LA Screenings: Von Serien-Trends, Wundertüten & der richtigen Mischung

Nach den Upfronts ist vor den LA Screenings – Wir sprachen mit den Chefeinkäufern von RTL, ProSiebenSat.1 und Sky über Trends, die spannendsten Formate & die Bedeutung internationaler Produktionen.

Über die LA Screenings

Unter dem Begriff der LA Screenings werden die jährlich in der letzten Maiwoche von US-Produktionsstudios organisierten Veranstaltungen zusammengefasst, in deren Rahmen etwa 1.500 TV-Einkäufer aus über 70 Ländern nach Los Angeles reisen, um die neuen Piloten der Produktionsstudios zu begutachten und diese gegebenenfalls für das eigene Medienhaus einzkaufen.
Ende Mai war es auch in diesem Jahr wieder soweit – Shopping in L.A. Was gut betuchte Touristen oder Superreiche vor allem mit edlen Mode-Boutiquen verbinden, steht in der Fernsehbranche in einem ganz anderen Kontext. Kurz nachdem nämlich jedes Jahr im Mai die Sender ihre Programmpräsentationen abhalten und Medien oder Fans erste Einblicke ins Line-Up der vergangenen Saison gewähren, sind nämlich die Produktionsstudios selbst am Zug, von denen der Großteil dieser Formate stammt. Die Produktionen, die die Studios zu diesem Zeitpunkt schon meist bei einem US-Sender untergebracht haben, sollen danach nämlich bestenfalls in alle Welt verkauft werden. Dafür wurden die LA Screenings eingerichtet, die jeweils in der letzten Maiwoche stattfinden und in dessen Rahmen sich etwa 2.000 internationale TV-Einkäufer zu Vorführungen nach Kalifornien begeben – natürlich in der Hoffnung der Studios, dass die Senderdelegationen Gefallen an den Formaten finden und zuschlagen.

Die TV-Einkäufer müssen dabei Sitzfleisch mitbringen, denn hier werden die vollständigen Piloten aller feilgebotenen Formate präsentiert. Auch bei den Gesandten der großen deutschen Fernsehsender und Mediengruppen war in diesem Jahr also wieder Konstitution gefragt. Während ARD und ZDF aufgrund der Fülle von Eigenproduktionen eher seltener die dargebotenen US-Produktionen erwerben, kommt den LA Screenings bei der Mediengruppe RTL, ProSiebenSat.1 und auch bei Sky Deutschland eine wesentlich höhere Bedeutung zu, bestreiten die Sender dieser Unternehmen ihr Programm doch zu einem großen Teil mit Fremdproduktionen. Quotenmeter.de sprach mit den Chefeinkäufern der drei Medienhäuser über die zurückliegende Woche in Los Angeles.

Die Serien-Trends: Reboots, Heldendramen, Superpower


Was nicht nur die Sender, sondern auch Fernsehliebhaber und Fans interessiert, sind natürlich Trends, die die LA Screenings mit sich brachten, schließlich könnten inhaltliche Prägungen der gezeigten Piloten schon heute bestimmen, was wir morgen im Fernsehen sehen werden. Rüdiger Böss, Chefprogrammeinkäufer der ProSiebenSat.1-Gruppe, fiel in dieser Hinsicht wieder die seit Jahren wachsende Anzahl an Reboots ins Auge, von denen er unter anderem die «Denver-Clan»-Neuauflage «Dynasty», «SWAT» oder «Roseanne» nannte. Herausragend seien für Böss dabei die ersten Blicke auf die Rückkehr von «Will & Grace» gewesen: „Hier wollte man sofort mehr sehen!“, erklärte der Unterföhringer begeistert.

