Fünf Gründe, weshalb Disney seine Filmstarts so weit im Voraus bekanntgibt

Der Disney-Konzern hält große Stücke auf seine Geschäftsmethode, Kinostarttermine mehrere Jahre im Voraus öffentlich mitzuteilen. Quotenmeter.de analysiert diese Taktik und erklärt, weswegen Disney so mitteilungsfreudig ist.

Der Konkurrenz den Donner stehlen, leicht gemacht


Disneys Kinofahrplan 2018

  • 16. Februar: «Black Panther»
  • 9. März: «A Wrinkle in Time»
  • 6. April: «Magic Camp»
  • 4. Mai: «Avengers: Infinity War»
  • 25. Mai: «Untitled Han Solo Star Wars Anthology Film»
  • 15. Juni: «Die Unglaublichen – Teil 2»
  • 6. Juli: «Ant-Man and The Wasp»
  • 3. August: «Untitled Disney Live Action Fairy Tale»
  • 21. November: «Ralph Breaks the Internet: Wreck-It Ralph 2»
  • 25. Dezember: «Marry Poppins Returns»
Alle Angaben sind US-Kinostarts
Ende April 2017: Disney stellt mit «Die Schöne und das Biest» zwar den bislang erfolgreichsten Film des Jahres, doch Universal Pictures ist dem Realfilmmusical dicht auf den Fersen – «Fast & Furious 8» düst dank eines Weltrekordstarts zu einem überaus stattlichen Einspielergebnis. Aber bevor die Branchenpresse den Siegeszug von «Fast & Furious 8» in aller Ausführlichkeit analysieren kann, lässt Disney die Bombe platzen: Das Studio aktualisiert am 25. April seinen Kinofahrplan für die kommenden Jahre – und dominiert damit alsbald das Hollywood-Fachgespräch.

Unter anderem verschiebt Disney einige seiner Animationsfilme sowie «Indiana Jones 5» nach hinten, steckt Termine für noch unbetitelte Großproduktionen ab – und erklärt sämtlichen Mitbewerbern für 2019 den Krieg. So soll am 3. Mai 2019 der vierte «Avengers»-Film anlaufen, am 24. Mai die neunte «Star Wars»-Episode, am 21. Juni «Toy Story 4», am 19. Juli der geplante «Der König der Löwen»-Neuaufguss im «The Jungle Book»-Look und am 27. November 2019 «Die Eiskönigin 2» starten. Die informierte Filmcommunity und auch die Branchenmedien spekulieren im Anschluss an diese Ankündigung tagelang Disneys Aktion, «Star Wars» vom Winter wieder in den Sommer zu hieven und somit im Mai 2019 sogleich zwei wahnsinnig große Filmreihen zu ihrem (vorläufigen?) Ende zu bringen, zudem beginnen die Spekulationen, wie die Konkurrenz nur dagegenhalten könnte. Der Siegeszug von «Fast & Furious 8» sowie Universals Pläne, einen Ableger zu starten? Newsschnee von gestern.

Das Geschenk der Gratis-PR


Disneys Kinofahrplan 2019

  • 8. März: «Captain Marvel»
  • 29. März: «Untitled Disney Live Action Fairy Tale»
  • 12. April: «Untitled DisneyToon Studios»
  • 3. Mai: «Untitled Avengers»
  • 24. Mai: «Star Wars: Episode IX»
  • 21. Juni: «Toy Story 4»
  • 19. Juli: «The Lion King» (Remake)
  • 9. August: «Untitled Disney Live Action»
  • 8. November: «Untitled Disney Live Action Fairy Tale»
  • 27. November: «Die Eiskönigin 2»
  • 20. Dezember: «Untitled Disney Live Action Fairy Tale»
Alle Angaben sind US-Kinostarts
Eine konsequente Folge der medialen Berichterstattung, die mittlerweile sofort auf dem Fuße folgt, wenn Disney an seinem Startplan schraubt: Gratis-PR. Die Menschen hinter zahlreichen Filmprojekten wären glücklich, würde ihr in ein, zwei Wochen anstehender Film auch nur halb so viel Online-Buzz erzeugen wie die Tatsache, dass ein derzeit titelloser Disney-Märchenfilm von Juli 2017 auf den 3. August des kommenden Jahres verschoben wurde.

Von der bereits jetzt einsetzenden Publikumsbindung erst zu schweigen: Während die Einen darüber rätseln, welche Filme sich hinter den diversen titellosen Disney-Projekten mit konkretem Starttermin verbergen könnten, planen die Anderen augenzwinkernd unter Facebook-Newsposts von 'Moviepilot', 'Filmstarts' und Co. das «Die Eiskönigin 2»-Kinodate oder wägen ab, wie oft sie vor dem «Star Wars: Episode IX»-Start in «Avengers 4» gehen können, ehe ihnen das Kinobudget ausgeht. Der sich daraus generierende Vorteil für Disney: In einem ständig wachsenden Markt an Unterhaltungsangeboten ist es nur hilfreich, wenn das Publikum viel Zeit hat, sich in den Gedanken, einen Film unbedingt im Kino zu sehen, unverrückbar zu verbeißen.

