„Der Traumberuf Journalist hat Kratzer bekommen“

Fake News, Lügenpresse, schlechte Bezahlung: Der Journalismus ist in Verruf geraten. Wie bildet man da noch Journalistenanwärter aus? Ein Gespräch mit dem Leiter der RTL-Journalistenschule Leonard Ottinger.

Herr Ottinger, in den letzten Monaten liest man viel von schlechter Bezahlung im Journalismus, von der riesigen Diskussion über Fakenews und hört das Schlagwort Lügenpresse. Warum soll man heute noch Journalist werden?
Journalismus ist und bleibt ein guter und wichtiger Beruf. Es ist mehr denn je notwendig, dass wir auch in Zukunft gute Journalisten haben, die unseren Zuschauern und Lesern gute und seriöse Informationen präsentieren und eben nicht das anbieten, was sich sonst noch unter dem Deckmantel der Information versteckt. Gott sei Dank gibt es auch immer noch genug junge Menschen, die sich an den Journalistenschulen bewerben.

Was antworten die jungen Bewerber an Ihrer Schule auf die Frage, warum sie Journalist werden wollen?
Das fragen wir im Bewerbungsprozess tatsächlich ab. Wir spüren Neugier, die Motivation Themen nachzugehen und Sachverhalte aufzudecken. Die Schüler wollen Dingen auf den Grund gehen und Geschichten entdecken. Verbunden mit dem Wunsch, dies zu publizieren, ob im Video oder als Wort.

Journalismus ist also noch ein Traumberuf?
Ja, auf jeden Fall - für all diejenigen, die mit Neugier und Sorgfalt mit Menschen, in Kontakt kommen möchten. Es ist aber so, dass der Traumberuf in den letzten Jahren Kratzer bekommen hat, weil sich die ökonomischen Bedingungen verschlechtert haben. Der wirtschaftliche Druck ist größer geworden, die Informationsflut nimmt immer weiter zu. Da hat es der Printbereich noch schwerer als wir in der Fernseh- und Videojournalismussparte.

Die Bewerberzahlen an Ihrer Schule gehen zurück.
Ja, sie sind leicht zurückgegangen. Bei uns sind es momentan 30 bis 40 Bewerbungen weniger pro Jahrgang, aber ich finde es nicht dramatisch, wenn sich statt 420 nur rund 390 Leute bewerben. Da hat vielleicht die Diskussion um die angebliche Lügenpresse den ein oder anderen jungen Menschen davon abgehalten, sich für diesen Beruf zu entscheiden. Zwar berichten von leichten Rückgängen auch die Schulleiter der anderen Journalistenschulen auf unserem jährlichen Treffen, aber wir haben alle weitaus mehr Bewerber als Plätze.

Welche berufliche Realität vermitteln Sie Ihren Schülern?
Ehrlich gesagt sind wir als Journalistenschule für das Fernsehen in einer relativ komfortablen Lage. Alle Absolventen des letzten Jahrgangs haben nach der Schule auch journalistisch weitergearbeitet. Etwas mehr als die Hälfte ist jetzt in der RTL-Mediengruppe beschäftigt, viele von Ihnen in Vollzeit, andere auf Tagessatzbasis. Manche sind auch beim WDR untergekommen oder bei TV-Produktionsfirmen. Sie haben also ein Auskommen und ich kann sagen, dass nach einer Ausbildung bei uns die Wahrscheinlichkeit, später auch vom Beruf leben zu können, recht hoch ist. Allerdings muss man sagen, dass es für Absolventen von Journalistenschulen in Richtung Zeitungsjournalismus etwas schwieriger aussieht. So wurden z.B. auch in NRW Lokalredaktionen zusammengelegt.

