Michael Bracher: 'Wir wollen mit DAZN jetzt auch in die Stadien'

Die erste Fußballsaison mit DAZN ist vorbei. Mit dem für das Programm verantwortlichen Michael Bracher ziehen wir Bilanz. Er spricht mit uns über seine bisher größte berufliche Herausforderung, Schweiß und Tränen im Oktober, Vor-Ort-Berichterstattung und die Bedeutung der Champions League für den Dienst.

Zur Person: Michael Bracher

Michael Bracher ist bei DAZN "Head of Programming" und gilt als Spezialist für den Aufbau und die Führung des Redaktions-, Kommentatoren- und On-Air-Promotion-Teams . Die über 100 Mann starke Redaktion wird am Produktionsstandort München-Ismaning für DAZN arbeiten. Bracher war schon für die erfolgreiche Markteinführung der IPTV-Plattform "LIGA total!" mitverantwortlich und zuvor in leitender Funktion bei Sat1, Sport1/DSF sowie zuletzt bei ServusTV tätig.
Die erste Spielzeit der Premier League ist vorbei. Welches Fazit lässt sich denn vom Ligafußball ziehen? Chelsea ist überlegen Meister geworden, Guardiola hatte Probleme. Sind das die zwei wichtigsten Erkenntnisse?
Mein Fazit ziehe ich aus zwei Sichtweisen: Für DAZN war die erste Spielzeit der Premier League extrem spannend, mit vielen Höhen aber auch Tiefen versehen und eine der größten Herausforderungen, vor denen auch ich persönlich jemals gestanden bin. Positiv war mein Team, das einen Megajob in den letzten 10 Monaten gemacht hat. Alle. Vom Prakti bis zum Experten. Negativ war unser Black-Out im Oktober, der für uns eine Extremsituation war und viel Blut, Schweiß und Tränen gekostet hat.

Sportlich war es eine sehr anständige Saison mit vielen interessanten und spannenden Spielen. Natürlich war Chelsea überragend und hat es so geschafft die Spannung im Titelrennen niedrig zu halten. Umso mehr war denn der Aufstiegskrimi mit Huddersfield und David Wagner ein absoluter Thriller und Spannungshöhepunkt zum Ende der Saison.

Wir freuen uns besonders über das Feedback von Fußballfans, die es einfach nur geil finden, dass Sie die Möglichkeit haben solche Spiele bei uns live zu sehen.

DAZN hat alle Spiele ausführlich begleitet. Welches Fazit ziehen Sie zu den Übertragungen? Welche Dinge, die Sie sich überlegt haben, funktionierten gut, was muss nochmal auf den Prüfstand?
Wie schon gesagt, das wichtigste Fazit ist, dass wir in kurzer Zeit ein cooles Team aus echten Fachleuten und guten Typen zusammenstellen konnten. Das Feedback der Fans, die sich bei uns über die Qualität der Infos bedanken, ist für uns wie ein Ritterschlag.

Auf dem Prüfstand stehen wir täglich – denn wer aufhört besser zu werden, hört auf gut zu sein. Es gibt noch genügend Stellschrauben, an denen wir drehen wollen.

Was können Sie uns auch über die Abrufe sagen? Gibt es denn einen „Lieblingsverein“ der Deutschen? Bei Sky war natürlich Liverpool zuletzt besonders gefragt…
Sie wissen ja – über Zahlen sprechen wir nicht. Aber es ist kein großes Geheimnis, dass die großen Clubs und jene mit deutscher Beteiligung bei den Fans einfach mehr Interesse genießen. Aber auch die sogenannten „Kleineren“ haben Ihre Stammseher. Das sollte man nicht unterschätzen.

Letztlich kommt es dann auch auf die Situation in der Tabelle an. Und lachen Sie mich nicht aus: Wenn es das erste Mal nach dem Winter einen richtigen sonnigen Tag gibt und die Menschen Bock haben, selber in die Natur raus zu gehen, dann merken wir das auch. Gut, dass man DAZN auch mal schnell unterwegs am Handy gucken kann.

In anderen Ligen hat DAZN inzwischen seine Strategie geändert. Nicht mehr alle Spiele werden angeboten, einige Spiele werden auch mit geringerem Aufwand begleitet. Sind Spiele des 15. gegen den 17. aus Frankreich dann doch zu sehr Nische?
Wir haben unsere Strategie nicht geändert. Uns war von Anfang an klar, dass bei 8000 Events im Jahr nicht jedes Spiel mit Kommentator, Experten, Moderator und einem ganzen Team im Hintergrund bestritten werden kann. Wir versuchen möglichst viele Spiele durch unsere Produktion zu lokalisieren – und natürlich betrachten wir dazu die Ausgangslage und schätzen diese journalistisch ein.

