Die neue Sonntagabend-Show in Sat.1 hätte schönes, charmantes Familienfernsehen werden können - doch sie vertraute nicht auf die Strahlkraft ihrer kleinen und ihres großen Stars und half massiv nach. So entwickelte sich der Neustart zu einer Lehrstunde darüber, wie sich mit schlechter Schnittarbeit und dem Missbrauch des Studio-Publikums eine hübsche Idee zerstören lässt.
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Kinder zu treffen und sie einem Publikum zu präsentieren. Ohne Jury, ohne
Wettbewerbsdruck und damit auch ohne die Gefahr dabei irgendetwas kaputt zu machen. Es kam mir sehr entgegen, dass man sich auf eine Show mit Kindern eigentlich gar nicht vorbereiten kann. Ich wusste wie sie heißen und was ihr besonderes Talent war. Ab dann war‘s Blindflug. Endlich mal wieder!
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Thomas Gottschalk zu den Besonderheiten und seine eigenen Vorbereitungen auf die Show.
Thomas Gottschalk gehört wohl zu den ärgsten Verfechtern des klassischen Live-TV-Erlebnisses. Umso ärgerlicher stimmte es ihn, wie das aufgezeichnete Material des «Supertalents» nachträglich bearbeitet wurde, um es vermeintlich fernsehtauglicher zu gestalten. Wie sich der herbstblonde Kult-Moderator wohl gefühlt hat, als am Sonntagabend die Auftaktfolge seines neuesten Sat.1-Projekts
«Little Big Stars» über die Bühne ging? Aller Wahrscheinlichkeit nach nicht allzu gut, denn die Sendung geriet zum Paradebeispiel dafür, wie durch eine überambitionierte Postproduktion ein an sich sympathisches Seherlebnis plötzlich gehetzt und affektiert daherkommen kann - und damit auch zu einem eindringlichen Appell für mehr Authentizität.
Das Konzept der aus den Vereinigten Staaten stammenden Sendung: Talentierte Kinder aus aller Welt zeigen auf einer großen Bühne ihr Können und sprechen mit Gottschalk über Gott und die Welt. Punkt. Keine Jurys, keine Votings, kein Konkurrenzdenken - das betont Sat.1 schon in seiner Programmankündigung bewusst, um sich von der breiten Masse der Casting-Shows abzusetzen, die eben jene Einteilung in Gewinner und Verlierer gezielt nutzen, um die emotionale Bindung des Zuschauers an seinen Lieblingsact zu stimulieren. Schließlich soll der eigene Favorit ja nicht einfach gut und mitreißend sein, sondern besser und mitreißender als all seine Mitbewerber. Eine Grundidee, die insbesondere bei Kindern moralisch besonders fragwürdig ist, wenngleich Formate wie «The Voice Kids» sich nach Kräften bemühen, den unterlegenen Acts dennoch ein positives Gefühl mit auf den Weg zu geben. Insofern ist es ganz schön, einmal wieder eine televisionäre Bühne für Talente zu sehen, in der keinerlei Klassifikation stattfindet.
Toller Gottschalk, tolle Kids...
Um ein in seiner Harmlosigkeit vielleicht schon als nicht mehr zeitgemäß verschrienes Konzept nicht in die Drögnis abdriften zu lassen, bedarf es eines charismatischen Personals und starker Talente, die man so bestenfalls noch nicht an anderer Stelle gesehen hat. Während Letzteres nur punktuell gelingt, das Durchschnittsniveau der auftretenden Kids aber in jedem Fall zu überzeugen weiß, hätte Sat.1 auf der Position des Moderators wohl kaum einen dankbareren Griff tätigen können als Thomas Gottschalk. Die wandelnde Moderationsmaschine hat zu keinem Zeitpunkt auch nur irgendein nennenswertes Problem dabei, auf ihre kleinen Stars wertschätzend einzugehen, sie ernst zu nehmen und in jedem Moment glänzen zu lassen. Im Zweifelsfall im direkten Duell gegen die Kids zu verlieren, ist alte Moderationsschule, bei der man den Punkt "ernst nehmen" hinterfragen kann, aber das fällt nicht weiter ins Gewicht, denn im Zentrum steht ohnehin der launige Talk mit den Kindern und deren Bühnenperformance.
Und diesbezüglich hat der Neustart von Warner Bros. wirklich so Einiges an Abwechslungsreichtum zu bieten: Einen kleinen Ringer, der das Alter des Moderators um mehrere Jahrzehnte geringer eingeschätzt hätte, einen Kinderkoch, dem es gelingt, den Heißhunger Gottschalks und des Publikums auf Mehlwürmer zu wecken, ein Mathegenie, das etliche Nachkommastellen der Kreiszahl Pi aufsagt und verrät, welche Stelle der irrationalen Zahl ihn am meisten fasziniert, einen fünfjährigen Turner, der Gottschalk beim Armdrücken schlägt - und damit ist noch nicht einmal ansatzweise die Hälfte der zahlreichen Acts benannt, die in der Show auf der äußerst ansehnlichen Bühne stehen. Es hätte wirklich so schönes, herziges Fernsehen sein können.
