Verflixtes Finale: Wie sich «Dexter» um einen Platz im Serienolymp brachte

Die Showtime-Serie endete 2013 nach acht Staffeln viel zu spät und brachte ein Finale auf Sendung, dass dem Vermächtnis des Formats nachhaltig schadete. Wie konnte es dazu kommen?

«Dexter»-Facts

  • «Dexter» gewann 34 Preise, darunter 2 Golden Globes, und heimste 135 Nominierungen ein
  • Der Blutspritzeranalyst tötete insgesamt 134 Menschen
  • Auf insgesamt 96 Episoden blickt die Showtime-Serie zurück
  • «Dexter» wurde vom Empire Magazine auf #30 der besten TV-Shows aller Zeiten gesetzt
Acht Staffeln, das sind in Serienjahren eine Ewigkeit. Nicht viele Serien schaffen es, innerhalb von acht Jahren, die Qualität, die sie eventuell noch anfangs auszeichnete, aufrechtzuerhalten, inhaltlich Neues zu bieten und dabei nicht an Zuschauerinteresse zu verlieren. Zu verlockend klingt der Ruf des Geldes, dass sich mit steigender Staffelzahl durch die zunehmende Attraktivität von Syndikations-Deals immer weiter anhäuft. Dennoch entscheiden sich einige Formate, wie beispielsweise «Breaking Bad», trotz Kritiker- und Zuschauererfolg für das Happy End aus der Sicht der Kreativen und beenden das Format, ehe es den ‚Shark jumpt‘. Geht eine Serie den anderen Weg und reizt das Format noch über viele weitere Staffeln aus, gibt es für die Fans der Serie zwei höchst unbefriedigende Optionen: Sich früher oder später entnervt von der Produktion abzuwenden oder bis zum bitteren Ende daran festzuhalten.

Von einem bitteren Ende können Fans der Serie «Dexter» wahrlich sprechen, dabei war das Showtime-Format lange drauf und dran, sich nachhaltig ein Denkmal in der Serienwelt zu schaffen. Die Bilanz des von James Manos Jr. nach der Jeff Lindsay-Buchvorlage „Darkly Dreaming Dexter“ erschaffenen Formats liest sich beeindruckend. «Dexter» stellte einen der ersten Serienhits überhaupt für den Sender Showtime dar und stellte einst den Rekord der meistgesehenen Episode einer Originalserie bei Showtime auf. Nach einem ähnlichen Kaliber leckt sich der Kanal, der seit Jahren fieberhaft erfolglos nach dem nächsten großen Hit sucht, heute die Finger. Zudem fungierte die Serie mit Michael C. Hall als Sprungbrett für den darauffolgenden, noch größeren Erfolg von «Homeland» und heimste allerlei Auszeichnungen über ihren Run hinweg ein (siehe Info-Box).

Warum «Dexter» ein würdigeres Finale verdient hätte


«Dexter»-Serienfinale im deutschen Fernsehen

Lange hielten deutsche TV-Sender «Dexter»-Fans hin, deren Großteil sich die finale Staffel vermutlich schon über On-Demand-Anbieter angesehen hat. Tele 5 zeigte ab März 2017 schließlich erstmals die siebte und achte Staffel im deutschen Fernsehen. Während die Serie auf Tele 5 am 10. Juni 2017 endete, zeigt Pay-TV-Sender AXN die finale Folge am 27. Juli 2017.
Nach der achten «Dexter»-Staffel endete das Showtime-Format um den Blutzspritzeranalysten, der ein Doppelleben führt, das aus Polizeiarbeit und der heimlichen Hinrichtung von Mördern besteht. Zunächst wirkt es für Serienfremde paradox, dass die Geschichte um einen mordenden Psychopathen je auf eine so große Beliebtheit stoßen konnte. Die Begründung dafür ist, dass «Dexter» so viel mehr als nur das ist: Die Serie befasst sich differenziert und tiefgründig mit Themen wie Familie, Moral, Partnerschaft, Auswirkungen von (Kindheits-)Traumata und um die Eigenschaften des Menschen selbst, die an der komplexen Figur Dexter Morgan aufgehängt und in Bezug gesetzt werden.

Der als Psychopath nicht zur Empathie fähige «Dexter» ist darauf angewiesen, aus seiner objektiven Sicht der Dinge die Menschen zu analysieren, um in fruchtbare Interaktionen mit ihnen zu treten, was sich in einer erfrischenden und teils erheiternden Perspektive auf das Wesen Mensch niederschlägt. „Menschen fälschen viele ihrer menschlichen Interaktionen, aber ich fühle mich, als würde ich sie alle fälschen und ich fälsche sie sehr gut“, ist eines von «Dexters» vielen denkwürdigen Zitaten, das diesen Umstand gut ausführt. Aus einer rein intuitiv abschreckenden Prämisse entwickelte sich so eine witzige, clevere, teilweise brutale, dafür umso schwarzhumorigere Serie.

