Die glorreichen 6: Richtig gute Flops (Teil I)

Wirtschaftliche Misserfolge verdienen nicht automatisch ein Naserümpfen: Wir stellen sechs starke Filme vor, die an den Kinokassen brutal untergingen. Zum Auftakt: Das Disney-Zeichentrickabenteuer «Der Schatzplanet».

Die Handlung


Filmfacts «Der Schatzplanet»

  • Regie: Ron Clements, John Musker
  • Produktion: Ron Clements, John Musker, Roy Conli, Peter Del Vecho
  • Drehbuch: Ron Clements, John Musker, Rob Edwards
  • Story: Ron Clements, John Musker, Ted Elliott, Terry Rossio; basierend auf «Die Schatzinsel» von Robert Louis Stevenson
  • Musik: James Newton Howard
  • Schnitt: Michael Kelly
  • Veröffentlichungsjahr: 2002
  • Laufzeit: 95 Minuten
  • FSK: ab 6 Jahren
Diese Sci-Fi-Fantasy-Version von Robert Louis Stevensons Romanklassiker «Der Schatzplanet» dreht sich um den rebellischen Teenager Jim Hawkins, der seiner aufopferungsvollen, jungen Mutter Sarah halbherzig dabei hilft, das Benbow Inn auf dem Planeten Montressor auf Trab zu halten. Als eines Tages ein Raumschiff in Nähe der Gaststätte bruchlandet und dessen Insasse Jim mit seinem letzten Atemzug eine holografische Schatzkarte überreicht, scheint für den ambitionierten Solarsurfer und gelegentlichen Unruhestifter die Chance gekommen, aus seinem öden Dasein auszubrechen – und vielleicht auch ein paar Dublonen abzugreifen, um seine Mutter zu unterstützen.

Das hundeähnliche Alien Dr. Delbert Doppler, ein belesener und neugieriger Forscher, unterstützt trotz mancher Bedenken Jim in seinem Plan – will Doppler doch dem nachgehen, was die Schatzkarte behauptet: Der legendäre Schatzplanet, auf dem sich angeblich der Schatz von tausend Welten befindet, soll tatsächlich existieren. Gemeinsam mit der resoluten Kapitänin Amelia, dem strengen ersten Maat Mr. Arrow und einer dubiosen, eilig angeheuerten Crew, geht es für das Team quer durchs 'Etherium', wo jedoch allerhand Gefahren warten – womöglich auch in Form des ebenso väterlichen wie geheimnisvollen Cyborg-Smutjes John Silver …

Der Misserfolg


Als technisch sehr ambitionierte Produktion verschlang «Der Schatzplanet» ein Budget von 140 Millionen Dollar – dies ist das höchste Budget, das Disney je für einen seiner Zeichentrickfilme hat springen lassen. Mit einem Gesamteinspiel von gerade einmal 38 Millionen Dollar nahm die Regiearbeit der «Aladdin»-Macher Ron Clements & John Musker in Nordamerika jedoch während ihrer vollständigen Kinoauswertung nur unwesentlich mehr ein als «Lilo & Stitch» bloß an seinem Startwochenende. Noch schlimmer: Kein Disney-Zeichentrickfilm seit 1990 nahm so wenig in den USA und Kanada ein wie das Piratenabenteuer.

Auch in Deutschland ging «Der Schatzplanet» unter: Mit 1,11 Millionen verkauften Eintrittskarten ist «Der Schatzplanet» der Disney-Zeichentrickfilm mit dem zweitschlechtesten Ergebnis in über 40 Jahren. Nur die 2004 gestartete Kuh-Komödie «Die Kühe sind los!» lockte weniger Menschen in die Lichtspielhäuser. Weltweit scheiterte «Der Schatzplanet» daran, auch nur die 110-Millionen-Dollar-Marke zu durchbrechen und drückte im Alleingang die Wirtschaftszahlen der Disney-Kinosparte: Die Geschäftszahlen für das vierte Quartal 2002 mussten kurz nach Filmstart um 47 Millionen Dollar nach unten korrigiert werden.

