Axel Kühn: ‚Sender entscheiden nicht mehr aufgrund eines Bauchgefühls‘

Früher RTL II-Programmdirektor, inzwischen Chef der Münchner Firma Tresor TV. Mit «Curvy Supermodel» gelang ihm ein schöner Erfolg, in Cannes war er erfolgreich shoppen. Daher könnte der Platz in den Büros bald eng werden, wie er im Interview stolz verrät.

Zur Person: Axel Kühn

Axel Kühn ist ein Tresor-TV-Kind. Bis er 2006 zum RTL II-Programmdirektor wurde, war Kühn dort fünf Jahre lang Leiter des Bereichs Business Development. Nach seiner Zeit bei RTL II ging Kühn zunächst zu Shine, was später zu Endemol Shine Germany wurde. Seit August 2015 ist Kühn nun Geschäftsführer von Tresor TV.
Herr Kühn, Sie waren kürzlich auf der MIPTV in Cannes. Welche TV-Trends sind Ihnen dort begegnet?
Wir haben da oft so ein Hase-und-Igel-Spiel erlebt. Man hat an den Ständen immer die gleiche Kollegen gesehen. Mal waren wir zuerst da, mal waren sie vor uns da, mal hat man schon die Visitenkarten der Mitbewerber liegen sehen. Einen echten Trend konnte ich gar nicht ausmachen. Ich finde aber, dass die Qualität der Produkte und auch die Kreativität wieder gestiegen sind. Um ehrlich zu sein: 2016 sind wir nach Hause gefahren und haben gesagt, dass wir fast nur Mist gesehen haben. Das war dieses Jahr komplett anders. Wir haben unsere Short-List mit nach Hause genommen. Eines ist mir aber noch aufgefallen: Ich habe keine einzige große Studio-Show gesehen – wobei ich hier sagen muss, dass ich natürlich nicht an den Ständen von Endemol oder ITV war…

Das könnte also einer der Trends sein; weg vom Studio, rein in echte Umgebungen. Und auch Dating, ein Trend der Vorjahre, läuft an kürzerer Leine?
Dating gab es wenig zu sehen und wenn, dann eigentlich nichts Gutes. Dafür habe ich viele Factual-Formate gesehen.

Die Serie war zudem nicht so dominant…
Auch Serien habe ich mir gar nicht so intensiv angeschaut. Sie haben ja mitbekommen, dass wir durch unsere Übernahme durch Keshet nun einen eigenen starken Serien-Katalog haben werden. Die MIPTV ist aber auch nicht die Serienmesse. Alle, die Serien suchen, die fahren Ende April eher nach Paris oder im Mai dann zu den LA Screenings.

Tresor TV will über den Keshet-Katalog aber durchaus im Serien-Geschäft mitmischen. Das aber dürfte noch etwas dauern: Also eher ein Thema für ein Interview in einem Jahr?
Wir werden jetzt eine Fiction-Abteilung aufbauen und beginnen gerade nach Personal zu suchen. Das kann alles schnell gehen, kann aber auch dauern. Das hängt davon ab, wann wir passende Leute finden und natürlich liegt es letzten Endes in den Händen der Sender.

Natürlich würden wir am liebsten sehr schnell anfangen, haben aber auf der anderen Seite auch überhaupt keinen Druck.

Welches Zwischenfazit ziehen Sie unter Ihre Zeit bei TresorTV?
Eigentlich bin ich sehr zufrieden. Wir haben uns im vergangenen Jahr neu aufgestellt. Das war anstrengend, manchmal sehr schmerzhaft und in jedem Fall ein wirklicher Kampf. Ein Jahr lang haben wir uns durchgeboxt. Wir haben dann 2016 «Ewige Helden» und «Curvy Supermodel» auf den Schirm gebracht. Von «Curvy» kommt bald die zweite Staffel, «Ewige Helden» wird eine dritte Staffel erhalten. Solche Programme zeigen mir dann, dass es es wert war, diesen Weg so zu gehen. Auch die Fusion mit Keshet ist ein Zeichen dafür, dass wir unsere Pläne erfolgreich umgesetzt haben. Ich denke, Keshet hätte kein Interesse an uns gehabt, wären sie der Meinung gewesen, wir wären nicht zukunftsfähig aufgestellt.