Wer zuerst kommt, mahlt zuerst


Disneys Kinofahrplan 2020/21

  • 13. März 2020: «Untitled Pixar Animation»
  • 3. April 2020: «Untitled Disney Live Action»
  • 1. Mai 2020: «Untitled Marvel»
  • 19. Juni 2020: «Untitled Pixar Animation»
  • 10. Juli 2020: «Untitled Indiana Jones»
  • 7. August 2020: «Untitled Marvel»
  • 6. November 2020: «Untitled Marvel»
  • 25. November 2020: «Gigantic»
  • 12. März 2021: «Untitled Disney Live Action»
  • 18. Juni 2021: «Untitled Pixar Animation»
  • 24. November 2021: «Untitled Disney Animation»
Alle Angaben sind US-Kinostarts
Gedankenexperiment: Im Hause 20th Century Fox wird an einem neuen «X-Men»-Film gearbeitet. Wenn alles nach Plan verläuft, wird er im Frühjahr/Sommer 2020 für einen Kinostart bereit sein. Für wann sollte die Veröffentlichung des 250-Millionen-Dollar-Projekts ins Visier gefasst werden? Wer nun denkt: "Einfache Aufgabe", liegt weit daneben! Obwohl noch drei Jahre bis zum Kinostart ins Land ziehen werden, besteht schon jetzt Zugzwang. Denn freie Wahl ist nicht mehr gegeben: Disney hat bereits einige Termine für 2020 abgesteckt, darunter den 1. Mai sowie den 7. August für je einen Film der Marvel Studios. Direkt dagegen kann ein «X-Men»-Film nicht programmiert werden – die Freizeit und die Finanzen der nahezu deckungsgleichen Zielgruppe dieser beiden Produktionen sind nicht unbegrenzt. Eine Woche vorher oder nachher starten? Das wäre machbar, jedoch erwiesen sich solche Strategien in der Vergangenheit als riskant – es ist besser, ähnlich gestrickte Filme etwas voneinander zu trennen und so Appetit beim Publikum zu schüren.

Wer im Voraus Starttermine absteckt und zudem die Glaubwürdigkeit mitbringt, dass es sich um kein Luftschloss handelt, sondern um handfeste Vorhaben, macht die Mitbewerber zu seinem Spielball. Alle Studios, die im Superheldengeschäft sind, müssen beispielsweise durch den Kalender staksen, um mit ihren Filmen tunlichst eine Kollision mit dem Platzhirsch Marvel zu vermeiden. Das geschieht zu ihrem eigenen Wohl, selbst wenn sie somit Disney den Willen lassen, sich seine Starttermine selber auszusuchen. Das Duell «The First Avenger: Civil War» gegen «Batman v Superman: Dawn of Justice» bewies, dass Disneys Rechnung aufgeht: Marvel reservierte sich frühzeitig den 6. Mai 2016 für den US-Start eines titellosen Marvel-Films. Warner glaubte, sich gegen das rätselhafte Projekt stellen zu können und kündigte für dasselbe Datum seine aufwändige DC-Comicadaption an, woraufhin Marvel den Filmtitel enthüllte – gefolgt von beeindrucktem Fachblattecho. Einige Wochen später wich Warner Bros. aus.

Disney spielt mit einer Taktik, die sich leicht überstrapazieren lässt. Auch andere Studios sind auf diesen Zug aufgesprungen, beherrschen das Spiel jedoch auf variierendem Niveau. Ende 2013/Anfang 2014 teilte etwa Sony in der Fachpresse seine weitschweifenden Pläne mit der «Spider-Man»-Lizenz mit, bloß um sie im Sommer 2014 eilig zu revidieren. Sony hatte dank des unter den Erwartungen laufenden «The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro» den Schaden, Filmfans und -journalisten sorgten prompt für den Spott.

Ein offener Zukunftsplan wägt Investoren in Sicherheit


Die Wall Street ist ein steinhartes Pflaster. Konstant bleibende Unternehmenszahlen werden nicht als Konstanz, sondern als Stillstand gewertet. Konzerne, die großes Wachstum verzeichnen, werden dennoch kritisch beäugt, sobald ein Unternehmensbereich in der Krise steckt und somit verhindert, dass das Profitwachstum noch größer ausfällt. Und ganz gleich, wie viele wertvolle, bewährte Marken Disney-Chef Bob Iger der Walt Disney Company einverleibt hat: Vollkommen blindes Vertrauen erarbeitete sich selbst die Disney-Aktie nicht. Einer der Punkte, die Anleger zweifeln lassen ist die Frage, wie sich der Konzern nach Igers Weggang schlagen wird.

Seit Jahren verschiebt Iger seinen Abschied vom Disney-Konzern – nicht zuletzt, weil es ihm bislang nicht gelang, einen Nachfolger zu finden. Dass Disney nicht nur weitreichende Zukunftspläne hat, sondern sie öffentlich macht und dabei mit neuen Projekten solcher Erfolgsmarken wie Marvel und Pixar aufwarten kann, ist vor diesem Hintergrund auch als Versicherung zu verstehen: Disneys Erfolgskurs wird auch 2021 keinen Abbruch nehmen.

