Berlin, Berlin – ich will nicht nach Berlin! Deutsche Filmmacher fixieren sich so sehr auf die Bundeshauptstadt, dass es längst zum Berlin Overkill gekommen ist.
Schon 2010 hielten Kraftclub fest: "Ich will nicht nach Berlin!" Geholfen hat der musikalische Bremsklotz am Berlin-Hypetrain leider nicht. In den vergangenen sieben Jahren schaukelte sich die Begeisterung um die Stimmung und das Lebensgefühl in der Bundeshauptstadt dermaßen hoch, dass es einem mittlerweile aus allen Richtungen entgegenbrüllt: "Yeah! Berlin ist so geil! Wir hier sind so hip und anders und so krass und so voll zukunftsweisend und weltoffen und so megakrass und, woah, wir tun jetzt schon Dinge, die wird der rückschrittliche Rest der Republik erst in drei Jahren übernehmen, so hip und krass sind wir, boah!"
Vor allem das deutsche Kino hat derzeit einen massiven Ständer für Berlin. «Victoria», «Immigration Game», «Berlin Rebel High School», «Tiger Girl», «Tigermilch», «Berlin Falling», «Fucking Berlin», «Berlin Syndrom», «Axolotl Overkill» und viele, viele mehr. Sorry, liebe Berliner und Berlin-Fans: Langsam ist's genug. Wir haben es verstanden. Ja, ihr findet, Berlin ist die geilste Stadt der Welt und ihre Bewohner sind das originellste, modernste, frechste, tollste Völkchen überhaupt. Aber gerade ihr Anti-Mainstream-Pro-Originalitäts-Fanatiker, die 328 Burgerbuden, 109 Barber Shops und 98 Hutgeschäfte eröffnet habt und damit so krass anders seid als die dumme graugleiche Masse, müsstet doch wissen: Wenn alle es machen, ist es scheiße. Und aktuell gehen alle auf Berlin ab.
Damit will ich nicht einmal (zwangsweise) auf Berlin draufhauen. Sondern darauf, dass das Überangebot nervt – und das deutsche Film-Storytelling leidet unter diesem Zustand. Die Wahl des Handlungsortes hat nämlich Einfluss auf die Geschichte – im positiven Sinne wie im negativen. Sebastian Schippers «Victoria», die Geschichte einer Partynacht, die eine kriminelle Wende nimmt, kann mit dieser Natürlichkeit nur in Berlin glaubhaft passieren – es ist einer dieser Fälle, wo Berlin eine hervorragende Wahl für das Setting ist. Andere Filme nehmen Berlin als faule Abkürzung – vor allem die Schwemme an Berlin-Teenie-Filmen: "Oh, unsere Hauptfigur ist voll krass und rotzig, weil … Berlin! Und … daher ist das geil! Weil … wollen wir nicht alle Berlin sein!?"
Andere Städte und ihre Reize sowie Eigenheiten gehen bei diesem Berlin-Imperialismus völlig unter. Sofern sie überhaupt auf die Leinwand kommen. «Die Reste meines Lebens» etwa ist ein fantastischer Karlsruhe-Film, der nicht nur zeigt, wie leinwandreif diese Stadt aussieht – er atmet auch ganz subtil die dortige Attitüde, statt mit der Berliner Keule dem Publikum einzudreschen: "Woah, ist Karlsruhe nicht krass anders und besserer als wo ihr alle wohnen tut?!"
Daher, liebe deutsche Filmbranche: Statt uns in den kommenden Jahren noch 28 weitere Male die ach-so-frische-und-kinotaugliche Erkenntnis ins Gesicht zu reiben, wie anders und modern und frech und mutig und geil und überhaupt Berlin ist – schaut doch einfach mal wieder über den Tellerrand. Und macht eine Geschichte über das Lebensgefühl junger Erwachsener in Aachen. Über Teenies in Frankfurt an der Oder. Erzählt etwas über Dortmund – aber gefälligst ausnahmsweise ohne Ruhrpottnostalgieromantik! Was ist mit Düsseldorf, Bremen, Hannover oder Nürnberg? Ja, die haben alle nicht so eine große Lobby wie Berlin – aber gerade daher ist das doch viel spannenderes Material als der dominanteste Geheimtipp des deutschen Szenedenkens.