Dem Ruf des Geldes erlegen


Der Kritikerspiegel der acht «Dexter»-Staffeln

  • Staffel 1: 77/100
  • Staffel 2: 85/100
  • Staffel 3: 78/100
  • Staffel 4: 77/100
  • Staffel 5: 76/100
  • Staffel 6: 62/100
  • Staffel 7: 81/100
  • Staffel 8: 71/100
Metacritic
Dass diese Prämisse bis in eine achte Staffel ausgereizt wurde, schadete dem Vermächtnis des Formats nachhaltig. Doch wie erkennt man, wann der richtige Zeitpunkt für das Ende eines Formats gekommen ist? Idealerweise sollte das Serienfinale den Höhepunkt des Formats darstellen. Dieser war im Falle von «Dexter» allerdings mit Staffel vier erreicht, als sich der Spurensicherer aus Miami ein Katz-und-Maus-Spiel mit dem von John Lithgow herausragend portraitierten ‚Trinity Killer‘ lieferte. Das Staffelfinale ließ Zuschauer mit einem Schock zurück, von dem sich das Format nie wieder erholte. Nicht weil es so schrecklich war, sondern so effektvoll inszeniert und erzählerisch konsequent, dass es unmöglich war, dieses Niveau noch einmal zu erreichen.

Spätestens mit Staffel fünf hätte das Ende also kommen müssen. Der inhaltliche Rahmen wurde vom lange verantwortlichen Showrunner Clyde Phillips schon früh gesetzt – eigentlich ein gutes Zeichen für ein Format, denn es lässt darauf schließen, dass die Macher wissen, wann der Zenit überschritten ist. Phillips‘ Plan sah vor, dass «Dexters» Geschichte mit einer Giftinjektion im Rahmen einer Hinrichtung endete, in dessen Rahmen «Dexter» noch einmal alle Menschen hinter einem Glasfenster zu sehen kriegt, deren Tod er verantwortete. Mit Showtimes Entscheidung, sich nach Staffel vier von Phillips zu trennen und ein neues Autorenteam die Zügel übernehmen zu lassen, wurde dieser Plan über den Haufen geworfen und ein anderer Weg eingeschlagen – ein deutlich längerer: Vier weitere Staffeln erhielt «Dexter», die sich bis zur Finalstaffel qualitativ immer weiter verschlechterten. Showtime hatte sich vom Ruf des Geldes locken lassen.

Vorsicht, Spoiler! Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche inhaltlichen Fehler «Dexter» im Serienfinale beging.


Wie sich «Dexter» seinen Weg in den Serienolymp verbaute


Ein großer Aufschrei ging nach dem Serienfinale am 22. September 2013 durch das Internet, sichtlich verärgert zeigten sich ausgewiesene Fans über das Ende ihrer Lieblingsserie. Dabei startete Staffel acht eigentlich vielversprechend, ehe sie sich inhaltlich völlig verlor. Im Rahmen der finalen Staffel legten die Autoren ihren Fokus vor allem auf das Verhältnis der Geschwister Debra und «Dexter» Morgan, das zwar bereits über die ganze Serie viel Raum einnahm, nun aber kulminieren sollte, schließlich erfuhr die sonst so rechtschaffene Vorbild-Polizistin Debra kürzlich vom dunklen Geheimnis ihres Bruders, das sie aufgrund von Dexters Kodex zwar duldete, sich dabei aber zunehmend unwohl fühlte. Eines war Fans schon früh in der Staffel klar: Debra oder «Dexter», mindestens einer der beiden würde sterben, vielleicht sogar durch die Hand des anderen. Nebenbei bereitet «Dexter» in der achten Staffel alles für seine Flucht mit Sohn Harrison und seiner ebenfalls serienmordenden Geliebten Hannah vor und sieht sich auch noch einem hochgefährlichen Psychopathen-Mörder mit dem Spitznamen „Der Gehirnchirurg“ ausgesetzt, den er zur Strecke bringen muss.

Man könnte meinen, das seien genug Themen für zwölf Episoden, aber nein: Die Autoren entschieden sich zudem dafür, belanglose Handlungsstränge von Nebencharakteren mit in die Staffel hineinzuschreiben, die völlig versandeten und letztlich schlicht fallengelassen wurden. Dexters Kollege Masuka machte urplötzlich Bekanntschaft mit seiner Tochter, von der er vorher nichts wusste, auch die Geschichte um eine mögliche Beförderung von Joey Quinn führte ins Nichts. Überhaupt, das gesamte Personal der Miami Metro-Polizei, die Zuschauer über acht Staffeln lang kennenlernten, wurde im Finale zu Statisten degradiert, deren Zukunft komplett offenblieb. Für viele ein Verrat an den Charakteren.