„Ansonsten ist für die US-Serienmacher Patriotismus angesagt: Gleich mehrere Serien beschäftigen sich mit Sonderkommandos und deren heroischen Einsatz in Kriegsgebieten“, schildert Böss, der unterem die CBS-Formate «Seal Team» und «Valor» oder NBCs «The Brave» nennt. Ganz überzeugt zeigt sich Böss noch nicht von dieser Tendenz zum Kriegerischen: „Hier wird man sehen, ob der Zuschauer die wöchentliche Rettung von Geiseln will oder doch eher Eskapismus sucht.“ Mittlerweile brauche man zudem auch Superpower für all die neuen Superhelden-Serien, die in diesem Jahr mit dem quasi-«X-Men»-Ableger «The Gifted» oder «Black Lightning» (Foto) Zuwachs erhielten. „Und es gibt vermehrte Einsätze von Vibratoren in einigen Dramedies...“, fügt der ProSiebenSat.1-Mann augenzwinkernd hinzu. „Aber ich will ja nicht alles verraten.“

Zu ähnlichen Beobachtungen kommen die Sky- und RTL-Verantwortlichen. Für Marcus Ammon, Senior Vice President Film und Entertainment bei Sky Deutschland, stimmte die Mischung. Es habe kein Genre gegeben, das nicht stattgefunden hätte. In Bezug auf „auffällige Stimmungen“ kam Ammon jedoch zu ähnlichen Beobachtungen wie sein ProSiebenSat.1-Pendant. „Zum einen gab es mehr 'Heldendramen' als sonst, Serien, die die starke Nation thematisieren, sei es im militärischen Kampf gegen den Terrorismus im Ausland oder aber beim Schutz der Bürger gegen böse Übeltäter im Inneren“, beschreibt Ammon seine Eindrücke unter Nennung der von Böss ebenfalls vorgebrachten Formate dieser Couleur. Auch Ammons Eindruck würden immer weitere Superkräfte erfunden, „um immer neue unbesiegbare Superhelden gegen das Böse in der Welt losschicken zu können. Und dann gab es meiner Wahrnehmung nach weniger Krimis als sonst, (nicht nur) der Deutschen liebstes Genre...“

Blick in die Wundertüte: Wo wird’s spannend?


Volume & Output-Deals

Einen Lizenzvertrag, der einem nationalen Anbieter gewisse Rechte an allen Produktionen, die in einem bestimmten Zeitraum von einem Filmproduzenten bzw. Studio produziert werden, sichert, nennt man Output Deal. Solche Deals sind mit dem Risiko verbunden, dass man die Ware auch abnehmen muss, wenn die Titel erfolglos sind. Bei Volume Deals werden Verträge über ein bestimmtes finanzielles Gesamtvolumen abgeschlossen, beeinhalten aber nicht alle Produktionen eines bestimmten Zeitraums.
Die Aussagen klingen in Bezug auf die Militär-Serien einerseits nach Produktionen die den Zeitgeist der Trump-Ära bedienen, mit weiteren Reboots oder Superhelden-Serien erhält der Zuschauer aber auch in gewisser Weise ‚more of the same‘, Trends der jüngeren Vergangenheit scheinen fortgeführt zu werden. Doch wo sind Sie nun, die besonders spannenden Formate? Und wie zufrieden sind die Medienhäuser mit ‚ihren‘ Formaten? Schließlich steht durch Jahre zurückliegende Rechtedeals zumindest im Falle der deutschen Sender meist bereits schon fest, was bei welcher Sendergruppe laufen wird. „In der Tat sind die Programme heute noch über langjährige Verträge den einzelnen Sendern oder Sendergruppen zugeordnet. Die Kolleginnen und Kollegen anderer Sender und wir sehen also hier bei den L.A. Screenings erstmalig, was in der Wundertüte enthalten ist, die wir vorab gekauft haben“, erzählt Jörg Graf, COO Program Affairs der Mediengruppe RTL Deutschland, vom Kuriosum sogenannter Output oder Volumen Deals (siehe Info-Box).

Für RTL seinen dennoch Formate wichtig, die eine breite Zielgruppe bedienen und spannende Charaktere hervorbringen. Ein toller Plot sei nach der Ansicht Grafs auch förderlich, „aber ich bin der Überzeugung, dass die Zuschauer ein feines Gespür dafür haben, ob eine Figur in sich glaubwürdig ist und Emotionalität hervorbringt. Dabei ist uns dann meist ein eher kautziger Detektiv, Arzt oder Anwalt lieber als ein um sich schießender Superheld.“

„Natürlich überlegt man, welche Inhalte in die Positionierung der eigenen Sender-Marken am besten passen: wir interessieren uns im Falle unseres Entertainment-Senders Sky 1 für breite, kommerzielle, Mainstream-orientierte Inhalte, für Sky Atlantic suchen wir durchaus komplexere 'Larger-than-Life-Stories'“, unterscheidet Marcus Ammon zwischen den Anforderungen der neuen Produktionen. Für beide Sender gäbe es Ammons Ansicht nach passende Inhalte aus dem diesjährigen Screenings-Jahrgang.