Böse Erfahrungen und die seesalzgewaschene Wunde, die sie hinterließen


Wir lassen das Rad der Zeit um einige Jahre zurückrattern: Walt Disney Pictures und Jerry Bruckheimer Films drehen derzeit im Block die beiden «Fluch der Karibik»-Fortsetzungen. Der interne Plan sieht zunächst vor, dass «Pirates of the Caribbean – Dead Men's Chest» (respektive «Pirates of the Caribbean – Fluch der Karibik 2») am 7. Juli 2006 anläuft, der zunächst noch unbetitelte dritte Teil exakt ein Jahr später. Nachdem die Dreharbeiten zu Teil zwei der Piratenreihe abgeschlossen wurden und sich die Filmcrew komplett auf den dritten Film konzentrieren konnte, rutschte die interne Deadline für das letztlich als «Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt» veröffentlichte Epos allerdings nach vorne: Der US-Kinostart sollte bereits am 25. Mai 2007 erfolgen. Es war ein Schritt, der den Druck auf die Crew massiv erhöhen sollte, bedeutete er doch mehrere Wochen weniger Zeit für die Postproduktion – respektive ein deutliches Mehr an Überstunden in der finalen Phase.

Was ist geschehen? Wieso verkürzte Disney die Produktionszeit am bis dahin aufwändigsten Film der Studiogeschichte? «Pirates of the Caribbean»-Drehbuchautor Terry Rossio erläuterte nach Kinostart die halboffizielle Ereignisabfolge: "Angeblich wollte Disney nicht gegen «Transformers» und «Harry Potter» antreten", die zuvor für den 3. Juli 2007 beziehungsweise den 11. Juli 2007 angekündigt wurden. Der für Kinoproduktionen dieser Größenordnung als sehr attraktiv geltende Startmonat Mai war allerdings ebenfalls schon rappelvoll: «Spider-Man 3» erklärte den 4. Mai 2007 als sein Eigentum, «Shrek der Dritte» den 18. Mai. Disney bliebe noch der 25. Mai, Memorial Day – ein umstrittener Kino-Starttermin: Er erhält zusätzliche Medienaufmerksamkeit, wirtschaftlich ist er jedoch weitaus mäßiger als besagter Presserummel um ihn suggerieren würde. Und im Sonderfall 2007 würde Disney riskieren, als dritter und letzter Film einen gesättigten Markt anzusprechen – die Marktforschung ergab nämlich, dass «Spider-Man 3» und «Shrek der Dritte» weitestgehend dieselbe Zielgruppe ansprechen würden.

Rossio führt weiter aus: "Der Plan war, «Shrek der Dritte» von seinem Starttermin zu verjagen", was weniger Konkurrenz an den Kinokassen bedeutet hätte. "Gerüchteweise gelang dieser Plan und [DreamWorks-Animation-Chef] Katzenberg beschloss, den Film zu verschieben", so Rossio in einem Artikel auf seiner Website 'Wordplayer'. "Aber, wie Herr Gerücht behauptet, hat DreamWorks bereits seine Werbekampagne geplant und einen Werbedeal mit McDonald's abgeschlossen – und McDonald's wollte keine Änderung des Starttermins zulassen."

US-Kinojahrescharts 2007

  1. «Spider-Man 3» (336,53 Mio. Dollar)
  2. «Shrek der Dritte» (322,72 Mio. Dollar)
  3. «Transformers» (319,25 Mio. Dollar)
  4. «Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt» (309,42 Mio. Dollar)
  5. «Harry Potter und der Orden des Phönix» (292,00 Mio. Dollar)
So musste sich Disney mit dem Kinogedrängel Ende Mai 2007 zufrieden geben. «Spider-Man 3» brach kurz zuvor die stattlichen Startrekorde, die 2006 der zweite «Fluch der Karibik» aufgestellt hat, und entgegen früherer Analysen und Erwartungen konnten Käpt'n Jack Sparrow und Konsorten diese Bestmarken mit «Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt» nicht wieder dem Disney-Konzern einverleiben. Auch auf dem globalen Parkett fehlte dem Piraten-Monumentalfilm die letzte Puste: Anders als dem Vorgänger (sowie dem 2011 erschienenen Sequel «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten») gelang es ihm ganz knapp nicht, die Eine-Milliarde-Dollar-Grenze zu durchbrechen.

Selbstredend lässt sich nur spekulieren, ob es allein am Starttermin lag oder vielleicht doch daran, was der Film bot oder wie sein Marketing gestaltet wurde – für Disney scheint die Sache indes klar zu sein: Das Studio rückte als letzter mit dem Starttermin heraus und zog den Kürzeren. Und, welch Zufall: In den Folgejahren wurde es schrittweise für Disney zum Standard, mehrere Jahre im Voraus Starttermine mitzuteilen. Erst beschränkte sich diese Taktik auf Filme, die zu etablierten Marken gehören, nunmehr gilt sie für fast den gesamten Konzern-Output.
05.05.2017 14:13 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/92895