Popcorn und Rollenwechsel: Trump, Wonder Womans unheimlicher Unterstützer

Der Präsident der USA ist nicht nur ein unfähiger Egomane, sondern zudem ein großer Einfluss auf den Massengeschmack seines Volkes.

Der Wirtschaftstrend im US-Blockbusterkino geht in Richtung Ausland. «Guardians of the Galaxy Vol. 2» erzielte 55 Prozent seines Einspielergebnisses abseits der USA und Kanada, «Die Schöne und das Biest» generierte im Frühjahr 2017 rund 60 Prozent seiner Einnahmen außerhalb des Heimatmarktes, «Logan – The Wolverine» sogar 63 Prozent, «Fifty Shades of Grey – Gefährliche Liebe» etwa 70 Prozent und «Fast & Furious 8» sogar zirka 82 Prozent. Doch ein kostspieliger Kassenschlager lässt wieder einstige Verhältnisse an den Kinokassen aufleben: «Wonder Woman».

Wer viel in den vor allem vom US-Diskurs geprägten, filmzentrischen Ecken des Internets unterwegs ist, könnte fast glauben, die DC-Comicadaption sei ein Weltphänomen, wie es im Buche steht. Und mit mehr als 700 Millionen Dollar Einspielergebnis auf dem Buckel würde wohl niemand «Wonder Woman» aberkennen, ein stattlicher Erfolg zu sein. Dennoch: Wenn sich schon «Pirates of the Caribbean – Salazars Rache» und «Fast & Furious 8» trotz global zufriedenstellender Zahlen in zahlreichen Artikeln US-basierter Portale gefallen lassen müssen, als Flops analysiert zu werden, bloß weil sie in Nordamerika unter den Erwartungen laufen … Tja, dann muss «Wonder Woman» nun das Gegenteil über sich ergehen lassen. Selbst wenn das die Amazone gewiss kein Stück jucken wird.

Von den rund 700 Millionen Dollar, die «Wonder Woman» bisher generiert hat, kommt fast die Hälfte aus Nordamerika: 346,1 Millionen Dollar. Dort ist «Wonder Woman» somit der bislang erfolgreichste Film des bisherigen DC-Filmuniversums und steht auf Rang drei der Jahrescharts. Obwohl sich die Produktion bereits in ihrer fünften Kinowoche befindet, räumt sie weiter an den US-Kassen auf. In Frankreich hält sich «Wonder Woman» ebenfalls recht gut, ist mit 1,6 Millionen verkauften Tickets dennoch bislang nur auf Rang 16 der Jahresbestenliste zu finden. In Russland indes zeigt man vergleichsweisey wenig Interesse an «Wonder Woman»: Allein schon das Startwochenende von «Transformers – The Last Knight» war erfolgreicher, und selbst der so oft geschundene Abenteuerfilm «Die Mumie» generierte bei den Russen wesentlich mehr als «Wonder Woman».

In Deutschland wiederum sprechen aktuelle Prognosen davon, dass «Wonder Woman» wohl irgendwo zwischen 700.000 und 800.000 Besuchern landen wird – als Gesamtergebnis. Das wäre Rang 18 oder 19 der bisherigen Jahrescharts. Wo dieser so arge Unterschied herrührt? Ich tippe auf enorme kulturelle und zeitgeistliche Differenzen.

Dass zwischen der realen Politik und der Popkultur Wechselwirkungen bestehen, dürfte sich schwer abstreiten lassen. Die US-Kriegsfilme der 40er-Jahre waren ganz anders als jene, die während des Vietnamkriegs entstanden sind. Vor dem 11. September 2001 gab es deutlich mehr Actionfilme in alltäglichen Großstadtsettings, die davon handelten, dass Terroristen aufgehalten werden müssen, als heutzutage. Und in den USA regiert derzeit ein eitler, alter Mann mit rückständigem Weltbild, massivem Ego und geringer Bildung, der keine Ahnung von dem hat, was er tut. Was immer mehr seiner Untertanen, äh, Bürger bemerken – laut Gallup finden aktuell nur 38 Prozent der US-Bevölkerung, dass Trump gute Arbeit leistet. Das macht ihn zu einem der unpopulärsten US-Präsidenten der Geschichte.

Man denke sich in den Alltag der US-Amerikaner hinein. Jeden Morgen werden sie mit den neusten Twitter-Meckermonologen ihres Präsidenten konfrontiert, neuen Skandalen, neuen Beschimpfungen, neuen Beweisen seiner Unfähigkeit. Und dann kommt da ein Film daher, inszeniert von einer Regisseurin, der von einer Frau handelt, die ihr Leben lang dafür trainierte, im Kampf zu dienen. Und nachdem ihr in einer patriarchalen Welt wiederholt gesagt wurde, es sein zu lassen, geht sie sehr wohl an die Front – und obsiegt in einer ohne jeglichen Anflug von Ironie daherkommenden, dramatischen Schlüsselszene. Wie befreiend muss es sein, sich für wenige Filmminuten in eine solche Welt zu träumen, wo eine Frau mit Übung und Vorbildung eine wichtige Aufgabe übernimmt. Ach, hätten wir doch lieber Clinton statt dieses möglicherweise senilen, orangefarbenen Klumpen Mann als Dienerin des Staates …

Es würde ihn möglicherweise ins Grab bringen, wenn man es ihm verständlich erklären könnte, aber: Ja. Donald Trump hat «Wonder Woman» so erfolgreich gemacht. Damit soll Patty Jenkins, die Regisseurin des Films, nicht beleidigt werden – ihre Inszenierung traf ganz offensichtlich den Nerv der Menschen und ist damit ebenfalls für den Erfolg des Superheldinnenabenteuers verantwortlich. Aber Trump gießt das Öl ins Feuer, packt den Tiger in den Tank, macht die Krawatte erst so richtig lang. Er beförderte einen potentiellen Erfolg in die Sphären eines kulturellen Phänomens.

In Deutschland wiederum, einem der magersten «Wonder Woman»-Märkte, geht obig beschriebener Katharsiseffekt nicht auf. Wer sitzt schon im Kinosaal, sieht Gal Gadot in Amazonenausrüstung ordentlich austeilen, und denkt: "Ohja, hätten wir doch auch nur eine Frau an unserer Spitze – ich habe genug von den ewiggleichen, dicken, alten, eingefahrenen, weißen Männern!"? Frankreich derweil übernimmt in meinem Vergleich eine mittlere Position: Dort kommt der Film besser an als in Deutschland, aber schwächer als in den USA. Und politisch? Da ist man dank Macron aktuell stabil aufgestellt. Aber, nur zur Erinnerung: 33,9 Prozent der Franzosen stimmten in der Stichwahl rechtspopulistisch ab – also hat die diesem Gedankengut widersprechende Mehrheit durchaus mehr im Kino zu absolvierenden Weltfluchtbedarf als das hiesige Publikum.

Und Russland? Tja, Russland ist der Gegenentwurf zu den USA – auch dort regiert eine fragliche Person, genießt aber mehr Rückhalt in der Bevölkerung. Also gibt's dort auch dort keinen Katharsiseffekt – nur aus einem völlig anderen Grund als in der Bundesrepublik.

Vielleicht ist meine These auch nur das Erzeugnis eines wirren Geistes. Dann tut es mir leid. Aber, hey, ich kann damit noch immer Politiker werden. Juche!
03.07.2017 19:46 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/94165