Grundidee nicht allzu forciert und bemüht umsetzt.
«Echo»-Moderation zuletzt
- 2005-2012: jeweils zwei Moderatoren, zuletzt Ina Müller und Barbara Schöneberger
- 2013 & 2014: Helene Fischer
- 2015 & 2016: Barbara Schöneberger
Als Gesichter für diesen neuen Grundton halten mit Xavier Naidoo und Sasha nicht gerade überraschende, aber doch passende Namen her, die zuletzt (vielleicht sogar ein wenig zu oft) im Fernsehen ihr Interesse an derartigen Projekten zeigten. Was man bei VOX nicht so sehr in den Mittelpunkt rückt, zur ganzen Wahrheit aber dazu gehört, ist der offenkundige Unwille, seinem Publikum all das live und direkt zu präsentieren. Anders als die TV-Ausstrahlung findet nämlich die eigentliche Preisverleihung auch in diesem Jahr schon am Donnerstag statt, die Aufzeichnung hiervon gibt es dann am Freitagabend selbstredend zur besten Sendezeit (20:15 Uhr) zu sehen. Das widerspricht so ein wenig dem neuen Spirit, der doch so stark Einzigartigkeit und Authentizität herausstellt. Meint man es böse mit den Verantwortlichen, kann man sogar sagen, dass es dem diametral widerspricht, sollte man "echte", aber unangenehme Momente wie den Sido-Eklat ("Die sind so dumm hier beim Echo") aus dem Vorjahr zugunsten einer glattgebügelten Heile-Welt-Scheinwirklichkeit nachträglich herausschneiden.
Das muss beileibe nicht passieren, liegt aber im Bereich des Denkbaren - zumal sowohl der Bundesverband Musikindustrie e.V. (BVMI), der über seinem Kulturinstitut Deutsche Phono-Akademie für die Ausrichtung des Musikpreises verantwortlich zeichnet, als auch VOX selbst ein hohes Interesse daran haben, dass die «Echo»-Ausstrahlung in diesem Jahr doch bitte ein Erfolg in möglichst vielen Belangen werden möge. Immerhin unternimmt VOX in diesen Tagen so Einiges, um die Werbetrommel zu rühren: Eine Special-Woche bei der «Shopping Queen», Echo, Echo, Echo bei «Prominent!», eine eigene, mit 6,1 Prozent Zielgruppen-Marktanteil allerdings nur mäßig erfolgreiche Primetime-Doku am vergangenen Samstag, eine von Sängerin Oceana geleitete Live-Übertragung auf der VOX-Facebookseite am Donnerstag. Ja... so Einiges halt. Und auch am Freitagabend selbst soll ja dann gegen 23 Uhr noch nicht Schluss sein, denn im Anschluss läuft ja noch ein «Prominent!»-Spezial.
Mehr Qualität als Kommerz? Wohl eher nicht.
Den Mut zur Veränderung will allerdings nicht nur VOX, sondern auch der BVMI betonen, der ja ohnehin stärker im Kreuzfeuer der Kritik stand als die ARD. Als problematisch wurde in allererster Linie stets der enge Bezug zwischen den Auszeichnungen und dem rein kommerziellen Erfolg der prämierten Acts in den Charts bezeichnet, auch wenn offiziellen Angaben zufolge in den allermeisten Kategorien schon in den vergangenen Jahren stets eine Jury vorhanden war, deren Stimme 50 Prozent der Entscheidung ausmachen sollte. Nun sollen die Jurys spezifischer ausgewählt werden und mehr Gewicht bei der Entscheidung bekommen, was auf dem Papier zunächst einmal nach einer Annäherung an das Konzept großer internationaler Preisverleihungen klingt, schließlich operieren die Grammy, Oscar und Co. seit je her mit eben jenen Experten-Jurys - mit dem Effekt, dass die dort getroffenen Entscheidungen zwar auch beileibe nicht immer unumstritten sind, aber dem Preis doch eine höhere Relevanz verleihen als die jährlichen Kommerz-Festspiele in Berlin.
Wenn man dem Tenor der für die unterschiedlichen Fachjurys ausgewählten Musikexperten glauben kann (
an dieser Stelle sei auf einen interessanten Kommentar von "Musikexpress"-Autor Fabian Soethof verwiesen), handelt es sich hierbei bestenfalls um ein kleines Reförmchen, da die Fachleute weiterhin nur das "kleinste Übel" aus einer vorgegebenen Auswahl an Acts wählen können. Bedenkt man, dass überdies die Hälfte der Entscheidung weiterhin rein durch den Charterfolg definiert wird, ist also kaum von einer großen Revolution auszugehen. Immerhin hat sich der BVMI aber von neun seiner saftigen 31 Kategorien trennen können, sodass der «Echo» in diesem Jahr etwas kompakter und weniger gehetzt daherkommen dürfte.
Was erhoffst du dir vom «Echo 2017»?
Fazit: Der Meilenstein bleibt wohl aus
Böhmermanns Beiträge zum «Echo»
Und wenngleich es die finale Antwort darauf erst am Abend geben wird, ist die Frage, ob sich mit dem Senderwechsel sowie den Änderungen der Veranstalter der «Echo 2017» von seinen 25 Vorgängern elementar unterscheiden wird, wohl eher zu negieren. Etwas kompakter wird er daherkommen, vielleicht ein wenig musikalischer und weniger austauschbar als in den Vorjahren, aber kaum vielfältiger, spannender und "alternativer". Dafür hätten sich die Verantwortlichen stärker von dem Diktat der Verkaufszahlen lösen müssen, als es letztlich geschehen ist. Wie sehr es VOX gelungen ist, seine Handschrift einzubringen, ist aber zumindest für die Branche spannend zu beobachten - wobei zu hoffen ist, dass die neue "Handschrift" nicht in erster Linie daraus besteht, die neu erworbene Macht über den Schnittraum dahingehend zu missbrauchen, kontroverse Äußerungen im Vorfeld der Fernsehausstrahlung auszuradieren.
Gute Quoten jedenfalls dürften dem Sender gewiss sein, lägen doch schon knapp zweistellige Marktanteile bei Jung und Alt weit oberhalb des Senderschnitts. Und vielleicht überrascht der emsige Privatsender ja doch mit dem einen oder anderen großen Knall - es wäre nach zahlreichen respektablen Neustarts im Show-, Doku- und Serienbereich nicht das erste Mal, dass ihm dies gelänge.
Der «Echo 2017» läuft am Freitagabend um 20:15 Uhr auf VOX. Im Anschluss (etwa 23 Uhr) zeigt der Sender darüber hinaus ein 40-minütiges «Prominent!»-Spezial.