Konkreter wird es bei Rüdiger Böss von ProSiebenSat.1: „Bei uns stehen ganz klar neue Procedurals im Fokus“, erklärt der Einkäufer-Veteran, der nun schon seit 23 Jahren diese Position für ProSiebenSat.1 ausfüllt. Zu den Serien, die punkten konnten, zählt Böss «Deception» (Foto), „eine Serie über einen jungen Illusionisten, der der Polizei bei Ermittlungen hilft“, außerdem kämen das Medical-Drama «The Resident» von FOX und «Instinct» von CBS "mit einem klasse Alan Cummings" zur Sendergruppe. „Sehr gut haben uns auch die beiden NBC Universal-Dramen «The Brave» und «Rise» gefallen“, führt Böss fort. Und dann gäbe es noch «Siren» von Disney: Hier würde man böse Meerjungfrauen in einer Küstenstadt erleben – „durchaus einer neuer Ansatz für den Aquariumliebhaber!“

Lesen Sie auf der nächsten Seite die Aussagen von RTL, Sky & ProSiebenSat.1 über die neuen Anforderungen der deutschen Fernsehsender an US-Produktionen und die sich wandelnde Bedeutung fremder Inhalte.

The times they are changin‘: Mehr Qualität, weniger Masse?


Die Quotenmeter.de-Gesprächspartner

  • Rüdiger Böss, SVP Group Programming Acquisitions, ProSiebenSat.1 Media AG
  • Marcus Ammon, Senior Vice President Film und Entertainment, Sky Deutschland
  • Jörg Graf, COO Program Affairs, Mediengruppe RTL Deutschland
Alle drei Medienhäuser gehen also auch aus den LA Screenings 2017 mit Zuversicht. Dennoch fanden die deutschen TV-Einkäufer in den vergangenen Jahren nicht die gleiche Situation vor wie einst. Kritisch sieht vor allem Jörg Graf von der RTL-Gruppe die inhaltliche Entwicklung einiger Formate. „Es zeichnet sich zunehmend ab, dass ein Großteil der Formate nicht mehr für europäische Networks geeignet ist“, findet Graf. Die Shows seien oft toll produziert oder verfügten über einen guten Cast, aufgrund der Themen oder der Erzählweise seien sie aber oft wenig für eine wöchentliche Primetime-Ausstrahlung geeignet, so Graf – teilweise auch aus Jugendschutzgründen. „Auch Militärthemen oder Highschool-Umfelder sind seriell für ein europäisches Massenpublikum in der Prime Time selten erfolgreich. Das ist kein deutsches Phänomen. Die Situation ist beispielsweise in Frankreich exakt die gleiche“, beklagt Graf.

„Das Seriengeschäft wird sicherlich schwieriger“, meint auch Böss. Der Zuschauer entpuppe sich immer mehr als untreuer Genosse und das Überangebot an Serien führe mehr und mehr zu Nischenproduktionen. „Die Studios haben diese Bewegung allerdings erkannt, so gab es dieses Jahr schon weniger Piloten als in den Jahren zuvor. In diese Richtung müssen wir weiterdenken: mehr Qualität und weniger Masse.“ Inhaltlich zeigt sich zumindest auch Marcus Ammon angetan „von der qualitativen Vielfalt, dem exzellenten Handwerk und der kreativen Strahlkraft vieler Shows: eskapistische, leicht verdauliche, auf ein breites Publikum abzielende Serien geben sich die Hand mit komplexeren, horizontal erzählten, zum Nachdenken anregenden Geschichten“, so der Sky Deutschland-Mann.

Weg vom Fremden, hin zum Eigenen?


