Manchmal schmerzt es umso mehr, zu wissen, dass ein Film die breite Masse aufgrund seiner fehlenden Lobby und PR nicht erreichen wird. Dabei gehört die französische Romanze «Die Schlösser aus Sand» zu den besten Filmen seines Genres, die das Jahr bisher zu bieten hatte.
Filmfacts: «Die Schlösser aus Sand»
- Kinostart: 27. April 2017
- Genre: Romanze
- FSK: 12
- Laufzeit: 102 Min.
- Kamera: Fabien Benzaquen
- Buch: Olivier Jahan, Diastème
- Regie: Olivier Jahan
- Darsteller: Emma de Caunes, Yannick Renier, Jeanne Rosa, Alain Chamfort, Christine Brücher
- OT: Les châteaux de sable (FR 2015)
Es scheint im Kino nur noch zwei Varianten zu geben, wie man sich mit dem unser aller Leben bestimmenden Thema Liebe auseinandersetzen kann. Entweder nimmt man die Irrungen und Wirrungen des amourösen Gefühlslebens im Rahmen einer RomCom auf die Schippe, oder man ergötzt sich am Herzschmerz, den die Liebe nun mal ebenso mit sich bringt. Dazwischen gibt es offenbar nicht Erzählenswertes zu entdecken; genau das macht jetzt aber der französische Regisseur Olivier Jahan («Der Voyeur») in seinem hierzulande nur äußerst limitiert in den Kinos erscheinenden Romantikdrama «Die Schlösser aus Sand», das zwar einerseits von einer tragischen, längst beendeten Liebe erzählt, nur um auf der anderen Seite mit den Ängste und Neurosen (nicht mehr ganz so) frisch Verliebter zu spielen. Unter weniger fähiger Regie liefe ein Film, der diese beiden Extreme in sich vereint, schnell Gefahr, dass die Erzählmomente einander widersprechen. Nicht so im Falle dieser unscheinbaren Perle des französischen Kinos, in der man nie das Gefühl hat, dass hier irgendetwas für die Handlungsdynamik oder Dramaturgie geschieht, sondern dass es dem Regisseur und Drehbuchautor in erster Linie darum geht, echte Gefühlswelten echter Menschen auf die Leinwand zu bringen, mit der es sich noch stärker identifizieren lässt, wenn man feststellt, dass das wahre Leben viel spannender sein kann, als die Fiktion.
Zwischen Anziehung und Ablehnung
Bretagne, Côtes d’Armor: Éléonore (Emma de Caunes) ist mit ihrem Ex-Freund Samuel (Yannick Renier) in das Haus ihres Vaters am Meer zurückgekehrt, in dem sie und Samuel viele glückliche Sommer verbracht haben, als sie noch ein Paar waren. Nach dem Tod ihres Vaters muss Éléonore das Haus verkaufen und Samuel hat ihr angeboten, ihr zu helfen, es für die potentiellen Käufer herzurichten. Eigentlich wissen beide, dass sie noch viel für einander empfinden, aber dazu, gemeinsam in schönen Erinnerungen zu schwelgen, kommen sie nicht, denn die Immobilienmaklerin Claire (Jeanne Rosa) führt einen potentiellen Käufer nach dem anderen durch das Haus und eine Nachbarin die das ganze aus der Ferne beobachtet, scheint ihre ganz eigenen Erinnerungen an das Haus und Éléonores Vater zu haben.
Für Olivier Jahan, der das Drehbuch gemeinsam mit seinem Landsmann Alain Dias alias Diastème («Un Français») verfasste, geht es in «Die Schlösser aus Sand» sowohl um die Sonnen-, als auch um die Schattenseiten der Liebe. Dafür nutzt er das Ausgangsszenario, zwei Ex-Partner, die immer noch Liebe, aber auch Abneigung für einander empfinden, ein gemeinsames Wochenende miteinander verbringen zu lassen und nach und nach in Rückblenden zu offenbaren, weshalb es überhaupt zu der Trennung kam. Für den Zuschauer bietet sich somit die Möglichkeit, gleichermaßen ohne Vorurteile an die Situation heranzugehen, die Interaktion der beiden Menschen aufeinander wirken zu lassen und im weiteren Verlauf zu hinterfragen, wie viel die Realität mit diesen vorab getätigten Vermutungen zu tun hat. Dabei verzichtet die Erzählung auf plakative Szenerien und lässt uns stattdessen an ganz Alltäglichem teilhaben.