Schnarchnasiger Abschied statt Geschwister-Showdown


Aber gut, die Serie heißt schließlich «Dexter» und immerhin blieben ja noch die Fragen, ob und wie «Dexter» und Debra voneinander Abschied nehmen würden, wie «Dexter» den „Gehirnchirurg“ Oliver Saxon zur Strecke bringen und danach Miami für immer verlassen würde. Zum heißerwarteten Showdown zwischen «Dexter» und Debra, der sogar in Promo-Plakaten angedeutet wurde, kam es nicht, stattdessen ereilte Debra, die sich gegen Ende der Serie vielleicht zu so etwas wie einem zweiten Hauptcharakter entwickelte ein Off-Screen-Tod durch Hirnversagen, nachdem Saxon ihr mit einer Pistole in den Bauch schoss und es zu Komplikationen im Krankenhaus kam. Ein in seiner restlos unspektakulären Art und Weise fast schon ignorant anmutender Abschluss für die Figur, die als beinharte Polizistin in einer Männerwelt so viel durchmachte wie kein anderer Charakter in der Serie und zum Himmel schreiend, wenn man bedenkt, dass ein unbedarfter Polizist kurz davor die Zielperson einer nationalen Fahndung ohne besseres Wissen aus den Fesseln Dexters befreite.

Auch der Abschied der Figuren von Debra geriet unwürdig. Im Dialog mit «Dexter» spulte Debra lediglich die Greatest Hits der Sätze ab, die sie Dexter ohnehin schon eine gefühlte Million Mal im Laufe der Serie gesagt hatte. Kollege Joey Quinn fand darüber hinaus urplötzlich zur Besinnung und gestand Debra an ihrem Totenbett seine Liebe, nachdem er zu Beginn der Staffel noch in eine Affäre mit der Schwester seines Chefs verstrickt war. So schaffte es diese erzwungen dramatische Szene auch nicht, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Haarsträubende Inkompetenz und viele Frage- statt Ausrufezeichen


Dass sich «Dexter» am Mörder seiner Schwester rächen musste, ehe er Miami verlässt, stand von dort an fest. Wie es letztlich dazu kam (ohne, dass man die Laufzeit der Finalepisode sprengen musste), glich aber fast einer Farce. Bösewicht Oliver Saxon wurde von der Lt. Angel Batista und der Miami Metro Police nur gefasst, weil er den dummen Fehler machte, in das Krankenhaus zu spazieren, in dem die Polizistin liegt, die er kurz davor angeschossen hatte und dass daher unter hoher Polizeiüberwachung stand. Als «Dexter» Saxon in Polizeigewahrsam dann vor laufenden Kameras mit einem Stift die Halsschlagader durchstößt, wird er von Batista und Quinn, die Zeuge dessen wurden, aufgrund von Notwehr freigelassen, was die Überwachungskameraaufnahmen klar widerlegten. Sowohl der Staffel acht-Mörder als auch die Polizei selbst müssen sich also haarsträubende Inkompetenz vorwerfen lassen.

Anstatt seiner Geliebten Hannah und Sohn Harrison zu folgen, steuert «Dexter» danach mit der Leiche seiner Schwester im Schlepptau geradewegs auf den lang angekündigten, schlimmen Sturm vor dem Hafen Miamis zu – natürlich ein wenig subtiles Sinnbild seines aufgewühlten Seelenlebens – und versenkt seine Schwester im Meer wie so viele seiner Opfer davor, ehe die Zuschauer die Trümmer von Dexters Boot zu sehen bekommen, die zusammen mit einer entsprechenden Zeitungsnachricht den sicheren Tod Dexters verheißen. Mindestens beunruhigend wirkt das vermeintliche Ende, als Dexters Freundin Hannah mit dem kleinen Harrison in ein neues Leben aufbricht: Eine Serienmörderin, die das Kind ihres Serienmörder-Freundes großzieht, welches kurz davor die gleiche traumatische Erfahrung gemacht hat, die «Dexter» zum Psychopathen werden ließ.

Doch Halt! Anstatt die Serie tatsächlich mit Dexters (verdientem) Tod und wenigstens einer konsequent abgeschlossenen Geschichte der Titelfigur enden zu lassen, gibt es für Zuschauer in der letzten Szene doch noch ein Wiedersehen mit «Dexter». Tadaa! Gar nicht tot, dafür rauschebärtig im Flanell-Hemd gekleidet, hackt sich «Dexter» in selbstauferlegter Einsamkeit durch ein paar Holzscheite. Er trennte sich von der Liebe seines Lebens und seinem Sohn und trägt die Schuld am Tod seiner Schwester, weil er Saxon nicht tötete, als er die Chance hatte. Was hält ihn am Leben? Verspürt er außerdem nicht immer noch den Drang, der ihn zum Morden zwang, seinen „dunklen Passagier“? Fragen über Fragen, statt Antworten. Der Untergang mit seinem Boot hätte dem Finale zumindest etwas halbwegs Poetisches verliehen. Nein, «Dexter» zögert auch sein persönliches Ende heraus, so wie es Showtime mit der Serie tat und sich so um das Erbe eines der einstmals hoffnungsvollsten Serienformate aller Zeiten brachte.
26.07.2017 11:02 Uhr  •  Timo Nöthling Kurz-URL: qmde.de/94660