Das Schöne bei DAZN ist aber, dass wir ein Spiel auch mal einfach nur „durchstecken“ können. Wenn wir keine personellen Ressourcen mehr für den 15. gegen den 17. in Frankreich haben, müssen Fans bei uns trotzdem nicht auf das Spiel verzichten. Wir schalten die Partie als „Basic“-Signal durch. Ich bin mir sicher, dass Fans von nischigeren Sportarten das sehr zu schätzen wissen.

Für mich ist es eher so, dass wir einen Grand Prix fahren. Und unsere Rundenzeiten sind schon sehr ambitioniert. Aber wir wollen uns auch noch den Rundenrekord holen.
Michael Bracher, Head of Programming von DAZN
Für Sie war es zu Beginn ja gar nicht so einfach, eine derartige Anzahl an Reportern, Kommentatoren, Experten etc zusammenzustellen. Auf dem Weg, den man als Neuling zu gehen hat: Wo sehen Sie sich? Noch am Aufstieg, oder schon das Gipfelkreuz in Reichweite?
Ich glaube ein Berg ist das falsche Bild, denn ein Berg hat einen absoluten Gipfel – also ein Ende der Entwicklung. Für mich ist es eher so, dass wir einen Grand Prix fahren. Und unsere Rundenzeiten sind schon sehr ambitioniert. Aber wir wollen uns auch noch den Rundenrekord holen – und wenn wir das schaffen sollten, dann versuchen wir sofort ihn zu unterbieten.

Wenn wir hier auch mal auf andere Sportarten blicken: Im Eishockey haben Sie unter anderem Max Waitl geholt. Der aber war nie im Spitzen-Eishockey unterwegs. Muss man das gar nicht sein, um einen guten Experten abzugeben?
Immerhin war Max Waitl Junioren-Nationalspieler und kennt sich in der Szene verdammt gut aus. Unter anderem ist er in engem Kontakt mit vielen Stars der Szene, unter anderem mit den jetzigen NHL Spielern Tobias Rieder und Tom Kühnhackl, weil er mit ihnen in Landshut in der Jugend zusammen gespielt hat. Aber wir haben auch die "großen Jungs" wie Männix Wolf und Harry Birk. Aber was macht einen guten Experten aus? Dinge zu sehen, die andere nicht sehen, reicht noch nicht – man muss dieses Wissen auch noch vermitteln können. Muss ein Experte sympathisch sein, soll er polarisieren? Das ist Geschmackssache.

Wir experimentieren sehr gerne mit neuen Zugängen und wir haben die Erfahrung gemacht, dass neue Konstellationen oft einen ganz neuen, interessanten Blick auf Sportereignisse aufmachen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Fans ja selber auch sehen, ob ein Ball über der Linie war oder nicht. Das interessante ist doch im Sport, welche Meinung unterschiedliche Menschen zu ein und demselben Sachverhalt haben.
Michael Bracher, Head of Programming von DAZN
Wir experimentieren sehr gerne mit neuen Zugängen und wir haben die Erfahrung gemacht, dass neue Konstellationen oft einen ganz neuen, interessanten Blick auf Sportereignisse aufmachen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Fans ja selber auch sehen, ob ein Ball über der Linie war oder nicht. Das Interessante ist doch im Sport, welche Meinung unterschiedliche Menschen zu ein und demselben Sachverhalt haben.

Für uns ist wichtig: Ein Experte muss vom Charakter her zu uns passen, er muss Bock auf DAZN und Sport haben, er muss eine Meinung haben und er muss ein Teamplayer sein.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die Bilanz der Eishockey-Heim-WM, die DAZN aber nicht vor Ort in Köln hat kommentieren lassen, sondern von München aus. Und: Wie wichtig sind einzigartige Stimmen für DAZN?


Wir arbeiten schon aktuell sehr stark daran, immer mehr vor Ort zu sein. Wir wollen mit DAZN auch in die Stadien gehen.
Michael Bracher, Head of Programming von DAZN
Um mal bei der Heim-WM zu bleiben, die Sie ausführlich gezeigt haben. Sie haben die Spiele von München aus begleiten lassen, so wie Sie es auch bei internationalem Fußball tun. Warum waren Sie nicht direkt im Stadion, warum gab es auch keine Live-Interviews vor Ort im Stream?
Wenn das Leben ein Wunschkonzert wäre, würden wir überall Live vor Ort sein und alle Spieler jederzeit zum Interview bitten. Die Realität sieht anders aus: Da geht es um technische Machbarkeit, Ressourcen, Manpower, Gegebenheit vor Ort und vieles mehr.

Aber ja: Wir arbeiten schon aktuell sehr stark daran, immer mehr vor Ort zu sein. Wir wollen mit DAZN auch in die Stadien gehen.