Oft braucht es noch nicht einmal den (ebenfalls erst später verortbaren) Off-Kommentar, der das brodelnde Gefühlsleben der Protagonisten für uns einordnet. Wenn die vorab so betont selbstständige Éléonore aus Entfernung ihren Ex dabei beobachtet, wie dieser mit seiner neuen Freundin skypt, dann reicht eine solch beiläufig inszenierte Szene vollkommen aus, um erkennen zu lassen, dass da immer noch Gefühle – und damit einhergehend auch viel Unausgesprochenes – im Spiel sind. Umspannt wird dieses ständige Wechselspiel zwischen Zuneigung und Ablehnung von dem Verkauf des Hauses, in welchem sich die Angst vor dem Verlust von Gewohnten ebenso widerspiegelt, wie der Versuch, aufzubrechen und Neues zu beginnen.
Ein leiser Film über ein lautes Gefühl
Flüchtige Blicke, zaghafte Berührungen, ernsthafte Schuldzuweisungen und viel, viel Ratlosigkeit: Olivier Jahan stattet beide Figuren zugleich mit Scheu und Verunsicherung aus und lässt das Ex-Paar somit auf Augenhöhe agieren. Auf diese Art ergibt sich auch für den Zuschauer nie das Bild eines Schuldigen oder Unschuldigen; im Gegenteil. Der Reiz an «Die Schlösser aus Sand» besteht darin, zu erleben, wie Menschen in emotionalen Ausnahmesituation wirklich reagieren – und nicht wie in beliebigen Hollywoodschmonzetten entweder über sich hinaus wachsen oder eben elendig in ihrem Gefühlsschmerz versinken. Da passt es auch, dass man bei der technischen Inszenierung auf allzu große Spielereien verzichtet. Wenngleich das sicherlich auch dem schmalen Budget geschuldet ist, sind spektakuläre Kamerafahrten, geschweige denn aufwändige Kulissen hier nicht zu erkennen. Trotzdem ist die Kulisse des altehrwürdigen Hauses so treffend gewählt, dass man die hinter dem Haus stehende Geschichte förmlich spüren kann. Hier sind viele jener Dinge passiert, die für Éléonor und Samuel in der Vergangenheit Bedeutung hatten; mit ein Grund, weshalb der Subplot um den Verkauf von dramatischerer Tragweite ist, als man es anfangs realisiert. Der Verkauf würde schließlich den ultimativen Schlussstrich bedeuten.
Für den Verkauf holt sich das ehemalige Paar, das von Emma de Caunes («Schmetterling und Taucherglocke») und Yannick Renier («Dein Wille geschehe») von brillanter Subtilität verkörpert wird, die aufgedrehte Maklerin Claire an seine Seite, mit der Olivier Jahan sogleich noch eine zweite Geschichte erzählt. Jeanne Rosa («Ein Kuss von Béatrice») bringt durch ihre exzentrische, lebensfrohe Art zwar Leben und Humor in den Film, verkörpert aber eigentlich das genaue Gegenteil von Éléonore und Samuel; den an der Oberfläche glücklichen Dauersingle, der auf der einen Seite froh ist, die Probleme der beiden nicht zu kennen und sich doch andererseits erst recht danach sehnt, einmal so geliebt zu werden, dass es überhaupt zu einem solch großen Konflikt kommen kann. Tatsächlich ist das Schicksal von Claire ebenfalls ziemlich tragisch. Fragt man sich zunächst noch, weshalb diese extrovertierte, erfolgreiche, hübsche Frau immer noch alleine ist, wird spätestens mit einer absolut unpassenden Gesangseinlage und dem sich sukzessiven Aufdrängen an das Paar deutlich, dass hier gesellschaftlich viel im Argen liegt. Trotzdem scheut Jahan auch hier die eindeutige Schwarz-Weiß-Zeichnung. All seine Figuren lassen sich nämlich nicht in einfache Schubladen stecken, sondern werden von den Umständen geformt. Die mögen in «Die Schlösser aus Sand» zwar nicht unbedingt spektakulär sein. Doch wenn man einmal ehrlich ist, spiegelt das ja auch nur wieder, wie sich unser Leben in den aller meisten Tagen anfühlt: unspektakulär.
Fazit
Dieses auf den ersten Blick so unscheinbare, französische Meisterwerk erzählt unter Zuhilfenahme wahrhaftiger Charaktere von den herzzerreißenden Stationen einer bitteren Liebe und findet mit der Zeit zu einer Leichtigkeit, die im romantischen Kino immer öfter ihresgleichen sucht.
«Die Schlösser aus Sand» ist ab dem 27. April in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.