Dass die neuen Produktionen inhaltlich einiges mit sich bringen, wünschen sich natürlich alle der deutschen Einkäufer, Fernsehzuschauer sowieso. Doch die Bedeutung qualitativ hochwertiger und vor allem beim Publikum gefragter Serien variiert bei den Sendern je nach Einsatz von Eigenproduktionen. Über eine nicht ganz so hohe Abhängigkeit von ansprechenden US-Produktionen verfügt beispielsweise RTL. „Die Mediengruppe RTL Deutschland hat immer schon den Großteil der Programm-Investitionen ins Eigenprogramm gelenkt. Wir werden dies auch bei VOX weiter verstärken und auch RTL Nitro erhöht den Anteil redaktionell erstellter Programme“, erklärt Jörg Graf. Dies sei die logische Konsequenz aus den völlig veränderten Marktbedingungen. Zum einen seien heute viel mehr Medienangebote im Markt und die Zeiten, in denen aus einem US-Hit automatisch auch ein europäischer Hit wurde, seien schlichtweg vorüber.

„Wir möchten daher die Inhalte für unser Publikum maßschneidern“, sagt Graf, der Formate wie «Der Lehrer» (Foto) bei RTL oder «Club der roten Bänder» bei VOX als gelungene Beispiele nennt. „Auch benötigen wir die Inhalte auf unseren Sendern und Plattformen exklusiv. Eine Serie, die vor oder nach TV Ausstrahlung bereits im linearen Pay-TV oder auf einer SVOD Plattformen angeboten wird, verliert für die Zuschauer und damit auch uns als Sender immer mehr an Relevanz“, beschreibt Graf die veränderten Anforderungen aufgrund des sich stetig wandelnden Markts. Daher würde in Zukunft wahrscheinlich weniger klassische Output oder Volume Deals zustande kommen, sondern mehr „a la carte“-Einkäufe. Die Studio-Deals sehe Graf allerdings gar nicht kritisch, hätten sie RTL doch jahrelang einen tollen Erfolg beschert. „In einem veränderten Medienmarkt mit völlig anderem Nutzungsverhalten müssen wir uns schlichtweg anpassen.“ Man werde weiterhin US-amerikanisches TV in Deutschland anbieten, dies aber vielleicht nicht mehr in der Menge, wie es noch vor 10 Jahren der Fall war und auch zu anderen Konditionen, erklärt Graf.

Bei Sky Deutschland nahmen im Zuge des Sky1-Launches die Eigenproduktionen deutlich zu, dementsprechend sieht auch Marcus Ammon einen starken Bedeutungszuwachs lokaler und pan-europäischer Eigen- und Koproduktionen. „Dennoch freuen wir uns auch dieses Jahr wieder auf Serien aus der Traumfabrik, die mit universellen Themen, einem unangefochten hohen Production Value und spannenden Storylines auch ein deutsches Publikum in ihren Bann ziehen werden“, relativiert Ammon. Wie so oft im Leben mache es die Mischung.

Einen größeren Anteil als beispielsweise bei RTL kommt bei ProSiebenSat.1 US-Produktionen zu. Diese werden weiterhin ein wichtiger Programmbaustein sein, wie Böss bestätigt: „Wir werden auch weiterhin in hochwertige internationale Programme investieren. Es freut uns, dass die Zuschauer inzwischen wieder mehr gut gemachte deutsche Serien schauen. Aus meiner Erfahrung lassen sich deutsche Programme allerdings oft schlechter wiederholen.“ Daher sei und bleibe ein guter Mix aus US- und deutschen Produktionen essentiell für ProSiebenSat.1.

Fest steht: Die LA Screenings sind heute eine deutlich andere Veranstaltung als noch vor einigen Jahren, aber nicht minder spannend. Durch neue Arten von Deals sehen die deutschen Medienhäuser zwar dieser Tage in Kalifornien nur, was sie ohnehin schon erworben haben, diese Situation könnte sich aber bereits in den kommenden Jahren ändern. In jedem Fall kommt den US-Produktionen, deren Piloten die Einkäufer von RTL, ProSiebenSat.1 oder Sky Deutschland bei den LA Screenings erstmals zu sehen kriegen, noch immer eine hohe Bedeutung zu, bestreiten doch die deutschen Sender immer noch große Teile ihres Programms damit. Durch die sich stetig wandelnden Marktbedingungen könnten sich der Stellenwert der Veranstaltung in den kommenden Jahren jedoch massiv ändern. Die Sender müssen daher wachsam bleiben, um auch in Zukunft die aus ihrer Sicht optimale Programmstrategie zu verfolgen.
30.05.2017 10:50 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/93465