Es gibt Filmgattungen, von denen kaum jemand weiß, dass es sie gibt: Sonderbare Zusammenstellungen von Filmen, die sich auf ungewöhnliche Weise als kohärente Gruppe definieren. Und die laut unserem Filmkolumnisten mehr Aufmerksamkeit verdienen.
MGM-Musicals (und ihre geistigen Nachfolger)
Filmstudios sind Produktionsstätten und zuweilen Vertriebsunternehmen – doch sie haben höchst selten eine eigene Identität. Wieso denn auch? Mit wechselnden Oberhäuptern und der Aufgabe, mit einer Kunstform in einem stets Wandlungen durchlaufenden Markt wirtschaftlichen Erfolg zu feiern, gibt es weder die Notwendigkeit, noch viele Möglichkeiten, eine Persönlichkeit aufzubauen. Doch hin und wieder gibt es Ausnahmen. Sei es, dass sich Walt Disney Pictures einen gewissen Grad an Familienfreundlichkeit auf die Fahnen geschrieben hat (was dann wiederum Regisseure wie Gore Verbinski als Herausforderung sehen, die Grenzen des Erlaubten auszuloten), oder dass Produzent Jason Blum mit seinem Label Blumhouse Productions die Philosophie verfolgt: "Günstig ist gut!"
Und dann wäre da MGM. MGM mag zwar nicht seine gesamte Filmografie mit einem durchgehenden Stil versehen haben, jedoch gab es für die Dauer von fast zwei Jahrzehnten einen dominanten Geschmack im Schaffen dieses einst so berühmten Hollywood-Studios: Musicals! Genauer gesagt: Musicals mit einer ganz bestimmten Sensibilität. Ja, Konkurrenzstudios wie RKO, Warner und Disney brachten ebenfalls Musicals in die Kinos, doch im Hause MGM hatten nach dem Zweiten Weltkrieg praktisch sämtliche Filme dieses Genres einen ähnlichen Stil.
Unter Produzent Arthur Freed wurde eine regelrechte Flut an optimistischen, farbenfrohen Musicalfilmen aufs Nachkriegspublikum losgelassen, die durch ein sehr kunstvolles, bühnenhaftes (doch dank des enormen Aufwandes leinwandreifes) Produktionsdesign auffallen. Der zuckrig-frohe Gesamtgeschmack dieser Musicals wird durch eine melancholische Zwischennote oder einen bittersüßen Wendepunkt gewürzt – sei es die Existenzangst des Stummfilmstars Don Lockwood in «Singin' in the Rain», die Liebessorgen eines Malers in «Ein Amerikaner in Paris» oder die finanziellen Ängste der Familie in «Meet Me in St Louis».
Moderne Musicals aus anderen Studios, die in eine ähnliche Kerbe schlagen, sind etwa «La La Land» (ein MGM-Musical mit Einflüssen des französischen Kinos), «Moulin Rouge» (das, was passiert, wenn man einem MGM-Musical eine Absinth-Infusion verpasst) und «Sing Street» (ein MGM-Musical mit moderner Indie-DNA und 80er-Retro-Chic).
Sony-Komödien
In Anlehnung an das MGM-Musical taufe ich eine aktuelle Welle an Komödien auf den Namen Sony-Komödie – gemeint sind
zeitgemäß-flott erzählte, irrsinnige Komödien mit Meta-Späßlein, die auf Logiklücken, Genrekonventionen und/oder die auftauchenden Darsteller verweisen, und die trotz ihrer enormen Albernheit noch immer smart sind. Zwar sind nicht alle Komödienfilme aus dem Hause Sony in diesem Stil gehalten, allerdings hat Sony (unter anderem) mit «Das ist das Ende», «21 Jump Street», «22 Jump Street», «Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen 1 & 2», dem neuen «Ghostbusters», dem «Gänsehaut»-Realfilm sowie «Girls' Night Out» eine hohe Dichte an solchen Filmen zu bieten.
Genrekollegen aus anderen Studios sind «The LEGO Movie», «The LEGO Batman Movie», «Baywatch» (auch wenn das Tempo was höher sein dürfte), «Pitch Perfect 2» (nicht aber das konventionellere Original) oder
der von Sony vertriebene Marvel-Studios-Spaß «Spider-Man: Homecoming».
Hans Zimmer findet diesen Film blöd oder langweilig, also haut er mal so richtig auf die Kacke
Oscar-Preisträger Hans Zimmer beherrscht zwar sehr wohl die leisen Töne, doch sowohl bei seinen Fans als auch bei seinen harschen Kritiken ist der Komponist vor allem für seine lautstarken, bombastischen Klänge bekannt. Doch die wuchtige, melodische Kraft eines «Inception», die dissonant-schräge Freude eines «Sherlock Holmes» und die ungeheuerlich eingängige Actionepik eines «Fluch der Karibik» sind harmlos gegenüber dem, was passiert, wenn Hans Zimmer ein lahmes oder gar völlig misslungenes Stück Film vor sich hat.
Denn in diesen Fällen scheint in den Gehirnwirrungen dieses Musikers ein Schalter umzukippen, woraufhin er beschließt: "Inhaltlich kann man das Teil eh nicht mehr retten, ich habe jede Menge Ideen und will mich eh mal wieder austoben, also sorge ich dafür, dass der Film wenigstens geil klingt!" Und so nimmt sich Zimmer sechs Freunde aus dem Musikbusiness, gründet die Band The Magnificent Six und knallt den miesen Superheldenfilm «The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro», den die Sony-Produzenten quasi Regisseur Marc Webb entrissen haben, mit einem eklektischen, frenetischen sowie exzentrischen Score zu.
Weitere Beispiele: Die mittelschwere, nervige und dennoch öde Katastrophe «Chappie» bekommt einen Bomben-Elektro-Soundtrack verpasst, der zähe «Da Vinci Code» punktet mit sehr schwelgerischen Klängen, der zwischendurch dröge «Illuminati» klingt mehrmals so, als hätte Zimmer ungenutzte Musik für einen nie veröffentlichen Weltuntergangsfilm aus dem Archiv geholt und der Soundtrack zu «Batman v Superman: Dawn of Justice» ist, im Gegensatz zum Film, über alle Zweifel erhaben.