Shonda-Blues: ABC-Donnerstag vor ungewisser Zukunft

Die Shonda-Rhimes-Produktionen um «Grey’s Anatomy» sind für ABC am Donnerstag eine Instanz. Die vergangene Saison zeigte jedoch, dass bei ABC schon bald ein Umdenken stattfinden muss.

In einer Zeit kontinuierlich sinkender Zuschauerzahlen ist es für die US-Sender wichtiger denn je, auf verlässliche Quotenbringer bauen zu können. Zum Glück, wird ABC vor einigen Jahren gedacht haben, hat man mit Autorin und Produzentin Shonda Rhimes ja schon längst eine wahre Allzweckwaffe gefunden, die regelmäßig neue Hits produziert. Während in der jüngeren Vergangenheit neue Formate kommen und gingen, wie es im Fernsehen nun mal so üblich ist, blieb eines bestehen: Die Shonda-Rhimes-Sendestrecke am Donnerstagabend, die dem Network Jahre lang großartige Werte einbrachte. Im Rahmen seiner Programmpräsentation bestätigte ABC, das der Shonda-Donnerstag um «Grey’s Anatomy», «Scandal» und «How to Get Away with Murder» auch kommende Saison fester Bestandteil des Line-Ups sein wird. Angesichts der jüngsten Quoten muss sich ABC jedoch die Frage gefallen lassen, ob diese Entscheidung richtig war.

Shonda-Donnerstag: Was ist übrig vom Glanz vergangener Tage?


Die vergangene Saison brachte nämlich erstmals ernste Zweifel an der Zukunft dieser Sendestrecke, die, und das steht mittlerweile fest, schon nach der kommenden Saison nicht mehr so auflaufen kann. Während «Grey’s Anatomy», das nun schon seit 2005 auf Quotenfang für ABC geht, langsam ganz natürliche Altersschwächen aufweist, lassen auch die wesentlich jüngeren Formate «Scandal» (seit 2012) und «How to get Away with Murder» inzwischen Wünsche offen. Dabei liest sich die Vergangenheit dieser Formate so rosig: Durchschnittlich 19,44 Millionen Zuschauer unterhielt «Grey’s Anatomy» beispielsweise einst in seiner zweiten Staffel. «Scandal» stellt unterdessen immer noch eines der beliebtesten Formate in den Sozialen Medien dar und gewann innerhalb seiner ersten vier Staffeln kontinuierlich Zuschauer hinzu. «How to Get Away with Murder» stellte zu seiner Premiere im September 2014 einen neuen Rekord in Sachen zeitversetzter Abrufe auf und war damals der zweitbeste Neustart der Saison. Doch was ist von den früheren Erfolgen dieser Tage noch übrig?

Während «Scandal» erst im neuen Jahr mit seiner nunmehr sechsten Staffel an den Start ging, feierten «Grey’s Anatomy» und «How to Get Away with Murder» schon am 22. September 2016 ihre Staffelpremieren der jüngsten Seasons. Die Gegebenheiten der beiden Formate unterschieden sich dabei massiv: «Grey’s Anatomy» startete wie gehabt im 20 Uhr-Slot und musste sich dort erst gegen Football, später gegen «The Big Bang Theory» auf CBS beweisen, während die restliche Konkurrenz kaum Probleme machte. «How to Get Away with Murder» ging unterdessen jeweils um 22 Uhr auf Sendung und musste das Beste aus dem Neustart «Notorious» machen, der sich als Flop herausstellen und nach einer Staffel abgesetzt werden sollte. Nach dem schwachen Lead-In belegte das Legal Drama um Viola Davis somit schon früh den dritten und letzten Rang im 22 Uhr-Slot.

«Grey’s Anatomy»: Der unverzichtbare Quoten-Juggernaut


So liefen die vergangenen «Grey's Anatomy»-Staffeln

  • Staffel 11: 11,57 Mio.
  • Staffel 12: 11,20 Mio.
  • Staffel 13: 10,88 Mio.
Zuschauer ab 2 / Live + DVR
Trotz seines langen Runs und der mittlerweile dreizehnten Staffel, liefert «Grey’s Anatomy» im Donnerstags-Dreigespann noch immer die besten Zahlen. Das Format gilt als absolutes Fernseh-Phänomen, als unverwüstlicher „Juggernaut“, wie Formate dieser Art in den USA auch genannt werden. Trotz des in Fernsehjahren methusalemischen Alters standen hinter der Verlängerung des Medical Dramas die geringsten Fragezeichen. Zwar büßte «Grey’s Anatomy» insgesamt erneut Zuschauer ein und kam in 24 Episoden zwischen dem 22. September 2016 und 18. Mai 2017 auf durchschnittlich 10,88 Millionen Interessenten, vor allem bei den jungen Zuschauern verfügt «Grey’s Anatomy» aber noch immer über eine außerordentliche Konstanz.

Während am US-Donnerstag «The Big Bang Theory» die erste Adresse für Comedy-Liebhaber darstellt, scheint «Grey’s Anatomy» also nach wie vor die Anlaufstelle schlechthin für alle Drama-Fans zu sein. Dies brachte der Serie Saisonplatz neun in der Zielgruppe ein, wo die Serie um Ellen Pompeo nur etwa sieben Prozent seiner Zuschauer des Vorjahres verlor und noch immer auf über acht Prozent Marktanteil pro Folge kommt. Für ABC bleibt «Grey’s Anatomy» daher unverzichtbar, findet sich in der Arztserie doch das bei jungen Leuten beliebteste Format des Senders und das drittbeliebteste Drama überhaupt im US-Fernsehen.