Wie viele Ihrer 30 Schüler stellen nach der Ausbildung oder im Volontariat fest, dass der Traumberuf Journalismus vor allem aus Überstunden besteht?
Man kann im Journalismus nicht um 17 Uhr gehen, wenn um 16:50 Uhr etwas geschieht.
Leonard Ottinger, Leiter der RTL-Journalistenschule
Unsere Schüler haben den Praxisschock schon hinter sich, weil sie schon einige Praktika absolviert haben. Die Schüler wissen schon, dass es Nacht- und Wochenendschichten gibt und dass man vor allem dann da sein muss, wenn etwas passiert. Man kann nicht um 17 Uhr gehen, wenn um 16:50 Uhr etwas geschieht.

Auf RTL laufen tagsüber zum Beispiel hauptsächlich Scripted-Reality-Formate. Warum brauchen Sie investigative Journalisten?
Weil das Informationsangebot der Mediengruppe RTL zugenommen hat. In den letzten Jahren ist zum Beispiel «Team Wallraff» dazugekommen, oder die Recherchekooperation mit Correctiv. Der Bereich Thema Reportage und Dokumentation und die Bewegtbildberichterstattung im Netz wurden ausgebaut. Schauen Sie sich mal RTL Next an! Wir stellen heute nicht mehr einfach Fernsehbeiträge ins Netz, sondern produzieren für das Netz Bewegtbild. Da steigt der Personalbedarf - und das nicht nur bei RTL, sondern beider gesamten Mediengruppe RTL mit n-tv, VOX oder den «RTL II News». Es gibt also genug Fläche für investigative Journalisten.

Ich habe also mit einer Ausbildung an Ihrer Schule später bessere Chancen, weil Sie für das Fernsehen ausbilden, als an einer anderen Schule, die hauptsächlich für den Print ausbildet?
Ja. Unsere Journalistenschüler haben sehr gute Chancen. Auch die Absolventen anderer Journalistenschulen, die zum Beispiel große Verlage als späteren Arbeitsort haben, stehen auch noch gut da. Im Regional- und Lokaljournalismus allerdings ist das gerade recht mühsam.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Was Leonard Ottinger Print-Journalisten rät und wie man als junger Reporter mit Lügenpresse-Vorwürfen umgehen sollte.


Wo gehe ich als Printjournalist nach meiner Ausbildung denn dann heute noch hin?
Das ist schwierig. Ich würde immer als ersten Schritt auf die persönliche Neigung und eben nicht auf den Arbeitsmarkt schauen. Wenn Sie also daran Spaß haben, eine bestimmte Stadt oder Region zu bearbeiten, dann versuchen Sie das auch erstmal im Lokalbereich. Wenn Sie lieber investigativ arbeiten, schließen Sie sich einem Rechercheverbund an oder fragen bei Reportageformaten an. Das sagen wir übrigens auch unseren Schülern immer wieder.

Wie gehen die jungen Schüler damit um, dass ihr Berufsstand Lügenpresse genannt wird?
Wir müssen uns dem Dialog mit Anfeindern stellen, auch wenn wir damit nur einige erreichen, andere nicht.
Leonard Ottinger, Leiter der RTL-Journalistenschule
Wir diskutieren über diese Frage immer wieder und wollen im Rahmen des aktuellen Jahrgangs oder später das auch mal im Rahmen eines Schwerpunkts anbieten. Da geht es dann nicht nur um Lügenpressevorwürfen auf der Straße, sondern auch um Hatespeech auf Facebook. Wir überlegen gerade, was wir den Schülern an die Hand geben, ein spezielles Training hierzu ist in Vorbereitung.

Was geben Sie mir denn an die Hand, wenn ich als Journalist mit Lügenpresse angefeindet werde?
Sagen Sie, dass Presse grundsätzlich der Wahrheit und Unabhängigkeit verpflichtet ist. Da reden keine Politiker in die Redaktionskonferenzen rein. Erklären Sie, dass es bestimmte handwerkliche Regeln gibt. Ja, im Journalismus können auch Fehler passieren, dass man sich in einer Richtung auch mal verrennt und wieder zurückrudern muss. Dies zu benennen stärkt die Glaubwürdigkeit. Wichtig ist es auf Transparenz zu setzen: Wie entsteht diese Sendung? Warum haben wir dieses Thema aufgegriffen? Schauen Sie sich zum Beispiel den tagesschau-Blog an oder die Rubrik Glashaus bei Zeit.de. Einen gewissen Teil der Anfeinder erreichen Sie mit dieser Transparenz, den anderen Teil erreichen Sie nicht.