Außerdem kippte Disney sämtliche Pläne für eine TV-Serie und eine DVD-Fortsetzung zum Film, darüber hinaus kam es als Antwort auf diesen Flop zu einem Umdenken innerhalb des Konzerns: In der Disney-Tricksparte wurden massiv Stühle gerückt, die kostspielige Deep-Canvas-Technologie, die dieser Produktion und «Tarzan» ihre fein ausgearbeiteten Hintergründe verlieh, wurde eingemottet und zudem gab Disney die Pläne an diversen Zeichentrickproduktionen auf. Alsbald drohte dem früheren Grundpfeiler des Studios das Aus: Nach «Der Schatzplanet» sollten nur noch zwei Zeichentrickfilme anlaufen, ehe Disney vorübergehend von diesem Medium Abstand nahm.

Die 6 glorreichen Aspekte von «Der Schatzplanet»


«Der Schatzplanet» ist einer der handwerklich ambitioniertesten Disney-Zeichentrickfilme in der Geschichte des Traditionsstudios – und regt als angedachtem Vorreiter, dem aufgrund seines Misserfolges keine Nachfolger vergönnt waren, mehr als die meisten Disney-Projekte zum Spekulieren an: "Was hätte noch alles werden können?". In einer Zeit des Umbruchs, als DreamWorks Animation und Pixar mit reinen Computeranimationsfilmen mehrere Hits lieferten und die Blue Sky Studios frisch mit «Ice Age» durchgestartet ist, verweigerte sich das Disney-Trickstudio noch, exakt dasselbe zu tun – und segelte stattdessen mit einer überaus aufwändigen Medienverschmelzung zu neuen Ufern:

Sämtliche der atemberaubenden Hintergründe des Films wurden aufwändig am Computer in einem Look erstellt, der den Ölgemälden der sogenannten Brandywine-Schule aus dem frühen 20. Jahrhundert nachempfunden ist, während die meisten Figuren von Hand gezeichnet wurden. Einzelne Figuren hingegen sind komplexe Verschränkungen aus CG-Animation und Zeichentrick, während der verwirrte Roboter B.E.N., den die Helden auf dem titelgebenden Schatzplaneten treffen, zwar komplett am Computer entstand, seine Oberfläche allerdings so gehalten wurde, dass er neben den Zeichentrickfiguren nicht heraussticht. Vor dem Kinoflop von «Der Schatzplanet» gab es in den Disney-Trickstudios Pläne, an diesen Ambitionen und den dafür erstellten technischen Entwicklungen anzuknüpfen und eine übernatürliche Geschichte in diesem ästhetischen Stil zu erzählen – bedauerlich, dass dies nicht eingetreten ist.



Das Potential, das bei einer Weiterentwicklung der in «Der Schatzplanet» getätigten Versuche vorhanden gewesen wäre, offenbart sich unter anderem in den spektakulären Actionszenen, die mit ihren komplexen Kamerabewegungen und zahlreichen minutiösen Details überaus kinetisch sind und optisch deutlich verwegener als von Disney-Zeichentrickfilmen gewohnt. Jedoch ist der kostspielige Flop der Regisseure Ron Clements & John Musker, die später auch «Küss den Frosch» und «Vaiana» verantworteten, keine reine Materialschlacht. Gewiss: Weil «Der Schatzplanet» auf einige der typischen Disney-Gefühlszutaten verzichtet, wird diesem Abenteuer vorschnell vorgeworfen, kein Herz zu haben. Umso mehr lohnt es sich, den Film erneut zu gucken.

Mit Jim Hawkins steht eine im Konflikt mit sich selbst stehende, ungewöhnliche Disney-Hauptfigur im Fokus, der Zeichner John Ripa ebenso eine rebellische Attitüde wie eine verträumte Ader verleiht. Der bärige Piratenkoch John Silver wiederum hat sich dank des faszinierenden Clashs zwischen grobschlächtigem Auftreten und feinfühlig gezeichneter Mimik einen Platz im Pantheon der Disney-Antihelden verdient – Zeichner Glen Keane (das Biest in «Die Schöne und das Biest», Titelheld in «Tarzan») lieferte hier einen weiteren Geniestreich ab. Perfekt abgerundet wird all dies durch die Kompositionen von James Newton Howard, der eine retrofuturistische Instrumentalmusik zauberte, die mit ihrer Abenteuerromantik begeistert und lange im Ohr bleibt.

«Der Schatzplanet» ist auf DVD und Blu-ray erhältlich sowie via Amazon, maxdome, iTunes, Google Play, Videoload und Juke abrufbar.
30.04.2017 12:29 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/92731