«How to Get Away with Murder»: Abhängigkeit vom Lead-In


So liefen die vergangenen «How to Get Away with Murder»-Staffeln

  • Staffel 1: 11,40 Mio.
  • Staffel 2: 10,26 Mio.
  • Staffel 3: 7,91 Mio.
Zuschauer ab 2 / Live + DVR
Anders sieht die Lage für «How to Get Away with Murder» aus, das seit seiner ersten Staffel deutliche Verluste verzeichnete, die schwer wiegen. Die junge Historie des Thriller-Formats kommt daher einer regelrechten Talfahrt gleich. Zur Premiere 2014 schalteten noch 14,12 Millionen Zuschauer ein, das Format galt als heißester Anwärter für den Titel des beliebtesten Neustarts der Saison. Letztlich schauten im Durchschnitt, zeitversetzte Abrufe miteingerechnet, 11,40 Millionen Personen im Rahmen der ersten Staffel zu –und FOX‘ stellte mit «Empire» den besten Programm-Newcomer.

Spätestens zu Beginn der jüngsten Saison stellte sich bei ABC schnell Ernüchterung ein. Hinter dem schwachen Neustart «Notorious» hatte «How to Get Away with Murder» hart zu kämpfen, um das Beste aus seinem schwächelnden Vorlauf zu machen. Letztlich fiel die durchschnittliche Gesamtzuschauerzahl von besagten 11,40 Millionen Personen nach moderaten Verlusten in Staffel zwei auf nun noch 7,91 Millionen Interessenten, die das Emmy-prämierte Format linear und zeitversetzt unterhielt. Schon in Staffel drei reihte sich «How to Get Away with Murder» also im quotentechnischen Mittelfeld der ABC-Formate ein und erst am Ende der neuen Staffel stellte sich Besserung für die Serie ein, als «Scandal» auf den 21 Uhr-Sendeplatz vor «How to Get Away with Murder» zurückkehrte.


«Scandal»: Wichtiges Puzzlestück, trotz deutlicher Verluste


So liefen die vergangenen «Scandal»-Staffeln

  • Staffel 4: 12,66 Mio.
  • Staffel 5: 10,68 Mio.
  • Staffel 6: 8,16 Mio.
Zuschauer ab 2 / Live + DVR
Sowohl «Grey’s Anatomy» als auch «Scandal» und erst recht «How to Get Away with Murder» hatten in der vergangenen Saison Verluste zu verkraften – mal mehr, mal weniger. Dass der ABC-Donnerstag seine Stärke, die ihn in den vergangenen Jahren auszeichnete, durch die Kombination dieses Trios bezieht, zeigte sich zum Comeback von «Scandal» am 26. Januar, das mit seinen 16 Episoden ABC wieder ein ums andere Mal auf Rang eins am Donnerstagabend führte – ein Ergebnis, das allein durch die Strahlkraft von «Grey’s Anatomy» dieser Tage nicht mehr möglich ist.

Mühelos übertraf «Scandal» die enttäuschenden Zahlen seines 21 Uhr-Vorgängers «Notorious», tatsächlich nahmen aber auch im Falle der Kerry Washington-Zuschauer wieder viele Zuschauer Reißaus. Auf durchschnittlich 8,16 Millionen Zuschauer kam «Scandal» inklusive zeitversetzter Sichtungen in seiner 16-teiligen sechsten Staffel letztlich. Das sind knapp 2,5 Millionen Personen weniger als in Staffel fünf und sogar etwa 4,5 Millionen weniger als in Season vier. Von Platz acht der beliebtesten Fernsehformate nach Staffel vier stürzte die Politthriller-Serie damit auf Rang 39 ab. In der Zielgruppe fielen die Verluste sogar noch deutlicher aus – 31 Prozent weniger Zuschauer als noch in der fünften Staffel schalteten aus der Altersgruppe der 18- bis 49-Jährigen ein, das ergab meist noch fünf Prozent Marktanteil.

Shonda-Strecke ohne Zukunft?


Obwohl der ABC-Donnerstag mit «Grey’s Anatomy» und «Scandal» immer noch zwei der drei beliebtesten Formate des Networks beheimatet, hat die Shonda Rhimes-Sendestrecke keine lange Zukunft mehr beim Sender. Zum einen aufgrund der stetig sinkenden Zuschauerzahlen, sowohl insgesamt als auch beim jungen Publikum. Zum anderen weil «Scandal» in der kommenden Saison seine letzte Staffel bestreiten wird, die wohl erneut kürzer ausfällt als zuletzt. Rhimes erachtet die Serie, die inhaltlich mit schnellerem Tempo voranschreitet als andere Dramen, dann als auserzählt.

Die Saison 2016/2017 zeigte, dass hierin eine große Gefahr für das Network liegt, weshalb sich einige Beobachter die Frage stellen, ob ein erneutes Aufgebot im Shonda-Dreierpack auch 2017/2018 Sinn macht. Hierbei hätte ABC schon deutlich früher oder spätestens in der kommenden Saison die Zeit nutzen sollen, um im 21 Uhr-Slot ein ähnlich zukunftsträchtiges Format wie «Scandal» aufzubauen. Der Misserfolg des auch inhaltlich schwach besprochenen «Notorious» um diese Uhrzeit fiel klar zu Lasten des Follow-Ups «How to Get Away with Murder». Nicht unwahrscheinlich, dass nach dem freiwilligen «Scandal»-Ende also auch «How to Get Away with Murder» eine Absetzung ereilt – dann allerdings unfreiwillig. So würde vielleicht schon bald nur noch das unverwüstliche «Grey’s Anatomy» am Donnerstag einsam vor sich hinsenden.
30.05.2017 19:01 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/93466