...aber grausige Schnitte und eingespielte Lacher
Doch aus schwer nachvollziehbaren Gründen scheint das nicht mit den Erwartungen von Sender und/oder Produktionsfirma korreliert zu haben. Anders ist es jedenfalls kaum zu erklären, dass man mit etlichen harten, offensichtlichen Schnitten immer wieder das Geschehen unterbricht, wodurch es an einigen Stellen so wirkt, als habe Gottschalk das jeweilige Talent nach seinem Auftritt gar nicht mehr verabschiedet, als breche das Publikum seinen Applaus ständig abrupt ab, als springe der Moderator in seinen Talks ständig von einem Thema zum nächsten. In seiner Schlagzahl und Stümperhaftigkeit, in der diese zahlreichen Schnitte gesetzt werden, fällt aber schnell auf, dass weder der Moderator noch die Kiddies noch das Publikum einen an der Marmel haben - sondern dass viel mehr dem Fernsehenden zahlreiche Dinge nicht gezeigt werden, die bei der Aufzeichnung stattgefunden haben.
Es muss nicht immer falsch sein, an der einen oder anderen Stelle einen Schnitt zu setzen, da sich auch bei sorgfältiger Planung Aufbauten verschleppen können, technische Probleme auftreten oder sich vielleicht auch mal ein Gast vor laufenden Kameras als weitaus nervöser und schwerfälliger entpuppt, als es bei den Vorbereitungen schien. Bei «Little Big Stars» aber wirkt es so, als könne man die Acts gar nicht schnell genug hinter sich bringen, was sehr schnell zu einem absurden Gefühl der Hektik führt, das im kompletten Kontrast dazu steht, wie sich der Moderator insbesondere auf der Couch mit seinen jungen Gästen verhält: Ruhig, besonnen, um Wohnzimmer-Wohlfühlatmosphäre bemüht. Würde nun am Sat.1-Sonntagabend ein Highlight das nächste jagen, könnte man diesen viel zu rabiaten und auffälligen Schnitt vielleicht noch mit programmplanerischen Notwendigkeiten im Ansatz entschuldigen. Im Anschluss läuft allerdings eine Wiederholung von «Genial daneben», gefolgt von Wiederholungen der Sketch-Comedys «Knallerkerle» und «Knallerfrauen».
Und die Bilder auf überzogene Art und Weise zu zerhackstückeln, ist nicht die einzige Pestilenz, mit der Sat.1 seine Sendung verschlimmbessert: Beinahe schon in der Schlagzahl typischer US-Sitcoms sind hier Lacher nach jedem zweiten Wortbeitrag zu hören, was nicht gerade für deren Authentizität spricht. Auch die Standing Ovations des Publikums und lauten Jubelorgien dürften wohl kaum den tatsächlichen Reaktionen im Studio entsprechen und viel mehr der Auswurf übereifriger Fernsehmacher gewesen sein.
Wie hat euch der Auftakt von «Little Big Stars» gefallen?
Fazit: Ein showgewordener Affront gegen das Gottschalk-Ideal
Und somit ist diesmal gewiss nicht Thomas Gottschalk der Hauptvorwurf zu machen, sollte «Little Big Stars» seinen nächsten Flop markieren. Das TV-Urgestein moderiert mit sichtbarer Freude, sorgt dafür, dass jedes Talent mit einem lachenden Gesicht von der Bühne geht und hat den Machern der Sendung mit Sicherheit nicht geraten, dieses Fernseherlebnis doch bitte zu einer Art Lückenbild für die Zuschauer zu machen und möglichst viele überkandidelte Publikumsreaktionen einzuspielen. Er agiert, als moderiere er eine Art «Wetten, dass..?» ohne Stars und den großen Glamour - die Produzenten schneiden, als moderiere Gottschalk eine Art «Supertalent» ohne Bohlen und peinliche Witznummern. Führt man sich noch einmal Gottschalks Kritik an der RTL-Castingshow vor Augen, könnte man fast meinen, man habe ihn vorführen wollen, so weit ist das, was die Postproduktion mit dem Material veranstaltet hat, von dem Fernsehen entfernt, für das der Entertainer am liebsten steht.
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass man bei Sat.1 zu viel Angst davor hatte, seinem Publikum ein einfaches "Gottschalk plaudert mit Kids, die was Besonderes können"-Format am hart umkämpften Sonntagabend anzubieten und durch nachträgliche Eingriffe für zusätzliche Dynamik, einen flotteren Ablauf und die große Emotion sorgen wollte, die anderenfalls wohl durch authentischere, aber eben auch schlichtere und weniger knallige Reaktionen ersetzt worden wären. So aber ist die Talentshow unterm Strich Fernsehen, das keiner so recht braucht: Zu lieb für das oberflächliche Event-Publikum, zu plastisch für die nach Authentizität gierende Zielgruppe - und damit wohl auch für den typischen Gottschalk-Fan.
Die Flopgefahr ist also hoch, weshalb Sat.1 im Nachhinein vielleicht sogar gut daran tat, nur noch zwei weitere Folgen einzuplanen: Für die kommenden beiden Sonntagabende jeweils um 20:15 Uhr.