Glauben Sie wirklich, dass Sie den Kritiker, der Sie in Dresden konfrontiert, weil er ein Mikrofon sieht, erreichen, in dem Sie ihm Ihre Recherche erklären und seine Vorwürfe nicht stimmen?
Wir müssen uns diesem Dialog stellen, auch wenn wir damit nur einige erreichen, andere nicht. Aber ich stand selbst noch nicht in Dresden vor der Situation.

Wie sieht es bei Hatespeech im Internet aus? Lohnt sich da die Diskussion mehr?
Die Diskussion lohnt in jedem Fall. Wenn Sie sich der Diskussion verschließen, geben Sie den Kritikern und den Vorwürfen nur neues Futter. Die Zeit für die Kommentare muss man sich nehmen und sie zum Teil wenigstens beantworten und das ist in den Redaktionen inzwischen auch angekommen.

Sandra Müller vom SWR hat uns neulich in einem Interview erzählt, dass sie Kritiker aus dem Netz auch mal wie Renate Künast zu Hause besucht.
Das ist ein gutes, mutiges Mittel. Vielleicht ist das tatsächlich auch eine Form, mit Kritik umzugehen und daraus dann auch einen weiteren Beitrag zu generieren.

Aber diese Hausbesuche oder auch einfach nur das Diskutieren mit den Kritikern im Netz bezahlt Ihnen niemand.
Nicht unbedingt, aber das Thema Zuschauerbeziehung hat bei RTL einen enormen Stellenwert. Neben der Tatsache, dass man mit seinen Zuschauern immer mal wieder auch persönlich zusammensetzt, gibt es zum Beispiel mehrere WhatsApp-Gruppen, in denen Zuschauer über Sendungen diskutieren. Wir haben eine sogenannte Zuschauerwohnung, in denen Redakteure mit Zuschauern gemeinsam Fernsehen schauen und über das Programm reden.

Einmal umblättern, dann lesen Sie: Recherche, Fotos, Social Media: Löst der Allrounder den Spezialisten ab?

Nun ist Lügenpresse das eine Stichwort, das andere Stichwort sind die alternativen Fakten. Macht Ihnen das Sorge?
Ich glaube, dass man heute nicht nur seine Geschichte recherchieren darf, sondern parallel schauen muss, was sonst zu der Geschichte noch im Netz kursiert, um darauf dann im eigenen Artikel einzugehen.
Leonard Ottinger, Leiter der RTL-Journalistenschule
Es wird immer schwieriger, im riesigen Meer von falschen, alternativen oder anders gelagerten Fakten mit sorgfältigem, seriösem Journalismus durchzudringen. Wir müssen dem noch intensiver wahrhaftige und vertrauenswürdige Nachrichten entgegensetzen. Dazu hat infoNetwork vor Monaten eigens ein Verifizierungsteam eingerichtet, dass gefaktes Bewegtbildmaterial filtert. Sie müssen dem Zuschauer klar machen, welche Quellen vertrauenswürdig sind und welche nicht. Entsprechend wird ja zurzeit auch über eine Kennzeichnung von Fakenews nachgedacht.