Ist ein solcher Service, nämlich die Kommentatoren und eventuell Reporter auch mal ins Stadion zu schicken, damit diese die Live-Atmosphäre schnuppern können, für die nächsten Monate mal geplant?
Wir setzen viel daran, live vor Ort zu sein – und in diese Richtung arbeiten wir auch in den kommenden Monaten. Wir sind mittlerweile regelmäßig bei Premier League spielen vor Ort – v.a. Jürgen Klopp war schon oft bei uns zu hören, wir waren aber auch live bei „El Clasico“, beim Superbowl, zuletzt beim Aufstieg von Huddersfield oder auch bei der kompletten Turnierwoche des Tennis WTA Turniers in Stuttgart.

Mich persönlich erinnern Vor-, Zwischen und Nachberichte ja manchmal ein bisschen an Videospiele. Auch da werden Tafeln mit Musik unterlegt etc. Ist das eigentlich gewollt?
(lacht laut)
Wenn Sie damit meinen, ob wir die Fans bewusst an Videospiele erinnern wollen? Nein, das ist nicht unser vorrangiges Ziel. Aber Musik ist Emotion und Unterhaltung. Und beides wollen wir transportieren. Ganz ehrlich: Musik auf Grafiken kenne ich seit 20 Jahren im TV.

Wenn ein Freelancer sich durch den guten Job, den er macht, mehrere Arbeitgeber erarbeitet hat, dann ist es nicht unsere Philosophie, jemanden mit Geld zuzuschütten und ihm die Arbeit für andere zu verbieten.
Michael Bracher, Head of Programming von DAZN
Wie wichtig sind Ihnen eigentlich einzigartige Stimmen am Mikrofon? Da gibt es ja durchaus unterschiedliche Ansichten. Sky etwa will seine Leute exklusiv haben, Ihre Kommentatoren arbeiten teils noch für zwei oder drei andere Sender…
Mir geht es in erster Linie darum, dass das Team gut funktioniert und die Chemie stimmt. Natürlich holen wir Leute, die gut zu uns passen auch gerne näher an DAZN heran. Aber das ist doch ein Geben und Nehmen. Wenn ein Freelancer sich durch den guten Job, den er macht, mehrere Arbeitgeber erarbeitet hat, dann ist es nicht unsere Philosophie, jemanden mit Geld zuzuschütten und ihm die Arbeit für andere zu verbieten.

Welche Lehren ziehen Sie generell daraus? Die zweite Saison klopft ja schon an die Tür. Werden Sie Generelles ändern, neue Ideen bereithalten?
Die Fahrtrichtung stimmt – besser können wir aber in allen Bereichen werden. Das ist uns sehr bewusst. Und neue Ideen gibt es eine ganze Menge. Alleine die Highlight-Clips für Bundesliga und 2. Bundesliga, die wir ab Sommer schon 40 Minuten nach Abpfiff zeigen können, ist ein großes Projekt für uns. Da sind kreative Ideen gefragt und ich finde, dass wir hier gerade ein paar ganz coole Sachen entwickeln.

Ein großes Thema für 2017 wird sein, dass Sie ab Ende Juli auch die Bundesliga anbieten dürfen – anders als bisher (Stichwort Zusammenarbeit mit BILD) die Clips selbst herstellen. Schon im August hieß es damals von DAZN, dass man die Clips anders aufbereiten möchte. Wie sieht die Marschroute hierfür aus? Ist es denn geplant, auch neue Stimmen zu verpflichten? Sky etwa hat sein Team ja schon aufgerüstet…
Wie schon gesagt, wir arbeiten an neuen Formaten – denn wir wollen den Fans auf DAZN ein neues Angebot machen. Etwas, das einen echten Mehrwert darstellt. Grundsätzlich haben wir dazu auch schon ein super Team beisammen, aber für ambitionierte und gute Leute stehen bei uns die Türen immer offen. Lassen Sie sich überraschen! (grinst)

Anknüpfend daran, dass DAZN ja für die Champions League und Europa League mitgeboten
hat. Würden Sie denn im Falle eines Zuschlags etwas an Ihrem aktuellen Rahmenberichterstattungs-Konzept ändern? Also auch Studiosendungen machen, umfangreiche Interviews auch vor Ort anbieten?

Ich möchte nicht über ungelegte Eier sprechen. Fakt ist, wenn wir tatsächlich die Champions League auf DAZN hätten, wäre das eine Riesensache für uns. Wenn nicht, dann wäre es meiner Meinung nach auch kein Beinbruch, da wir noch ein junger, neuer Player auf dem Markt sind.

Michael Bracher, Dankeschön - und so man das angesichts der anstehenden Aufgaben überhaupt sagen kann: Einen ruhigen Sportsommer.
10.06.2017 12:00 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/93683