«Curvy Supermodel» lief im Herbst mit zwei starken Folgen, hatte dann aber in den Wochen drei bis fünf ein bisschen Probleme. Es lief also nicht alles optimal. Nach einiger Überlegungszeit kam der Auftrag zu Staffel 2. Gab es da viel zu sprechen?
Der Sender war immer sehr optimistisch. Wir haben uns nach der ersten Staffel gemeinsam zusammengesetzt und überlegt, was man anders machen muss. Eine erste Staffel einer Sendung ist eigentlich nie optimal – vor allem nicht bei Programmen, die auf dem Papier entstanden sind. «Ewige Helden» lief ja immerhin schon im Ausland, «Curvy Supermodel» war komplett neu am Schreibtisch entstanden. Erst in der ersten Staffel konnten wir also wirklich sehen, was sich noch verbessern lässt. Wie viel in dem Format steckt, beweisen ja auch die zahlreichen internationalen Verkäufe.

«Ewige Helden» hat sich in der zweiten Staffel, so wie es VOX-Chefredakteur Kai Sturm bei uns im Interview sagte, noch mehr zum Sportler-Format gewandelt. War das der entscheidende Punkt?
Das hat Kai Sturm sehr gut gesagt. Ich glaube, der Zauber des Programs liegt darin, dass wir unsere Kandidaten zwar alle als große Sportler kennen, bei uns aber lernt man sie als Menschen kennen. Das ist das, was mich letztlich so begeistert und ich glaube, dem Zuschauer geht es genauso. Da sind Sportler mit dabei, deren Wettkämpfe habe ich mit elf Jahren gesehen. Da erinnere ich mich zurück. Aber erst durch unsere Sendung kann ich besser verstehen, was damals in ihm vorging. Üblicherweise sehen wir solche Athleten wirklich nur in der Wettkampfsituation, nur wenige Sportler sieht man auch außerhalb der Sportübertragungen. Bei «Ewige Helden» aber komme ich nun nah an sie heran – das ist die Faszination. Es ist ja kein Geheimnis, dass es einen Weltklasse-Sportler ausmacht, wenn jemand nicht nur körperlich topfit ist, sondern auch mental bereit ist, alles abzurufen. Wir haben alle Teilnehmer nicht nur als Weltklasse-Athleten, sondern auch als beeindruckende Menschen erlebt.

Welche Projekte stehen für 2017 noch an?
Sagen wir es so: Wir haben gut zu tun. Wenn ich daran denke, was wir jetzt auch aus Cannes mitgebracht haben, dann wird der Platz in unseren Büros bald knapp. Wir haben Piloten für verschiedene Sender in der Mache, teilweise auch schon ganze Staffeln. Ich kann natürlich nie in die Köpfe der Senderverantwortlichen schauen und nie beurteilen, was am Ende wirklich auf dem Bildschirm landet, weil es da ja nicht allein um die Qualität eines Formats geht, sondern viele andere Punkte in die Entscheidung mit einfließen.

Dazu meine letzte Frage: Sie waren ja selbst Programmdirektor bei RTL II, sind jetzt wieder Produzent. Wir hat sich die Arbeit eines Senderverantwortlichen in den vergangenen sieben bis zehn Jahren geändert?
Die Arbeit hat sich schon sehr verändert. Ich glaube, dass heute auf Senderseite kaum mehr eine Entscheidung aufgrund des Bauchgefühls eines einzelnen getroffen wird. Jede Entscheidung wird von mehreren Abteilungen geprüft und allen Seiten durchleuchtet. Da spielt dann unter anderem auch die Marktforschung eine große Rolle. Das war früher noch anders: Da gab es auch Senderchefs, die haben ausschließlich auf ihren Bauch gehört und manchmal dabei nicht auf das Budget geschaut.

Danke für das Interview.

18.04.2017 14:10 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/92473