Wird nicht vor allem die Glaubwürdigkeit des Journalismus unterhöhlt, weil ich als normaler Leser nicht unterscheiden kann, ob die Nachricht, die ich gerade auf Facebook angeklickt habe, tatsächlich seriös ist?
Ja, absolut. Für die journalistische Medien bedeutet das, noch mehr auf Sorgfalt und fundierte Quellen zu setzen - und sich damit von Fakenewsportalen im Netz zu unterscheiden. Ich glaube, dass man heute nicht nur seine Geschichte recherchieren darf, sondern parallel schauen muss, was sonst zu der Geschichte noch im Netz kursiert, um darauf dann im eigenen Artikel einzugehen.

Auf der anderen Seite macht heute der Journalist die Recherche, die Fotos und die Vermarktung auf Social Media in einer Person, wo man in guten Zeiten drei Spezialisten für hatte. Haben Sie so viele Multitalente an der Schule, die das können?
Ich denke, dass wir in der Ausbildung umfassend das Handwerkszeug gut vermitteln, auch wenn wir uns auf den Bereich Fernsehen und Bewegtbild konzentrieren und uns zum Beispiel mit Radio nicht beschäftigen. Ein Kollege von mir sagte neulich: "Man muss alles kennen, aber nicht alles können." Dem stimme ich zu. In der Arbeitsrealität stellt sich aber tatsächlich die Frage der Ressourcen. Auf Dauer kann die Qualität bei zu vielen Allroundern auch leiden und so viele Multitalente, die in allen Formen gleich gut sind, gibt es nun mal nicht.

Wie viel Druck lastet heute auf einer Journalistenschule?
Ist der Mix aus Schule und Praktika so angemessen, dass die Kollegen nach zwei Jahren einen Job finden? Welche Trends nimmt man auf? Was lässt man weg?
Leonard Ottinger, Leiter der RTL-Journalistenschule
Ich selbst sehe die Verantwortung, die richtigen Entscheidungen für das Curriculum zu treffen. Ist der Mix aus Schule und Praktika so angemessen, dass die Kollegen nach zwei Jahren einen Job finden? Welche Trends nimmt man auf? Was lässt man weg? Mit Blick auf das Budget sind wir gut aufgestellt. RTL leistet sich die Schule und wir haben die Möglichkeit, viele Dinge auch umzusetzen.

In den letzten zehn Jahren haben Sie den Lehrplan also komplett umgestellt?
Die Hälfte des Lehrplans ist stabil geblieben. Da geht es um das klassische Handwerkszeug wie das Schreiben einer Geschichte, um das Schneiden, Drehen oder das Produzieren einer Sendung. Sehr schnell wandeln sich die Themen im Digitaljournalismus. Da unterscheidet sich der Lehrplan sogar von Jahrgang zu Jahrgang. Vor ein paar Jahren kam zum Beispiel der Datenjournalismus dazu, Podcast machen wir nicht mehr. Und dann sind da noch die investigativen Formen, die wir u.a. mit Correctiv in Seminaren vermitteln.

Warum glauben Sie, dass Sie in den letzten Jahren viel richtig gemacht haben?
Wir haben ein großes Netzwerk, sind auch innerhalb der Mediengruppe gut vernetzt und mit unseren Dozenten scheinen wir ein gutes Händchen zu haben.

Wenn wir uns in 10 Jahren wiederhören: Wo steht der Journalismus dann?
Der Journalismus wird noch technikgetriebener sein. Es wird noch mehr Möglichkeiten geben für den Einsatz von digitalen Technologien, sicher wird auch die Automatisierung eine Rolle spielen. Dennoch wird Journalismus nach wie vor im Kern aus Recherche, Sorgfalt und Informationsaufbereitung bestehen.

Und was geben Sie Ihrem aktuellen Jahrgang an der Schule mit auf den Weg?
Probiert Euch aus, nutzt die beiden Jahre, schaut was Euch liegt. Seid offen und bringt neue Ideen ein, in die Schule und in die Redaktionen. Und vor allem: Es lohnt sich! Bleibt bei Eurer Entscheidung!

Vielen Dank für das Gespräch!
04.05.2017 10:52 Uhr  •  Sascha Blättermann Kurz-URL: qmde.de/92831