«Captain America»-Star Chris Evans spielt einen liebevollen Ersatzvater, der einem hochbegabten Kind ein normales Leben ermöglichen möchte.
Filmfacts «Begabt – Die Gleichung eines Lebens»
- Regie: Marc Webb
- Produktion: Karen Lunder, Andy Cohen
- Drehbuch: Tom Flynn
- Darsteller: Chris Evans, Mckenna Grace, Lindsay Duncan, Jenny Slate, Octavia Spencer
- Musik: Rob Simonsen
- Kamera: Stuart Dryburgh
- Schnitt: Bill Pankow
- Laufzeit: 101 Minuten
- FSK: ab 6 Jahren
Marc Webb – 2009 betrat der frühere Musikvideoregisseur mit einem Debüt die Bühne des Langfilms, das ihn in nach ganz vorne katapultierte und zu einem von Hollywood-Studios intensiv umgarnten Filmemacher machte. «(500) Days of Summer» spielte bei einem Budget von weniger als acht Millionen Dollar weltweit über 60 Millionen in die Kinokassen – und, was viel wichtiger ist: Die bittersüße, tragikomische, sich so echt anfühlende, doch so herrlich kunstvoll überzeichnete (Anti-)Liebesgeschichte gilt unter nicht wenigen Filmliebhabern als moderner Klassiker und wickelt Jahr für Jahr mehr und mehr Menschen um ihren Finger.
Webb folgte dem Ruf der Blockbusterwelt und drehte als seine zweite abendfüllende Regiearbeit das Superhelden-Reboot «The Amazing Spider-Man», das trotz mancher Schwächen mit offenen Armen empfangen wurde. Die Fortsetzung glich 2014 wiederum einem Bauchplatscher mit Nasenbruch: Webb fand sich in einem halsbrecherischen Netz aus Studio-Wünschen wieder und lieferte einen tonal schizophrenen, mitunter haarsträubend albernen Film ab, der zwischendurch deprimierend viel Potential durchschimmern ließ. Jetzt, 2017, kehrt Webb zu seinen Indie-Wurzeln zurück – und auf dem Papier wirkt es so, als könnte «Begabt – Die Gleichung eines Lebens» die Selbsttherapie des vom Blockbustersystem vernarbten Regisseur sein.
Die Filmhandlung ist schnell zusammengerafft: Die hochbegabte Siebenjährige Mary Adler (Mckenna Grace) lebt bei ihrem Onkel, dem bescheidenen, dennoch smarten Handwerker Frank (Chris Evans). Dieser schickt die Tochter seiner verstorbenen Schwester auf eine öffentliche Schule in einer uramerikanischen, schlichten Kleinstadt in Florida. Als Marys Mathelehrerin Bonnie Stevenson (Jenny Slate) bemerkt, wie umwerfend das mathematische Talent ihres Schützlings ist, schlägt sie ein Stipendium für eine Privatschule vor, an der Begabte die angemessene Förderung erhalten – doch Frank sperrt sich …
Drehbuchautor Tom Flynn ist es zugutezuhalten, dass er die sich daraus entwickelnde Sorgerechtsstreitgeschichte zwischen "Das normale, einfache Leben geht vor"-Befürworter Onkel Frank und dessen Mutter Evelyn (Lindsay Duncan), die nach dem Motto "Talente müssen um jeden Preis gefördert werden" lebt, ideologisch nicht radikal zuzuspitzt. Weder ist «Begabt – Die Gleichung eines Lebens» anti-intellektuelle Small-Town-Amerika-Propaganda, die lehrt, dass höhere Mathematik nur was für Stubenhocker ist, und dass das wahre Leben aus Schweiß, Handwerk und Ballsport besteht. Noch warnt «Begabt – Die Gleichung eines Lebens» mit mahnendem Zeigefinger davor, dass (nicht nur) in den USA Talente wie am laufenden Band verschwendet werden und das, koste es, was es wolle, berichtigt werden muss.
Flynns Skript mag streckenweise vorhersehbar sein, und einige der Lebensweisheiten, welche die handelnden Figuren monologartig austauschen, sind zuweilen arg im Kalenderspruchduktus gehalten. Doch «Begabt – Die Gleichung eines Lebens» hat das Herz am rechten Fleck und führt in einer teils rührseligen, teils amüsierten Attitüde das Beste aus beiden Welten vor: Die Bedeutsamkeit, als Kind soziale Gerechtigkeit zu erlernen und seinen Platz im Alltag zu finden, als auch das Staunen darüber, wenn Menschen ihren Verstand nutzen und fordern. Konsequenterweise manövrieren sich sowohl der von Chris Evans sehr einnehmend gespielte Frank als auch die zumeist garstige Evelyn in Situationen, wo sie gegen das verstoßen, was in Marys bestem Interesse wäre, während sie andere Male den richtigen Instinkt haben.
Als Film über den gesunden Mittelweg, also darüber, dass man beim Streben nach Größerem und Höherem die Einfachheit nicht vergessen sollte, müsste «Begabt – Die Gleichung eines Lebens» eigentlich ein Film sein, der aus Marc Webbs Innerstem spricht. Und tatsächlich gibt es vereinzelte, kurze Sätze, die nach einem Metakommentar über den Karriereverlauf Webbs klingen – doch gemeinhin ist diese Dramödie ein Film, der auf emotionaler Ebene mit angezogener Handbremse verfährt. Es ist fast so, als wolle sich Webb die Geschichte nicht zu sehr aneignen, woraufhin er sich zu sehr von ihrem emotionalen Kern distanziert.
So wird «Begabt – Die Gleichung eines Lebens» quasi zum Negativbild von «(500) Days of Summer»: Weniger formale Stilisierung und inszenatorische Spielereien, doch auch weniger inhaltliche Authentizität. Durch Rob Simonsens naturalistische, aber oft unwirklich stark überbelichtete Kameraarbeit und den betont ruhigen Schnitt Bill Pankows haben Zwiegespräche in diesem Film formal oft etwas Theatralisches an sich, selbst wenn der gut agierende Cast dauernd darauf bedacht ist, nicht zu laut, zu hysterisch, zu traurig zu spielen.
Damit ist «Begabt – Die Gleichung eines Lebens» nichts Halbes und nichts Ganzes: Es gibt zwar sympathisch-humorvolle und dramatisch-leisere Szenen, aber sie wirken dennoch zu gestelzt und parabelhaft, um echt zu erscheinen – zugleich hält sich Webb als Regisseur zu stark zurück, um diese Filmhaftigkeit des Geschehens zur Kunstform zu erheben.
Fazit: Was auf der Haben-Seite der Gleichung bleibt, sind eine sehr gute Kinderdarstellerin, die eine angenehme Chemie mit ihrem Leinwandonkel hat, sowie ein geglückter Balanceakt zwischen "Das einfache Leben" und "Akademisches Streben". Da Filmemachen keine strenge Mathematik ist, liegt es im Auge des Betrachters, ob das die auf der Negativseite stehende, behäbige Regieführung, die schematische Erzählweise und die vielen Merksatz-Monologe ausgleicht.
«Begabt – Die Gleichung eines Lebens» ist ab dem 13. Juli 2017 in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.